Rz. 52

[Autor/Stand] Nach heute ganz h.M. in Rspr. und Schrifttum ist die Selbstanzeige ihrer Rechtsnatur nach ein persönlicher Strafaufhebungsgrund[2].

Die vor allem früher vertretene abweichende Ansicht[3], die in § 371 AO einen Strafausschließungsgrund erblickte, setzt sich über die allgemein vorherrschende Systematik hinweg, dass die Umstände, die bei der Selbstanzeige zur Strafbefreiung führen, erst nach begangener Tat eintreten[4]. Für den Begriff des Strafausschließungsgrundes ist demgegenüber kennzeichnend, dass die strafbefreienden Umstände bereits zur Tatzeit vorliegen mit der Folge, dass ein Strafanspruch überhaupt nicht entsteht.

Aus dieser Einordnung der Selbstanzeige als persönlicher Strafaufhebungsgrund ergeben sich für die Anwendung des § 371 AO folgende Konsequenzen:

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[2] FG Hamburg v. 26.2.2020 – 5 K 95/17, juris; KG v. 24.11.2016 – (4) 121 Ss 169/16 (195/16), NStZ-RR 2017, 215; BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133 (1133); Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 1; Beckemper in HHSp., § 371 AO Rz. 26; Hadamitzky/Senge in Erbs/Kohlhaas, § 371 AO Rz. 44; Winkler/Winkler, AO-StB 2021, 57 (61).
[3] Vgl. dazu Firnhaber, Die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht, 1962, S. 37 f.; RG, RGSt 56, 387; OLG Celle v. 27.4.1953 – Ws 58/51, DStZ/B 1953, 516; OLG Bremen, ZfZ 1958, 84 (87).
[4] Ebenso Joecks in JJR8, § 371 AO Rz. 39.

1. Persönlicher Strafaufhebungsgrund

 

Rz. 53

[Autor/Stand] Die strafbefreiende Wirkung des § 371 AO kommt grds. nur dem zugute, der die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung in seiner Person ("persönlich") erfüllt[2]. Bei jedem Täter oder Teilnehmer sind die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Selbstanzeige selbständig zu prüfen. Näheres hierzu in Rz. 81 f.

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[2] Hüls/Reichling in Hüls/Reichling2, § 371 AO Rz. 23; Hadamitzky/Senge in Erbs/Kohlhaas, § 371 AO Rz. 44; Beckemper in HHSp., § 371 AO Rz. 26.

2. Unbeachtlichkeit subjektiver Umstände

 

Rz. 54

[Autor/Stand] Es kommt ausschließlich auf das objektive Vorliegen der positiven bzw. negativen Voraussetzungen des § 371 AO an. Ein Irrtum des Anzeigenden über einen Tatumstand des § 371 AO (z.B. über das Entdecktsein der Tat) ist unbeachtlich und schließt die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige nicht aus[2] (s. auch Rz. 630). Ebenso kommt es auf ein Verschulden eines beauftragten Vertreters[3] oder auf das Unvermögen zur fristgerechten Nachzahlung der Steuer nicht an (s. Rz. 403).

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[2] Beckemper in HHSp., § 371 AO Rz. 25; Joecks in JJR8, § 371 AO Rz. 41; Kohler in MünchKomm/StGB3, § 371 AO Rz. 49; vgl. BGH v. 14.12.1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698.
[3] Hüls/Reichling in Hüls/Reichling2, § 371 AO Rz. 23; Joecks in JJR8, § 371 AO Rz. 41; Kratzsch in Kohlmann (Hrsg.), DStJG 6 (1983), S. 288 f.

3. Analogieverbot

 

Rz. 55

[Autor/Stand] Aus der Rechtsnatur des § 371 AO als Strafaufhebungsgrund folgt, dass bei Auslegung und Anwendung der Vorschrift das aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB abzuleitende strafrechtliche Analogieverbot zu beachten ist[2]. Eine erweiternde Auslegung der negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen des Abs. 2 zu Lasten des Täters ist somit unzulässig[3].

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[2] Vgl. Joecks in JJR8, § 371 AO Rz. 41.
[3] Lenckner/Schumann/Winkelbauer, wistra 1983, 123 f.; Beckemper in HHSp., § 371 AO Rz. 125.

4. In dubio pro reo

 

Rz. 56

[Autor/Stand] Eine weitere Folge des Umstands, dass durch § 371 AO die Frage der Strafbarkeit unmittelbar berührt wird, ist, dass der Grundsatz "in dubio pro reo"beachtet werden muss[2], d.h. Zweifel über das Vorliegen einer der in § 371 AO bezeichneten (positiven/negativen) Wirksamkeitsvoraussetzungen wirken sich zugunsten des Täters aus (s. nur Rz. 421, 732).

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[2] Joecks in JJR8, § 371 AO Rz. 41; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder29, Vorbem. §§ 32 ff. StGB Rz. 134.

5. Freispruch

 

Rz. 57

[Autor/Stand] Werden in der Hauptverhandlung die Voraussetzungen des § 371 AO festgestellt, so ist der Täter freizusprechen[2]. Zu den verfahrensrechtlichen Folgen der Selbstanzeige s. ausführlich Rz. 793 ff.

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[2] OLG Frankfurt v. 18.10.1961 – 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974; Beckemper in HHSp., § 371 AO Rz. 23.

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