Immobilienweise: Not am Wohnungsmarkt verschärft sich weiter

Die Genehmigungszahlen sinken, Baufertigstellungen verzögern sich – gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Wohnungen. Die Immobilienweisen gehen im Frühjahrsgutachten für das Jahr 2023 davon aus, dass der Leerstand sich weiter verringern und das Angebot noch knapper wird.

Die Herausforderungen am Wohnungsmarkt sind immens und werden es vorerst bleiben: Der drastische Anstieg der Baupreise und Zinsen ließ im vergangenen Jahr viele Projektplanungen "zerbröseln" – unter den Akteuren am Wohnungsmarkt kehrte regelrecht Angst ein, heißt es im Frühjahrsgutachten 2023 des sogenannten Rats der Immobilienweisen, das am 14. Februar vom Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) veröffentlicht und in Berlin Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD übergeben wurde.

Von einem dramatischen Einbruch der Neubauaktivitäten, von einer schwindenden (Käufer-)Nachfrage nach Wohnungen, von einer Energie- und Baukrise, von einbrechenden Finanzierungen und von Stornierungswellen ist darin die Rede. Kernsignale der Analyse: Investitionen sind unter anderem im Bereich Wohnungsbau unattraktiv wie seit vielen Jahren nicht. Der gewerbliche Immobilienmarkt gilt demgegenüber in weiten Teilen nach wie vor als robust; angesichts stark gestiegener Energiekosten rücken hier aber die Energiebilanzen der Gebäude in den Fokus. 

Neubau von Wohnungen: nicht mehr wirtschaftlich

Wegen des russischen Angriffskriegs sind laut Studie bislang rund eine Million ukrainische Geflüchtete nach Deutschland gekommen, zusätzlich zur normalen Zuwanderung. Das habe "zu einer erheblichen zusätzlichen Nachfrage von rund 200.000 Wohnungen geführt", steht im Frühjahrsgutachten. Für 2023 rechnen die Immobilienexperten mit einem weiteren Rückgang der Leerstandsquote: Bundesweit sind derzeit nur 600.000 Wohnungen (Anteil von 2,8 Prozent am Wohnungsmarkt) frei – könnten also sofort oder kurzfristig bezogen werden.

"Dieser doppelte beziehungsweise dreifache Schock auf der Angebots- wie Nachfrageseite erfolgte zu einem Zeitpunkt, an dem sich einerseits die Wohnungsmärkte langsam in Richtung einer Entspannung bewegten", schreiben die Immobilienweisen in ihrem Fazit zur Lage am Wohnungsmarkt. Dieses Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage war offenbar sehr fragil, wie sich jetzt zeigt.

Im Kern bestehen daher den Experten zufolge heute zwei Problemkreise: Der erste Problemkreis dreht sich um die hohen Kaufpreise für Wohnungen, Häuser und Bauland, die mit dem höheren Zinsniveau nicht mehr darstellbar sind – der zweite Problemkreis dreht sich um die Ausweitung des Angebots durch Neubau, um die gestiegene Wohnungsnachfrage zu befriedigen.

Hohe Kaufpreise, Baukosten, Baulandpreise: Mieten anpassen

Die Wohnungsmärkte werden sich nach Ansicht der Immobilienweisen in eine Richtung bewegen müssen, in der Kaufpreise, Baukosten, Baulandpreise und Mieten wieder in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen. Das heißt konkret: Die Immobilienpreise, die Baukosten, das Bauland muss günstiger werden – und es müssen höhere Mieten aufgerufen werden. Offen lassen die Experten dabei, welche Seite wie stark zur Anpassung beiträgt und in welchen Zeiträumen das geschehen wird.

Die Mieten (Angebotsmieten, Bestand, hedonisch) sind nach Anstiegen von jeweils etwa einem Prozent in den Quartalen zuvor, seit dem zweiten Quartal 2022 wieder schneller gestiegen – um 1,5 Prozent bis zwei Prozent. Dieser Anstieg kommt nicht überraschend. Laut einer Umfrage im August bis Oktober 2022 unter ukrainischen Geflüchteten wohnten bereits 44 Prozent in einer eigenen Wohnung. Umgerechnet stieg die realisierte Wohnungsnachfrage damit kurzfristig um knapp 200.000 Wohnungen. Die Wohnungsmieten im Bestand lagen Ende 2022 im Schnitt bei 9,10 Euro pro Quadratmeter (plus 5,2 Prozent gegenüber 2021).

Gleichzeitig wurden im Jahr 2022 zirka 300.000 Wohnungen fertiggestellt und auch im Jahr 2023 wird die Zahl der Fertigstellungen den Studienautoren zufolge nochmals hoch sein. Der Grund: Für einen jähen Absturz der Fertigstellungen sei der Bauüberhang noch zu hoch, viele Projekte seien bereits im Bau und dürften fertiggestellt werden. Zumindest im Geschosswohnungsbau sind die Genehmigungen weiter gestiegen. Im Ergebnis wird das Angebot an Wohnungen erst einmal noch hoch genug sein, um einen deutlichen Anstieg der Mieten zu verhindern. Ab 2024 wird sich laut Studie eine Neubaulücke auftun.

