Rz. 414

[Autor/Stand] Wenn eine wirksame Berichtigungserklärung i.S.d. § 371 Abs. 1 AO vorliegt (s. Rz. 79 ff.), ist damit eine Anwartschaft auf Straffreiheit nur dann begründet, wenn im Zeitpunkt der Selbstanzeigeerklärung keiner der in § 371 Abs. 2 AO aufgezählten Ausschlussgründe eingreift.

§ 371 Abs. 2 Satz 1 AO kennt nach der Neufassung durch das AOÄndG 2015[2] acht Ausschlussgründe[3]:

 

Rz. 415

[Autor/Stand] Die Aufzählung ist abschließend, sonstige Gründe gibt es nicht. Die Ausschlussgründe sind voneinander unabhängig, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ist jeweils selbständig zu prüfen. Bedeutung hat dies vor allem wegen der unterschiedlichen Sperrwirkung[5]:

  • sachbezogene Sperrwirkung: Nr. 1 Buchst. a, c–e,
  • tatbezogene Sperrwirkung: Nr. 1 Buchst. b, Nr. 3, 4,
  • personenbezogene Sperrwirkung: Nr. 2.
 

Rz. 416

[Autor/Stand] Durch die Tatbestände des § 371 Abs. 2 AO wird eine zeitliche Grenze gezogen, ab der eine Selbstanzeige keine strafbefreiende Wirkung mehr hat. Sie wirken praktisch strafbegründend[7].

Zu beachten ist, dass bei der Selbstanzeige einer leichtfertigen Steuerverkürzung nur der zweite der genannten Ausschlussgründe gilt (§ 378 Abs. 3 AO, s. dazu § 378 Rz. 125).

 

Rz. 417

[Autor/Stand] Der sachliche Grund für die Schaffung der Regelung wird unterschiedlich beurteilt. Überwiegend wird betont, der Grund dafür, dass in den Fällen des § 371 Abs. 2 AO keine Straffreiheit eintrete, sei dort zu suchen, wo auch der Grundsatz des Abs. 1, von dem Abs. 2 lediglich die Ausnahme enthalte, seine Erklärung finde, nämlich in steuerpolitischen Erwägungen. Abs. 1 durchbreche das Prinzip, dass die Straffreiheit eines Verhaltens durch bloße Schadenswiedergutmachung nicht mehr beseitigt werden könne. Dann sei es aber folgerichtig, dass die Gewährung von Straffreiheit aufgrund einer Selbstanzeige nur solange und insoweit gerechtfertigt sei, als dies zur Verwirklichung des steuerpolitischen Zwecks tatsächlich notwendig sei[9]. Ist die Steuerquelle, die die Selbstanzeige "zum Sprudeln bringen soll", bereits durch die FinB entdeckt bzw. steht sie kurz davor, entdeckt zu werden, so ergibt die Gewährung von Straffreiheit keinen Sinn mehr. Daneben wird die fiskalische Motivation auch hinsichtlich der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO mit der Folge einer restriktiven Auslegung der Vorschrift betont[10].

 

Rz. 418

[Autor/Stand] Anderer Ansicht nach ist die Erstattung der Selbstanzeige angesichts der (drohenden) Tatentdeckung i.S.d. in § 371 Abs. 2 AO genannten Gründe nicht mehr "freiwillig", so dass die Gewährung der Rechtswohltat des § 371 AO nicht gerechtfertigt sei[12]. § 371 AO gründe in gleicher Weise wie z.B. die Rücktrittsregelung des § 24 StGB oder die tätige Reue beim Subventionsbetrug (§ 264 Abs. 5 StGB) auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, der Gesetzgeber habe die Situationen, in denen der Täter freiwillig oder unfreiwillig handele, generalisierend in § 371 Abs. 2 AO umschrieben.

 

Rz. 419

[Autor/Stand] Mag das Kriterium der Freiwilligkeit ursprünglich mitentscheidendes Motiv des Gesetzgebers für die Fassung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO bzw. dessen Vorläufer gewesen sein, so ist jedenfalls heute die fiskalpolitisch orientierte (enge) Auslegung der Vorschrift, wie schon in Rz. 30 ff. ausgeführt, vorherrschend. Der Gesetzgeber hat diese Auslegungstendenz dadurch vorprogrammiert, dass er die Fassung der Ausschlussgründe zunehmend objektivierte. Das Merkmal der Freiwilligkeit ist nicht in den Gesetzestext eingeflossen (s. Rz. 32 ff.). Die Notwendigkeit zur Objektivierung ergibt sich aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Rechtssicherheit[14]. Dies spricht bereits dagegen, den Ausschluss der Selbstanzeige von einem subjektiven Kriterium wie dem der Freiwilligkeit abhängig zu machen. Wie ausgeführt, können aufgrund der derzeitigen Fassung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO u.U. auch Täter Straffreiheit erlangen, die unfreiwillig handeln. Die Einbringung der Freiwilligkeit nach dem Vorbild des § 24 StGB läuft dem rechtspolitischen Zweck der Selbstanzeige zuwider (s. bereits Rz. 32). Als Schlussfolgerung aus dem soeben Gesagten ergibt sich, dass das Element der Freiwilligkeit, das in einem Teil des Schrifttums jedenfalls im Hintergrund bestimmter Ausschlussg...

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