Rz. 300

[Autor/Stand] Übergreifende Tatbestandsvoraussetzungen. Die Wegzugsteuertatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 setzen neben den jeweils tatbestandsspezifischen Merkmalen (dazu Rz. 350 ff., 365 ff., 431 ff.) jeweils voraus, dass es sich bei dem Anteilseigner[2] um einen "unbeschränkt Steuerpflichtigen" i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 handelt (s. Rz. 303 ff.) und "Anteile im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes" in Rede stehen (Rz. 303 ff.).

a) Persönliche Voraussetzungen (Abs. 1 Satz 1, Abs. 2)

"... stehen bei unbeschränkt Steuerpflichtigen ..."

aa) Vorbemerkungen

 

Rz. 301

[Autor/Stand] Hintergrund. Veräußert eine in Deutschland i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtige Person Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, spielt es keine Rolle, wie lange die natürliche Person in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war. Insoweit unterfällt ein Veräußerungsgewinn aus einer "echten" Veräußerung ab "Tag 1" des Zuzugs der natürlichen Person dem deutschen Steuerzugriff. Ob Deutschland in diesem Fall den gemeinen Wert der Anteile bei Zuzug berücksichtigen muss, hängt davon ab, ob der Zuzügler hiermit einer dem § 6 vergleichbaren Wegzugsbesteuerung im ausländischen Wegzugsstaat unterlegen hat (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG). § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 setzt demgegenüber einschränkend voraus, dass der Anteilseigner oder sein(e) Rechtsvorgänger innerhalb der letzten zwölf Jahre vor seinem Wegzug bzw. dem Eintritt eines anderen Ereignisses mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig i.S.v. § 1 Abs. 1 EStG war. Andere Entstrickungsvorschriften (z.B. § 17 Abs. 5 EStG; § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG; § 16 Abs. 3a EStG; § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG a.F.) kennen keine entsprechenden persönlichen Voraussetzungen. Zu § 6 a.F., der nach h.M.[4] auf eine auf die Lebenszeit betrachtete zehnjährige unbeschränkte Steuerpflicht abstellte, lag die gesetzgeberische Überlegung darin, dass eine Besteuerung "nur bei einer zeitlich intensiven Wohnsitzverbindung des Steuerpflichtigen mit dem deutschen Inland eintreten [soll], die außer Frage stellt, daß es um die Erfassung einer Vermögensmehrung aus nachhaltiger persönlicher wirtschaftlicher Eingliederung in die deutsche Volkswirtschaft geht."[5] Ähnliche Erwägungen wird man auch für § 6 Abs. 2 Satz 1 anbringen können, wobei eine siebenjährige Eingliederung in den letzten zwölf Jahren (s. § 6 Abs. 2 Satz 1) noch als ausreichendes Anknüpfungsmerkmal angesehen werden kann.[6] Trotz unterschiedlicher Zielrichtung ist es aber weiterhin[7] schwer nachzuvollziehen, dass sich § 2 und § 6 unterschiedlicher Voraussetzungen bei der persönlichen Inlandsbindung bedienen.

 

Rz. 302

[Autor/Stand] Vermeidung der Wegzugsteuer durch rechtzeitigen Wegzug. § 6 Ab. 2 Satz 1 eröffnet dem Zuzügler für einen gewissen Zeitraum das faktische Wahlrecht, sich der Besteuerung eines anstehenden Gewinns aus der Veräußerung der Anteile in Deutschland rechtzeitig zu entziehen.

 

Beispiel

Y wird erstmals Mitte 2022 in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig i.S.v. § 1 Abs. 1 EStG. Y ist zu 10 % an einer US Inc. beteiligt. Im November 2026 schließen die Gesellschafter der US Inc. mit einem Erwerber einen schuldrechtlichen Kaufvertrag über sämtliche Anteile (sog. signing). Der Vollzug der Transaktion steht unter mehreren Bedingungen (sog. closing conditions), auf die die Veräußerer und der Erwerber keinen Einfluss haben (z.B. kartellrechtliche Freigabe). Unmittelbar nach Erfüllung aller closing conditions wird im Februar 2027 die Übertragung der Anteile von Y an der US Inc. vollzogen. Y war Anfang Januar 2027 nach Österreich (Abwandlung: Schweiz) unter Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland verzogen.

Lösung

Geht man davon aus, dass die für eine Veräußerung i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG notwendige Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums i.S.v. § 39 AO an den Anteilen erst mit Vollzug der Transaktion erfolgt,[9] scheidet eine Veräußerungsgewinnbesteuerung in Deutschland aus. Im Zuzugstaat entsteht keine Steuer, da nach nationalem Steuerrecht als Anschaffungskosten der gemeine Wert bei Zuzug zugrunde gelegt wird (Österreich) oder Kapitalgewinne generell nicht besteuert werden (Schweiz). Eine Wegzugsteuer nach § 6 kommt nicht in Betracht, da Y vor dem Wegzug nicht mindestens sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig i.S.v. § 1 Abs. 1 EStG war.

 

Rz. 303

[Autor/Stand] Unbeschränkt Steuerpflichtiger i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1. Die Wegzugsteuertatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 (dazu ausf. Rz. 350 ff., 365 ff., 431 ff.) können wie bisher nur von natürlichen Personen (dazu Rz. 309) als Anteilsinhabern i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (dazu Rz. 333) verwirklicht werden. Hinzukommen muss, dass der Anteilseigner im Zeitpunkt der Verwirklichung eines Ereignisses i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 als "unbeschränkt Steuerpflichtiger" (vgl. Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1) qualifiziert. § 6 Abs. 2 füllt diesen Begriff aus. Danach sind "unbeschränkt ...

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