Arbeitsrecht zwischen Aktionismus und Laissez-faire

Kolumnist Alexander R. Zumkeller wirft dieses Mal einen Blick auf zwei vom Gesetzgeber ganz unterschiedlich behandelte Themen. Während die gesetzliche Korrektur der Betriebsratsvergütung geradezu im Eiltempo das Gesetzgebungsverfahren durchläuft, ist vom gesetzgeberischen Bemühen rund um die Zeiterfassung mittlerweile gar nichts mehr zu spüren. Ob einfach beim Nachbarn abschreiben eine Lösung wäre?

Nach vielen Jahren vielfältigster Änderungen im Arbeitsrecht – ich habe an dieser Stelle einiges gelobt, aber auch manches heftig kritisiert - weiß ich überhaupt nicht, über was ich in meiner heutigen Kolumne berichten könnte. Fällt mir etwa nichts mehr ein?

(Fast) nur Lob für die Betriebsrätevergütung

Für die Vorschläge der "Kommission Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung", aus denen mittlerweile ein Gesetzentwurf wurde (in der Begründung im Übrigen mit denselben Schreibfehlern wie bereits im Vorschlag der Kommission), gibt es inhaltlich von mir ein Lob. Warum?

Es handelt sich im Wesentlichen um Klarstellungen, um die Aufnahme der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in das Betriebsverfassungsgesetz. So werden kleinere korrigierende Eingriffe ermöglicht, die für mehr Rechtssicherheit sorgen. Der Vorschlag ist ausgewogen und folgt keineswegs dem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) herausgegebenen "Gesetzentwurf für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz", der bei der Betriebsratsvergütung eher einen Exzess vorsieht als eine praxisgerechte, umsetzbare Lösung. Bei der Vergütung von Betriebsräten die erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen zu berücksichtigen (so der DGB-Vorschlag für einen neuen § 37 Abs. 4 S. 2 BetrVG) ist nicht nur praxis-untauglich (nur ein Beispiel: Wer legt die Höhe eines Bonus hinsichtlich persönlicher Leistungsbestandteile fest und wie?), er würde auch Tür und Tor für Missbrauch öffnen - und, (manch einem großen Unternehmen in bestimmten Branchen sicher recht), die "best practice" der übermäßigen Betriebsratsvergütung rechtfertigen und damit aus der Strafbarkeit herausbringen, die seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs droht (BGH, Urteil vom 10. Januar 2023, Az. 6 StR 133/22).

Der jetzt von der Bundesregierung verabschiedete Gesetzentwurf schreibt die bestehende Rechtsprechung des BAG im Wesentlichen fest. Damit hat der Gesetzgeber dem BGH, der meint, eine Anpassung der Vergütung und Position sei nur möglich, wenn ein Betriebsrat einzig und alleine wegen seiner Betriebsratstätigkeit diese berufliche Entwicklung nicht genommen habe, Paroli geboten – aber nur in einem nicht exzessiven Sinn.

Nein, Exzesse, das privilegieren die novellierten §§ 37 Abs. 4 und 78 S. 2 BetrVG nicht: Die Erforderlichkeit der Vergleichbarkeit mit einer betrieblich üblichen bzw. tatsächlich realistisch möglichen Entwicklung wird nicht aufgegeben, und - wohltuend zu lesen - "der bloße Zuwachs an Kompetenzen, Kenntnissen und Fähigkeiten während der Ausübung des Amtes als Betriebsrat begründet ohne Bezug zu einer konkreten Stelle im Betrieb und deren Anforderungsprofil keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung". Rein hypothetischen und damit exzessiven "Sonderkarrieren" ist damit ein Riegel vorgeschoben. Ich meine: richtig so; das Amt eines Betriebsrates ist und bleibt ein Ehrenamt.

Der Aktionismus alleine ist es, der verwundert: Für, ich behaupte 99,9 Prozent der Unternehmen ist dieses Thema genau eines nicht – nämlich ein Thema. Die Zeitreihe bislang: BGH-Entscheidung am 10. Januar 2023, Einsetzung der Expertenkommission am 15. Mai, Übergabe des Entwurfs am 12. Juli, Referentenentwurf am 26. Oktober und Gesetzentwurf der Bundesregierung am 1. November. Die Verabschiedung durch den Bundestag soll im Januar 2024 erfolgen. Rasant. Warum? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Arbeitszeitgesetz: reine Lethargie

Ich behaupte, dieses Thema geht mindestens 30 Millionen Erwerbstätige an. Die Zeitreihe: Entscheidung des EuGH am 14. Mai 2019, Gutachten Prof. Dr. Rieble vom 22. Juli 2019, Gutachten Prof. Dr. Bayreuther vom August 2019 (beides, mit Verlaub, keine "Gut"-Achten), Urteil des Arbeitsgerichts Emden am 20. Februar 2020, Gutachten Prof. Dr. Thüsing vom Januar 2023, Referentenentwurf aus dem BMAS vom 27. März 2023 … spurlos verschwunden. Gefühlt gab es diesen Referentenentwurf nie. Nicht zwischen den Fachministerien abgestimmt und damit sozusagen null und nichtig. Nicht gerade rasant, sondern eher Kategorie "In dieser Legislaturperiode wird das wohl nichts mehr".

Warum? Weil die Politik nicht bedacht überlegt, was sie will (von "Experimentierräumen" war im Koalitionsvertrag noch die Rede) sondern vorschiebt, was EuGH und europäische Richtlinie (angeblich!) vorgeben. Und das alles dauert, dauert, dauert – nunmehr bald vier (!) Jahre. Vier Jahre Rechtsstillstand, Ungewissheit. Investitionen in (eigentlich) unnötige Zeiterfassungs-Hard- und Software. Die Industrie, die Stechuhren (natürlich die moderne Version davon, also Chipkarten-Leser) herstellt und Software dazu liefert, freut es. Rund 500 Millionen Euro werden dafür wohl ausgegeben werden. Und wenn dann das Gesetz kommt, vielleicht sogar von einer anders als heute zusammengesetzten Regierung, wird es heißen "Ihr hättet ja auf das Gesetz warten können" – denn ein Großteil der 500 Millionen Euro wird fehlinvestiert sein, gleichgültig ob das Gesetz flexibler wird (und es der Aufwände nicht bedurft hätte), oder strenger (und damit die Software und Betriebsvereinbarungen nachgebessert werden müssen).

Ich nenne das Rechtsverweigerung. Aber selbst bei Ämtern kann da nur eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht werden, die - wie der Anwaltsmund sagt - "formlos, fristlos, fruchtlos" wäre. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde über die Bundesregierung – wo müsste die eigentlich eingereicht werden?

Es muss weitergehen, also "schreibt es halt ab"

Arbeitsrecht ist eine dynamische Sache. Neue Anforderungen kommen auf uns zu – und die "alten Geschichten" sind noch nicht gelöst. Statt Überregulierung mehr Flexibilität und Subsidiarität wagen, sag ich da nur. Fast – aber nur fast – sind wir Praktiker bereit zu sagen: "Gebt uns doch irgendein Gesetz, mag es noch so schlecht sein, aber schafft Klarheit!". Denn schlechte Gesetze sind wir gewohnt, nur ohne Gesetze kommen wir halt im Sinne des Rechts- und des Betriebsfriedens nicht aus.

Schreibt halt im Notfall einfach das österreichische Arbeitszeitgesetz ab. Das ist flexibler als unseres und sieht Arbeitszeiterfassung auch schon vor. Oder will etwa jemand behaupten, unsere Nachbarn in der Alpenrepublik würden seit Jahren mit europarechtswidrigen Regelungen arbeiten?


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.