Rz. 87

[Autor/Stand] § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG (Wegzugsbesteuerung bei Wegzug der Beteiligungsgesellschaft). § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG sieht – bei insoweit gleicher Formulierung ("stehen der Veräußerung der Anteile zum gemeinen Wert gleich") wie § 6 – eine fiktive Veräußerung[2] von Anteilen i.S.v. § 17 EStG an Kapitalgesellschaften für den Fall vor, dass das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile aufgrund der Verlegung des Sitzes (§ 11 AO) oder des Orts der Geschäftsleitung (§ 10 AO) in einen anderen Staat ausgeschlossen oder beschränkt wird. Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern sind damit jene (eher seltenen) Konstellationen angesprochen, in denen entweder ein bisher unbeschränktes deutsches Besteuerungsrecht (inländische Kapitalgesellschaft, ausländische Kapitalgesellschaft und Anwendung von Art. 13 Abs. 5 OECD-MA, dazu Rz. 117) beschränkt oder ausgeschlossen wird oder ein beschränktes Besteuerungsrecht (ausländische Kapitalgesellschaft im Nicht-DBA-Staat, ausländische Kapitalgesellschaft im DBA-Staat und Anwendung einer Immobiliengesellschafts- oder Sitzstaatsklausel, dazu Rz. 118 f.) ausgeschlossen wird. Bei beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern an inländischen Kapitalgesellschaften setzt eine wegzugsbedingte Gewinnrealisierung in Deutschland voraus, dass Deutschland bisher ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zustand (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG). Dies ist nur der Fall, wenn kein DBA bestand oder in Abkommensfällen (ausnahmsweise) Deutschland ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen vorbehalten ist (dazu Rz. 118 ff.). Eine Ausnahme von der Sofortbesteuerung sieht § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG für Fälle der (identitätswahrenden) Sitzverlegung der Kapitalgesellschaft in einen EU-Staat vor (dazu Rz. 90).

 

Rz. 88

[Autor/Stand] Konkurrenzverhältnisse. Die von § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG erfassten Fälle sind bei unbeschränkt Steuerpflichtigen tatbestandlich grds. zugleich unter § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 subsumierbar. § 6 Abs. 1 Satz 1 sieht aber – ebenso wie schon § 6 Abs. 1 Satz 3 a.F.[4] – u.a. eine vorrangige Anwendung des § 17 Abs. 5 EStG vor (s. Rz. 292). Der Tatbestand des § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG verlangt anders als § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 keine siebenjährige unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland innerhalb der letzten zwölf Jahre. Auch die übrigen Vorschriften des § 6 a.F. bzw. § 6 n.F. finden keine Anwendung. Nicht zutreffend ist die Ansicht, eine Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 könne aufleben, wenn die Besteuerung nach § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG gem. § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG ausgeschlossen werde.[5] § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG beruht auf dem zwingend zu beachtenden Verbot des Art. 10d Abs. 1 FRL, wonach eine Besteuerung der Anteilseigner einer SE anlässlich deren Sitzverlegung nicht zulässig ist. Zudem sieht in diesen Fällen § 17 Abs. 5 Satz 3 EStG – flankiert durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG bei beschränkter Steuerpflicht – im Wege eines (wirksamen) Treaty Override vor, dass Deutschland den Anteilseigner bei tatsächlicher Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile besteuern kann. Eine parallele Anwendung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 ist hiermit nicht verträglich. Eine besondere Problematik bestand bis einschließlich VZ 2021, wenn der Wegzug der Kapitalgesellschaft in einen Nicht-EU-/EWR-Staat erfolgte und zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen von § 12 Abs. 3 KStG a.F. (Rechtsfolge: Auflösung der Kapitalgesellschaft) und § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG erfüllt waren. Ging man davon aus, dass § 12 Abs. 3 KStG a.F. auf Anteilseignerebene durchschlug,[6] käme nicht § 17 Abs. 5, sondern § 17 Abs. 4 EStG zur Anwendung.[7] Überzeugender war aber, § 12 Abs. 3 KStG als reine Gewinnermittlungsvorschrift für Zwecke der wegziehenden Gesellschaft einzuordnen[8] und § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG für die Gesellschafter der in einen Drittstaat wegziehenden Kapitalgesellschaft anzuwenden.[9] § 12 Abs. 3 KStG a.F. ist durch das KöMoG[10] mit Wirkung ab dem VZ 2022 aufgehoben worden. Nur wenn es bei Wegzug in Drittstaaten zu einer zivilrechtlichen Auflösung der Gesellschaft käme, ist an eine Anwendung von § 17 Abs. 4 EStG zu denken.[11]

 

Rz. 89

[Autor/Stand] Allgemeine Rechtsfolgen des § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG. Auf den fiktiven Veräußerungsgewinn findet das Teileinkünfteverfahren uneingeschränkt Anwendung (§ 3 Nr. 40 EStG). Die Besteuerung greift zu Lasten des Steuerpflichtigen sofort, ohne dass ihm Liquidität zufließen würde. Milderungsmaßnahmen, wie sie bisher in Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 a.F. mit EU-/EWR-Bezug über § 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 a.F. (Entfall der Wegzugsteuer bei Wiederverstrickung) oder § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 a.F. (dauerhafte, zinslose Stundung) bzw. in § 6 Abs. 4 (Ratenzahlung) zu gewähren waren bzw. wären, kennt § 17 Abs. 5 EStG nicht. Das führt zu verfassungsrechtlich bedenklichen Wertungswidersprüchen.[13]

 

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