Tarifliche Freistellung bei Menstruation

Tarifpolitik quo vadis? Das fragt sich unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller angesichts der jüngsten Tarifregelung eines Fahrradherstellers in Nordrhein-Westfalen, deren Ziel mehr Geschlechtergerechtigkeit ist.

Auch die IG Metall bezeichnet die sowohl rechtlich als auch tatsächlich überflüssige und sogar gefährliche Regelung eines Tarifvertrags mit einem Fahrradhersteller in Nordrhein-Westfalen als "Novum": Erstmals vereinbarte die IG Metall in einem Haustarifvertrag "zwei zusätzliche Tage Freistellung für Menstruation sowie kostenfreie Periodenartikel – als Zeichen der Geschlechtergerechtigkeit". Ab 2025 erfolgt eine Erhöhung auf vier Menstruationsfreistellungstage. Die Begründung für die Schaffung dieser Tarifvorschrift lautet, dies trage zur Enttabuisierung der Menstruation bei. Wörtlich verlautbart die IG Metall: "Dies ist ein wichtiger Schritt, um das Bewusstsein für weiblichen Bedürfnisse zu schaffen und ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu fördern."

Gleiches Recht für alle

Ich möchte, dass sich jeder an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt – alle Beschäftigten, nicht nur diejenigen eines Geschlechts. Ich möchte, dass wer aus welchem Grund auch immer nicht arbeiten kann (also krank ist), sich angstfrei arbeitsunfähig melden kann. Jede Beeinträchtigung des Wohlbefindens– auch eine Menstruation – sollte angstfrei angesprochen werden können ("Ich komme vielleicht erst heute Nachmittag, meine Regel macht mir Schwierigkeiten").  Im Zweifel sollte das nicht nur für die weibliche Periode gelten, sondern auch für andere Beschwerden. Vielleicht liegen die IG Metall und ich in dieser Bewertung gar nicht so weit auseinander.

Ich möchte das Thema nicht sozialpolitisch beurteilen. Ich habe eine klare Meinung dazu und die fällt nicht positiv aus. Es gibt auch typische Männerbeschwerden, doch weder ist hierfür eine Freistellung vorgesehen noch kostenfreie Nahrungsergänzungsmittel – insofern scheitert diese Tarifregelung ohnedies früher oder später am Gleichbehandlungsgrundsatz. Aber lassen wir das. Hier geht es nur um eine arbeitsrechtliche Betrachtung und aus dieser Perspektive ist eine solche Tarifregelung – wie eingangs schon erwähnt - überflüssig und gefährlich.

Erstens: Arbeitsrechtlich überflüssig

Jedem ist klar, dass Menstruationen sehr unterschiedlich verlaufen können – von nahezu unbemerkt bis hin zu ausgesprochen schmerzhaft. Das Arbeitsrecht hat dafür klare Antworten: liegt ein regelwidriger Gesundheitszustand vor, der die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich macht, sprechen wir von Arbeitsunfähigkeit. Extreme Probleme mit der Regelblutung können also, je nach Job, Arbeitsunfähigkeit auslösen. Und die bezahlt ohnedies der Arbeitgeber. Halten wir fest: Für diejenigen Tage, für die eine Beschäftigte eine (bezahlte) Freistellung benötigt, erhält sie diese auch. Und zwar häufiger und länger als zwei Tage im Jahr. Die Regelung im Tarifvertrag ist schlicht überflüssig.

Haben wir die Situation, dass ihre Periode die Frau nicht oder nur wenig beeinträchtigt, ist eine (bezahlte) Freistellung von der Arbeit nicht indiziert. Dann ist eine tarifvertragliche Regelung, die zwei Freistellungstage im Jahr vorsieht, ebenfalls überflüssig.

Zweitens: Unverhältnismäßigkeit der Regelung

Man muss nicht erst googeln, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass bei einer Frau die Periode rund einmal monatlich eintritt und ein paar Tage andauert. Vor diesem Hintergrund ist die Tarifregelung nicht geeignet, mit einer Freistellung von nur zwei Tagen im Jahr eine Rechtfertigung zu finden. Eine flexible Arbeitszeitregelung, die Vor- und Nacharbeiten erlaubt und dies im gegebenen Fall sogar als Anspruch, wäre ein geeigneteres Mittel.

