Wann werden Partei, Anwalt oder Zeuge vom Erscheinen entbunden?

Einen Gerichts­termin nicht ein­zu­halten, kann für den Pro­zess­ver­treter ebenso wie für die Partei fol­gen­schwer sein und: nicht aller Richter neigen zum glei­chen Maß an  Gro­ß­zü­gig­keit. Muss der Anwalt sich, bei Ter­min­dichte oder Stau, Sie­ben­mei­len­stiefel besorgen, muss eine Partei ihren Urlaub ver­legen, um vor Gericht zu erscheinen? Was ist zu ent­schul­digen und wann drohen Nach­teile?

Die Anord­nung des per­sön­li­chen Erschei­nens einer Partei zur Auf­klä­rung des Sach­ver­halts gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist auf­zu­heben, wenn im Termin zur münd­li­chen Ver­hand­lung des Rechts­streits keine Fragen zum Sach­ver­halt offen geblieben sind und der Rechts­streit ohne wei­teren Vortrag durch Urteil ent­schieden wird. Die Ver­hän­gung eines Ord­nungs­gelds gegen eine trotz ord­nungs­ge­mäßer Ladung nicht erschie­nene Partei ist in einem solchen Fall unzu­lässig.

175 km Ent­fer­nung zum Gericht sind kein Grund für ein Nicht­er­scheinen

Man muss auch mal etwas weiter fahren, wenn der Richter ruft, doch es muss auch wirk­lich nötig sein. Das hat der BGH ent­schieden (Beschluss v. 12.6.2007, VI ZB 4/07). Begrün­dung: Die per­sön­liche Ladung nach § 141 ZPO diene allein der Sach­ver­halts­auf­klä­rung. Mit dem Ord­nungs­geld dürfe keine Sank­tion der­ge­stalt ver­bunden werden, dass damit die Miss­ach­tung des Gerichts durch Fern­bleiben bei der münd­li­chen Ver­hand­lung bestraft werde.

Der Fall betraf ein Unfall­opfer, das Scha­dens­er­satz aus einem Ver­kehrs­un­fall von Fahrer, Halter und Kfz-Haft­pflicht­ver­si­cherer ver­langte. Zur münd­li­chen Ver­hand­lung ordnete das Amts­ge­richt das per­sön­liche Erscheinen des Klägers und der Beklagten an. Der dama­lige Pro­zess­be­voll­mäch­tigte der Beklagten hat bean­tragt, die Beklagten von der Ver­pflich­tung zum per­sön­li­chen Erscheinen zu befreien. Das Amts­ge­richt hat dar­aufhin verfügt, dass die Beklagten ihrer Ver­pflich­tung zum per­sön­li­chen Erscheinen durch Ent­sen­dung eines infor­mierten und unbe­schränkt bevoll­mäch­tigten Ver­tre­ters zum Termin nach­kommen könnten.

In der münd­li­chen Ver­hand­lung waren Kläger und die Beklagten zu 1 und zu 2 per­sön­lich erschienen. Die Haft­pflicht­ver­si­che­rung dagegen erschien nicht; für sie war auch kein nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO ermäch­tigter Ver­treter erschienen. Das Amts­ge­richt hat dar­aufhin in der münd­li­chen Ver­hand­lung der Haft­pflicht­ver­si­che­rung ein Ord­nungs­geld von 200 EUR auf­er­legt. In der Sache selbst hatte das Amts­ge­richt ohne weitere münd­liche Ver­hand­lung ein Grund­ur­teil gegen die Beklagten ver­kündet, das rechts­kräftig geworden ist. Die dar­aufhin seitens der Ver­si­che­rung ein­ge­legte Beschwerde hatte das Amts­ge­richt nicht abge­holfen und sie dem Land­ge­richt vor­ge­legt. Dieses hat die Beschwerde zurück­ge­wiesen, weil das per­sön­liche Erscheinen der Beklagten nicht aus einem wich­tigen Grund unzu­mutbar gewesen sei. Ins­be­son­dere sei das per­sön­liche Erscheinen der Partei nicht wegen der Ent­fer­nung von 174,8 km zwi­schen dem Geschäfts­sitz der Haft­pflicht­ver­si­che­rung und dem Gericht unzu­mutbar.

Auch die all­ge­meine beruf­liche Belas­tung des Vor­standes führe nicht zur Unzu­mut­bar­keit des per­sön­li­chen Erschei­nens. Dass die Beklagte als Kraft­fahr­zeug­haft­pflicht­ver­si­cherer eine Viel­zahl von Pro­zessen führe, mache das per­sön­liche Erscheinen, das nur ange­ordnet werde, wenn es der erken­nende Richter zur Auf­klä­rung des Sach­ver­halts für geboten halte, eben­falls nicht unzu­mutbar.

Auch dieses Problem wurde inzwischen in der Praxis durch die Möglichkeit der Teilnahme an der Verhandlung per Videokonferenz gemäß § 128a ZPO entschärft.