Finanzierung von Wohnprojekten wird schwieriger

Der Neubau von Wohnungen wiederum ist derzeit mit den schnell steigenden Baupreisen plus teureren (Zwischen-)Finanzierungen und hohen Grundstückskosten meist nicht mehr wirtschaftlich, da die erzielbaren Mieten unterhalb der Kostenmieten liegen und die Verkaufspreise aufgrund der höheren Zinsen nicht mehr von den Käufern finanziert werden können.

Laut ZIA zeichnet sich beim Wohnungsbau "eine zunehmende Dramatisierung" ab: "Erreichbare Mieten liegen nun immer häufiger unterhalb der Kostenmieten", sagte Verbandspräsident Dr. Andreas Mattner bei Vorstellung der Studie. Der ZIA fordert angesichts der immer schärferen Zuspitzung der Lage einen radikalen Abschied von finanziellen und regulatorischen Begrenzungen, mit denen staatliche Akteure die Immobilienwirtschaft in Krisenzeiten zusätzlich ausbremsen. "Wenn wir weitermachen wie bisher, werden wir ein Wohnungsdebakel im Jahr 2025 nicht mehr abwenden können", so Mattner.

Der Immobilienweise Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld, der in dem Gutachten die gesamtwirtschaftliche Lage analysiert hat, befand mit Blick auf die Branche: "Projektentwicklern und Wohnungsunternehmen fehlen die Anreize zu bauen, weil zum einen die Aussicht auf sinkende Immobilienpreise bei steigenden Baukosten und teuren (Zwischen-)Finanzierungen riskant ist – zum anderen ist die Toleranz für höhere Mieten angesichts der hohen Inflation und niedriger Realeinkommen gering, und das schmälert die Mietenrenditen bei gleichzeitig steigenden Zinsen." Bauinvestitionen seien aktuell so unattraktiv wie lange nicht mehr.

Die Attraktivität des gewerblichen Immobilienmarktes sei, speziell im Büro und Logistikbereich und bei modernen Gebäuden mit energetischen Nachhaltigkeitsstandards, zwar weiter gegeben, ergänzte ZIA-Präsident Mattner: Für den Bereich Wohnen aber könnte die wachsende "Wirtschaftlichkeitslücke" aber eine immer bedrohlichere "Wohnraumlücke" auslösen.

ZIA: "Strikter Verzicht auf weitere Mietenregulierung"

Für das Jahr 2022 liegt im Wohnungsbau bereits ein kumuliertes Neubaudefizit vor, das der Zahl fast aller Wohnungen etwa im Stadtstaat Bremen gleich kommt – 2024 wären rechnerisch alle Saarländer ohne Wohnung, für 2025 könnte das Gap aus ZIA-Sicht bei 700.000 Wohnungen beziehungsweise 1,4 Millionen Menschen liegen: "Das entspräche fast dem Wohnungsbestand des Saarlandes und Bremen zusammen", sagte Mattner. Mit konventionellem Wohnungsbau mit "X Jahren Genehmigungsvorlauf und mindestens zwei Jahren Realisierungszeit" sei selbst bei einem sofortigen Baustart eine Fertigstellung 2025 schon nicht mehr zu schaffen. Der konventionelle Wohnungsbau komme nur noch durch einen Dreiklang aus:

  1. Preissenkung beim Wohnungsbau und damit Abbau der enormen Staatsquote am Produkt,
  2. Verbesserte Finanzierungsbedingungen, zu denen eine nennenswerte Förderung wie in der Vergangenheit sowie eine echte degressive AfA gehören, und der
  3. Verzicht auf weitere Begrenzungen der Einnahmeseite.

Mattner forderte in Berlin den Abschied von der Mietpreisbremse und generell einen strikten Verzicht auf weitere Mietenregulierung, die Umsetzung von seriellem und vor allem modularen Bauen auf breiter Front, einen schnellen Anlauf bei der Neubauförderung mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro jährlich, eine Ausweitung der KfW-Kredite zur Vergrößerung des finanziellen Spielraums, eine degressive Sonder-AfA, die Öffnung von § 246 des Baugesetzbuchs für einfachen, schnellen und bezahlbaren Wohnungsbau (§ 146 wurde ursprünglich als Sonderregelung eingeführt für Flüchtlingsunterkünfte) und intelligente Lösungen, um die Klimaziele mit einem Kostenrahmen zu erreichen, der leistbar ist.

ZIA-Frühjahrsgutachten der Immobilienweisen 2023


Das könnte Sie auch interessieren:

Wohnen: Trend fallender Kaufpreise verstetigt sich

Bündnis für bezahlbaren Wohnraum stellt ToDo-Liste vor

Wohnungsbau: Minus bei Baugenehmigungen wird Trend

Besser fördern, weniger regeln, mehr bezahlbare Wohnungen

Wohnungsbau-Ziel verfehlt: Verbände wollen "Schaden" begrenzen

Schlagworte zum Thema:  Gutachten, Wohnungsbau, Wohnungsmarkt, Immobilienmarkt