Drittens: Datenschutzrechtlich hoch brisant

Ich kenne den Tarifvertrag nicht, er ist (noch) nicht veröffentlicht. Aber man wird davon ausgehen müssen, dass die Freistellung an die Tatsache einer Menstruation anknüpft (die IG Metall spricht von "Periodenfreistellung für menstruierende Kolleginnen"). Nun verhält es sich so, dass bei bestimmten Anlässen die Periode ausbleibt: Stress, starkes Unter- oder Übergewicht, Verwendung von Verhütungsmitteln, Menopause, Schwangerschaft oder bei Transsexuellen nach der geschlechtsangleichenden Operation.

Knüpft die Freistellung an die Tatsache einer Menstruation an, so wird die Beschäftigte dem Arbeitgeber in irgendeiner Weise die Menstruation anzeigen müssen – und sei es konkludent durch tatsächliche Freizeitnahme ("Ich nehme die Tage frei und bestätige damit schlüssig, an diesen Tagen meine Menstruation gehabt zu haben"). Das ist noch einigermaßen harmlos, auch wenn jeder Datenschutzbeauftragte bereits hier einschreiten wird.

Kommt die Meldung aber nicht und wird die Freistellung nicht mehr genommen, so hat die Frau offenbar (zeitweise oder auf Dauer) keine Menstruation. Einer der vorgenannten menstruationshindernden Anlässe muss also vorliegen und dabei handelt es sich um sensible Beschäftigungsdaten, die ohne Weiteres gar nicht erhoben und gespeichert werden dürfen. Mit gutem Grund: Nehmen wir eine 30-jährige Frau an, die die Freistellung nicht (mehr) nutzt, so hat der Arbeitgeber weit vor einer etwaigen Schwangerschaftsmeldung schon ein klares Indiz für die Schwangerschaft. Oder bei einer 50-jährigen Frau, die die Freistellung nicht mehr nutzt, ein Indiz für die Menopause.

Viertens: Unwirksamkeit der Regelung wegen Verfassungsverstoßes

Knüpft die Freistellung hingegen nicht an die Tatsache der Menstruation an, ist sie hochgradig ungleichbehandelnd. Eine solche Regelung würde stark an den 1948 durch die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) durchgedrückte "Gesetz über Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand" in Nordrhein-Westfalen erinnern. Das Schicksal des Gesetzes nahm 1979 das Bundesverfassungsgericht in die Hand und erklärte es wegen Ungleichbehandlung für verfassungswidrig.

Und dieses Schicksal muss auch diesen Tarifvertrag treffen: Sollten Frauen, die keine Menstruation haben – insbesondere nicht nur vorübergehend, sondern dauernd (Menopause, Exstirpation, geschlechtsanpassende Operation) – weiterhin den Anspruch auf Freistellung haben, besteht nun einmal eine sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung gegenüber Nicht-Frauen (also gegenüber Männern oder Frauen nach geschlechtsanpassender Operation).

Ein Tarifvertrag, der Geschichte schreibt?

Ja, dieser Tarifvertrag schreibt Geschichte, weil er weder erforderlich, noch geeignet und schon gar nicht verhältnismäßig ist. Der Arbeitgeber hat sich durch Unterzeichnung dieses Tarifvertrages auf erhebliches Glatteis begeben, sowohl datenschutzrechtlich als auch arbeitsrechtlich. Wenn es "ganz dumm" kommt, hat aufgrund dieser Regelung jeder Beschäftigte zwei Tage Freistellungsanspruch. Dies kann man dann vielleicht bei der weiteren Verhandlungsverpflichtung zur Arbeitszeitverkürzung anrechnend einbringen.

Die IG Metall verkündet: "Die Rechtsgültigkeit der Tarifverträge wird am 30. September 2023 durch die Mitglieder der IG Metall mit 97 Prozent Ja-Stimmen in einer Mitgliederversammlung besiegelt". Meine These hingegen lautet: "Die Rechtsunwirksamkeit der Tarifregelung wird durch einen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts besiegelt." Geschichte wird mit einer solchen Tarifregelung also auf jeden Fall geschrieben – fragt sich nur, ob das so gewollt war.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.


Schlagworte zum Thema:  Freistellung, Arbeitsunfähigkeit, Arbeitsrecht