Feh­lende Ver­gleichs­be­reit­schaft ent­bindet nicht vom Erscheinen

Soweit die Beklagte bereits vor der münd­li­chen Ver­hand­lung mit­ge­teilt habe, sie sei nicht ver­gleichs­be­reit, hindere dies die Anord­nung des per­sön­li­chen Erschei­nens nicht, stellte der BGH klar. Die Rüge der Rechts­be­schwerde, das Land­ge­richt habe zu Unrecht fest­ge­stellt, dass für die Beklagte kein gemäß § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO ermäch­tigter Ver­treter erschienen sei, hatte vor dem BGH eben­falls keinen Erfolg.

Ohne Voll­macht keine Ver­tre­tung und Voll­macht ist nicht gleich Voll­macht

Zwar mag - auch ohne Vorlage der Unter­voll­macht - zugunsten der Haft­pflicht­ver­si­che­rung davon aus­zu­gehen sein, dass der im Termin zur münd­li­chen Ver­hand­lung des Rechts­streits auf­ge­tre­tene Unter­be­voll­mäch­tigte in vollem Umfang Pro­zess­voll­macht besaß. Aus­weis­lich der Sit­zungs­nie­der­schrift war er von der Beklagten jedoch nicht gemäß § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO bevoll­mäch­tigt. Eine solche Ermäch­ti­gung wird schon nach dem Wort­laut der gesetz­li­chen Rege­lung nicht ohne weitere Umstände von der Pro­zess­voll­macht umfasst.

Zwar enthält die Pro­zess­voll­macht regel­mäßig auch die Voll­macht zu einem Ver­gleichs­ab­schluss (§§ 81, 83 ZPO). Darüber hinaus muss der Ver­treter nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO aber auch in der Lage sein, über den auf­klä­rungs­be­dürf­tigen Sach­ver­halt Aus­kunft zu geben. Das wird häufig die Kennt­nisse eines Sach­be­ar­bei­ters erfor­dern und regel­mäßig über die nur aus mit­tel­baren Infor­ma­tionen abge­lei­teten, ledig­lich punk­tu­ellen Kennt­nisse eines Pro­zess­be­voll­mäch­tigten und erst recht über die eines mit der Sache in der Regel nicht näher befassten Unter­be­voll­mäch­tigten hin­aus­gehen.

Pra­xis­hin­weis: Das per­sön­liche Erscheinen vor Gericht kann manchmal aus pro­zess­tak­ti­schen Erwä­gungen durchaus nütz­lich sein, auch wenn es nicht ange­ordnet ist. Dies folgt aus einer grund­le­genden Ent­schei­dung des BGH, wonach der Richter im Rahmen der freien Beweis­wür­di­gung gemäß § 286 ZPO grund­sätz­lich einer glaub­wür­digen Partei ihren Sach­vor­trag glauben kann. Nach dieser Ent­schei­dung ist es dem Gericht erlaubt, allein auf­grund des glaub­haften Vor­trages einer Partei im Prozess ohne Beweis­er­he­bung und ohne förm­liche Par­tei­ver­neh­mung gemäß §§ 447, 448 ZPO fest­zu­stellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (BGH, Urteil v. 27.9.2017, XII ZR 48/17).

Gericht muss gesetz­li­chen Ver­treter laden

Was den Vor­stand letzt­lich rettete, war die Tat­sache, dass das Gericht nur die Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft geladen hatte, nicht aber ihn per­sön­lich als deren gesetz­li­cher Ver­treter. Jeden­falls ließ sich das der Akte nicht ent­nehmen. Die Ver­si­che­rung hatte zwar ihrer­seits das Ladungs­schreiben nicht vor­ge­legt. „Das gereicht ihr jedoch nicht zum Nach­teil, weil ihr die ord­nungs­ge­mäße Ladung eines gesetz­li­chen Ver­tre­ters als Vor­aus­set­zung für den Ord­nungs­geld­be­schluss nach­zu­weisen ist“, betonte der BGH.

Feh­lende Ver­gleichs­be­reit­schaft kann per­sön­li­cher Ladung ent­ge­gen­stehen

Nachdem die Haft­pflicht­ver­si­che­rung schon vor der münd­li­chen Ver­hand­lung mit­ge­teilt hatte, dass Ver­gleichs­be­reit­schaft nicht bestehe, kam eine Anord­nung des per­sön­li­chen Erschei­nens - wie geschehen - allen­falls noch zur Auf­klä­rung des Sach­ver­halts in Betracht. Inso­weit mag zwar nicht zwei­fel­haft sein, dass ein Vor­stands­mit­glied einer öffent­lich-recht­li­chen Anstalt sich die Sach­ver­halts­kennt­nisse eines Sach­be­ar­bei­ters der Anstalt aneignen muss. Im hier zu ent­schei­denden Fall war aber nach Ansicht des BGH nicht ersicht­lich, „dass das Erst­ge­richt in der münd­li­chen Ver­hand­lung Sach­ver­halts­fragen hätte erör­tern wollen, deren vor­he­rige (auch schrift­liche) Erfra­gung nicht zweck­mäßig, deren Beant­wor­tung aber zu einer umfas­senden Erle­di­gung des Rechts­streits erfor­der­lich gewesen wäre“.

Schlagworte zum Thema:  Sanktion, Gerichtsverfahren