Rz. 21

[Autor/Stand] Zielsetzung der Wegzugsbesteuerung. Das deutsche Ertragsteuerrecht ist verfassungsrechtlich durch das Prinzip einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geprägt. Das dieses konkretisierende Realisationsprinzip gebietet, dass Wertzuwächse im Ausgangspunkt erst bei einer transaktionsbedingten Gewinnrealisierung steuerrechtlich erfasst werden können und Ausnahmen einer besonderen Rechtfertigung bedürfen (ausf. Rz. 155).[2] Die "Wegzugsbesteuerung", begrifflich regelmäßig nur im Zusammenhang mit Anteilen an Kapitalgesellschaften im Rahmen des § 6 gebräuchlich (zum Begriff s. Rz. 23), umfasst jene als gesetzliche Ausnahmen zu qualifizierenden "Ersatzgewinnrealisierungstatbestände"[3], die nicht erst bei der tatsächlichen Realisierung von Wertzuwächsen ansetzen, sondern zur Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts einen vorgelagerten Steuerzugriff ermöglichen. Deren Tatbestände zielen primär auf jene Sachverhalte, die rechtlich ein deutsches Besteuerungsrecht beschränken oder ausschließen, d.h. ein teilweises oder vollständiges Ausscheiden von stillen Reserven aus der deutschen Steuerhoheit zeitigen (würden). Angesprochen sind bspw. Sachverhalte, die dazu führen, dass stille Reserven künftig nicht mehr besteuert werden könnten, weil auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht kein steuerlicher Anknüpfungspunkt mehr besteht oder ein deutscher Steuerzugriff aufgrund abkommensrechtlicher Regelungen eingeschränkt würde (s. zur Frage der Notwendigkeit einer Wegzugsbesteuerung Rz. 22). Zu den eine "Wegzugsbesteuerung" im hier verstandenen Sinne auslösenden Normen zählt nicht nur § 6 (für Wertzuwächse in Anteilen i.S.v. § 17 EStG), sondern auch § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 (für sog. alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 UmwStG 1995), § 17 Abs. 5 EStG, §§ 4 Abs. 1 Satz 3, 16 Abs. 3a EStG (jeweils für im Betriebsvermögen gehaltene Kapitalgesellschaftsanteile) und – wenn auch steuersystematisch etwas anders gelagert – § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 AStG. Der Neufassung des § 6 liegt über die Sicherstellung des Besteuerungsrechts an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile zudem die unschwer aus dem Gesetz (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2, Satz 2, Abs. 4 Satz 5 Nr. 4 und Nr. 5, Satz 6) und der Gesetzesbegründung ableitbare Intention zu Grunde, eine steuerfreie Ausschüttung von Dividenden nach Wegzug ebenso einzuschränken wie die Möglichkeit, die Anteile schenkungsteuerfrei in die nächste Generation zu übertragen.[4]

 

Rz. 22

[Autor/Stand] Notwendigkeit einer Wegzugsbesteuerung? Die Frage der Notwendigkeit einer Wegzugsbesteuerung nach Maßgabe des § 6 wäre zu verneinen, wenn sich die von § 6 angeordnete Besteuerungsfolge bereits aus allgemeinen Steuergrundsätzen ergäbe und/oder ein deutsches Besteuerungsrecht an den in Deutschland bis zum Wegzug steuerverhafteten stillen Reserven ungeachtet eines DBA auch nach einem Wegzug fortbestünde. Der BFH hat die bereits bei der Einführung des § 6 bestehende Streitfrage, ob es für im Privatvermögen gehaltene Anteile i.S.v. § 17 EStG einen allgemeinen Entstrickungsgrundsatz gäbe, verneint (Rz. 1).[6] Ohne eine ausdrückliche Regelung durch § 6 würden auch heute bei einem Wegzug die stillen Reserven nicht "automatisch" aufgedeckt. Abkommensrechtlich ist – ohne besondere Regelungen – auch eine Aufteilung der stillen Reserven unter den Steuerzugriff der "beteiligten" Vertragsstaaten bei Veräußerung der Kapitalgesellschaftsbeteiligung nicht möglich.[7] Der BFH[8] hat zwar in seinen Entscheidungen zur Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme und finalen Betriebsaufgabe ausgeführt, dass ein Verlust des deutschen Besteuerungsrechts an unter der deutschen Steuerhoheit entstandenen stillen Reserven nicht zu beobachten sei, weil diese im Fall der (späteren) tatsächlichen Realisation auch unter Anwendung eines DBA nach Maßgabe einer dem Art. 7 OECD-MA vergleichbaren Regelung in Deutschland besteuert werden könnten.[9] Diese Rechtsprechung kann aber nicht auf Gewinne bei tatsächlicher Veräußerung von im steuerrechtlichen Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen durch natürliche Personen übertragen werden.[10] Die insoweit regelmäßig einschlägigen Regelungen (entsprechend Art. 13 Abs. 5 OECD-MA, s. Rz. 117) lassen eine entsprechende Aufteilung nicht zu, sondern erfassen nur punktuell die zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehenden Veräußerungsgewinne und weisen diese ausschließlich ("können nur") dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zur Besteuerung zu.[11] Aus diesem Grund besteht für den deutschen Gesetzgeber die Notwendigkeit, sich über die dem Art. 13 Abs. 5 OECD-MA entsprechenden Verteilungsregeln hinwegzusetzen, um die unter seiner Steuerhoheit entstandenen stillen Reserven durch eine vorgezogene Wegzugsbesteuerung besteuern zu können.

 

Rz. 23

[Autor/Stand] Begriff der "Wegzugsbesteuerung" und der "Wegzugsteuer". Das deutsche Steuerrecht kennt im Bereich der Besteuerung natürlicher Personen[13] selbst keinen normierten Begriff...

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