Rz. 1

[Autor/Stand] Historische Entwicklung vor Einführung des § 6. Bis zur Einführung des § 6 kannte das deutsche Steuerrecht keine gezielte[2] gesetzliche Möglichkeit,[3] bei der Verlegung des Wohnsitzes eines Gesellschafters mit wesentlicher Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt der Wohnsitzverlegung eine Besteuerung der stillen Reserven durchzuführen, auch wenn nach dem Wegzug das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen war.[4] Die Finanzverwaltungen einzelner Länder[5] hatten aber Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre im Hinblick auf die zunehmende Zahl ausgewanderter Vermögensmillionäre (s. Rz. 2) begonnen, Wohnsitzverlagerungen v.a. in die Schweiz steuerlich aufzurollen mit dem Ziel, auf der Grundlage eines allgemeinen Grundsatzes der Steuerentstrickung eine Besteuerung der stillen Reserven auch ohne Veräußerung vorzunehmen.[6] Im zeitlichen Vorfeld hierzu hatte der BFH[7] zwar für den betrieblichen Bereich seine (später wieder aufgegebene – s. Rz. 65) sog. finale Entnahmetheorie entwickelt. Für im Zuge der Einbringung von Betriebsvermögen in Kapitalgesellschaften erhaltene (sog. einbringungsgeborene) Anteile wurde bereits mit dem Gesetz über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform v. 14.8.1969[8] durch § 18 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 UmwStG 1969 eine Regelung eingeführt, die bei Wechsel des Anteilseigners in die beschränkte Steuerpflicht (Nr. 1) bzw. bei Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts an den Gewinnen aus der Veräußerung durch ein DBA (Nr. 2) eine fiktive Veräußerungsgewinnbesteuerung nach § 16 EStG vorsah.[9] Hiermit wurde letztlich aber nur ein Rechtsgedanke kodifiziert, den der BFH später[10] bereits für den Zeitraum vor der Gesetzesregelung als zutreffend ansah. Für eine Übertragung dieser Grundsätze auf im Privatvermögen gehaltene wesentliche Beteiligungen i.S.v. § 17 EStG[11] fanden sich hingegen kaum Befürworter,[12] selbst nicht auf Seiten der Finanzverwaltung,[13] was später vom BFH als zutreffend bestätigt werden sollte.[14] Es bestand jedoch Konsens darüber, dass es der deutsche Fiskus nicht länger hinnehmen könne, dass Gesellschafter mit wesentlichen Beteiligungen vor einem Verkauf in einen DBA-Staat verzogen und die Beteiligung ohne eine Besteuerung in Deutschland und dem Zuzugsstaat[15] veräußerten.[16]

 

Rz. 2

[Autor/Stand] Prominente Auswandererfälle im Vorfeld. Es steht außer Frage, dass die Einführung des § 6 (s. Rz. 3) durch zunehmende Wohnsitzverlagerungen von Vermögensmillionären[18] und insbesondere durch verschiedene prominente Auswanderfälle motiviert war.[19] Die häufige Bezeichnung des § 6 als "Lex Horten"[20] zielt dabei auf den medial begleiteten[21] und später vom BFH ertragsteuerrechtlich gewürdigten[22] Wegzug des Unternehmers Helmut Horten, der nach Umwandlung der Horten GmbH in eine AG[23] in 1968 seinen Wohnsitz Ende 1968 in die Schweiz verlegte und im Herbst 1969 seine Unternehmensbeteiligungen – in Form von sog. einbringungsgeborenen Anteilen einerseits sowie Anteilen i.S.v. § 17 EStG andererseits – veräußerte.[24] Gegenüber der Steuerforderung des deutschen Fiskus i.H.v. kolportierten 250 Mio. DM[25] bzw. 450 Mio. DM[26] berief er sich – wenn auch im Ergebnis hinsichtlich der auf die einbringungsgeborenen Anteile entfallenden Veräußerungsgewinne nicht vollends erfolgreich[27] – auf den Abkommensschutz des DBA-Schweiz. Im Hinblick auf den "Horten-Fall" war für sog. einbringungsgeborene Anteile bereits mit dem Gesetz über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform v. 14.8.1969[28] durch § 18 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 UmwStG 1969 eine Regelung eingeführt worden, die bei Wechsel des Anteilseigners in die beschränkte Steuerpflicht (Nr. 1) bzw. bei Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts an den Gewinnen aus der Veräußerung durch ein DBA (Nr. 2) eine fiktive Veräußerungsgewinnbesteuerung nach § 16 EStG vorsah.[29] Dies ist die eigentliche "Lex Horten"[30], auch wenn der "Horten-Fall" eine wesentliche Ursache auch für die Einführung des § 6 war.[31] Ähnliche Öffentlichkeitswirksamkeit erlangte der Wegzug von Ernst Wilhelm Sachs,[32] dem Bruder des bereits 1935 in die Schweiz übergesiedelten Gunter Sachs. Ernst Wilhelm Sachs hatte seinen Wohnsitz in 1968 in den Kanton Graubünden verlegt, kurz bevor die Brüder Sachs einen Großteil ihrer Anteile an der Fichtel & Sachs AG für kolportierte[33] 550 Mio. DM Veräußerungserlös ohne Steuerbelastung veräußerten. Hingegen erfolgte der Wegzug der mehrfachen Olympiasiegerin Liselott Linsenhoff erst Ende 1972 unter Geltung des § 6. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland in 1974[34] ergab sich eine Diskussion darüber, ob der von den Finanzbehörden geltend gemachte Steueranspruch nach § 6 Abs. 1 i.H.v. kolportierten 30 Mio. DM[35] bis 100 Mio. DM[36] über die Rückkehroption i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 entfallen könne[37] und die – so die Zeit v. 10.10.1975[38] – per Bankdarlehen und Pferdeverkäufen finanzierten monatlichen Ratenzahlungen von...

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