Rz. 45

[Autor/Stand] Gesetzliche Normenvielfalt bei der Wegzugsbesteuerung. Obwohl § 6 AStG häufig als ausschließlich im Rahmen der Wegzugsbesteuerung (zum Begriff s. Rz. 23) relevanter Tatbestand wahrgenommen wird, ist er nur einer von mehreren wegzugsteuerrelevanten Tatbeständen. Bei Anteilen an Kapitalgesellschaften, die im steuerlichen Privatvermögen gehalten werden und nicht als solche i.S.v. § 20 Abs. 2 EStG[2] qualifizieren oder unter das InvStG fallen (s. Rz. 345), findet – abhängig vom Status der Anteile – entweder § 6 AStG (bei Anteilen i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG) oder § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 (lex specialis bei einbringungsgeborenen Anteilen i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995, s. Rz. 51) Anwendung. Letzterer wird in der Praxis häufig übersehen, obwohl Anteile mit diesem Steuerstatus gerade bei deutschen Familiengesellschaften weit verbreitet sind. Bei Wegzügen der Beteiligungsgesellschaft findet im Falle der Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an den Veräußerungsgewinnen nicht § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG, sondern § 17 Abs. 5 EStG vorrangig (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1) Anwendung (s. Rz. 87 ff.). Sperrfristbehaftete Anteile i.S.v. § 22 Abs. 1 UmwStG, die aus einer Sacheinlage i.S.v. § 20 UmwStG unter dem gemeinen Wert entstanden sind, verkörpern regelmäßig zugleich Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG,[3] sodass § 6 Abs. 1 auf diese Anwendung findet (s. Rz. 76 ff.).[4] Werden Anteile an Kapitalgesellschaften in einem steuerlichen Betriebsvermögen gehalten, ist in Wegzugsfällen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 16 Abs. 3a EStG oder § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 (vorrangig bei einbringungsgeborenen Anteilen i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995) einschlägig. Dieser "Flickenteppich"[5] wird durch die Neufassung des § 6 erweitert:[6] Einerseits sind für "Altfälle" die Regelungen des § 6 Abs. 38 a.F. weiterhin anzuwenden (s. Rz. 247). Für einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG 1995 hat der Gesetzgeber durch das JStG 2022 nun ebenfalls rückwirkend ab dem 1.1.2022 eine Zäsur angeordnet (s. Rz. 57).

 

Rz. 46

[Autor/Stand] Status der Anteile als Weichensteller. Über die Anwendung des "richtigen" Wegzugsteuertatbestands entscheidet zunächst der Status der jeweiligen Anteile (s. Rz. 45), d.h. die Beantwortung der Frage, ob es sich um einbringungsgeborene Anteile i.S.v. 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 oder Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG handelt und/oder ob die Anteile einem steuerlichen (Sonder-)Betriebsvermögen zuzurechnen sind. Die Feststellung des jeweiligen Steuerstatus kann mitunter eine umfangreiche Sachverhaltsanalyse erfordern bzw. tatsächlich und rechtlich schwierig sein.[8] Der Steuerstatus als einbringungsgeborener Anteil wird schnell übersehen, da § 21 UmwStG 1995 auch für Gesellschaftsanteile gilt, die schon vor dem Inkrafttreten des UmwStG 1969 durch einen Anteilstausch oder die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten an der übernehmenden Kapitalgesellschaft entstanden sind, sofern bei der Einbringung die stillen Reserven des eingebrachten Betriebsvermögens nicht voll realisiert wurden.[9] Häufig werden Anteile als solche i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG qualifiziert, obwohl diese bspw. aufgrund einer Betriebsaufspaltung Betriebsvermögen eines Einzelunternehmens des Steuerpflichtigen sind oder dem Sonderbetriebsvermögen des Steuerpflichtigen bei einer Mitunternehmerschaft zuzurechnen sind. Die wegzugsteuerrelevanten Tatbestände haben unterschiedliche Tatbestände und Rechtsfolgen. Daher ist die Statuseinordnung in wegzugsteuerrelevanten Fällen die erste und wichtigste Aufgabe für den Steuerpflichtigen bzw. dessen steuerlichen Berater. Fehleinschätzungen können dramatische Folgen mit sich bringen:[10]

 

Beispiel

Die seit Geburt ausschließlich in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige A ist Alleingesellschafterin der D-GmbH (Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland). In den Anteilen an der D-GmbH haben sich hohe stille Reserven angesammelt. A ist im November 2021 unter Beendigung ihrer unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland mit ihrer Familie für vier Jahre nach Südafrika gezogen, um die Geschicke der dort ansässigen Konzerngesellschaften zu leiten. In Südafrika wird A annahmegemäß bei Zuzug unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Ihr steuerlicher Berater hatte ihr vorher mitgeteilt, dass zwar eine Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 a.F. entstünde, diese aber bei ihrer bereits beim Wegzug beabsichtigten Rückkehr nach Deutschland gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 a.F. wieder entfiele und in der Zwischenzeit die Steuer ggf. gestundet werden könne. Die Anteile an der D-GmbH waren 1980 aus dem steuerneutralen Formwechsel der D-GmbH & Co. KG entstanden.

Lösung

Bei den Anteilen an der D-GmbH handelt es sich um einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 (ausf. Rz. 51). Entgegen der Ansicht des steuerlichen Beraters kommt im Beispielsfall...

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