Betriebsverfassungsgesetz müsste konsensorientierter sein

Die Fälle sind nicht selten, in denen die Betriebspartner durch alle Instanzen hindurch mit dem Kopf durch die Wand wollen. Wenig sinnvoll findet das unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller. Er plädiert dafür, mit Vernunft und Einigungswillen an die Dinge heranzugehen.

Gar nicht so richtig wahrgenommen wurde eine – aus meiner Sicht nahezu revolutionäre – Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 17. Oktober 2023, Az. 1 ABR 24/22: Die Nutzung eines Handys während der Arbeitszeit kann untersagt werden. Mitbestimmungsfrei.

Von der Schwierigkeit, Ordnungs- und Arbeitsverhalten zu differenzieren

Wäre ich vor dieser Entscheidung gefragt worden, hätte ich geantwortet, dass es sich bei Handynutzung während der Arbeitszeit um das Thema "Ordnung im Betrieb" handelt. Dieser – mitbestimmungspflichtige – Tatbestand ist vom (mitbestimmungsfreien) „Arbeitsverhalten“ recht schwer abzugrenzen. Das BAG differenziert wie folgt: "Das Ordnungsverhalten ist berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt." Und das Arbeitsverhalten umfasst "solche Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar abgefordert oder konkretisiert wird". Machen Sie den Selbsttest: Betrifft ein Handyverbot das Ordnungs- oder das Arbeitsverhalten?

Handynutzung in der Arbeitszeit: "schaffen, nicht daddeln"

Wenn Ziel ist, ein "zügiges und konzentriertes Arbeiten der Arbeitnehmer sicherzustellen, indem mögliche Ablenkungen privater Natur durch die Verwendung dieser Geräte unterbunden werden" überwiegt die Regelung des Arbeitsverhaltens. So ist es beim Handy-Gebrauch während der Arbeitszeit. Sagt das BAG nun unmissverständlich. Als Schwabe würde ich sagen, die Beschäftigten sollen "schaffen, nicht daddeln".

Was bedeutet die Entscheidung jetzt für Radiohören und Rauchen?

Unweigerlich kommt die Überlegung auf, welche bisherigen Kippelfälle noch fallen werden. Schnell denkt man an die Untersagung des Radiohörens. Da brauchen wir aber gar nicht lange zu überlegen: Wegen des Gesetzesvorbehalts (ein Mitbestimmungsrecht besteht nach § 87 BetrVG ja nur, soweit nicht ein Gesetz anderes regelt) lässt sich das relativ einfach über eine andere Schiene lösen. Wenn das Gerät nämlich nicht regelmäßig sicherheitsgeprüft ist, darf es gemäß der Betriebssicherheitsverordung im Unternehmen gar nicht eingesetzt werden – und einen Anspruch der Beschäftigten, dass der Arbeitgeber diese gar nicht so preisgünstige Überprüfung vornimmt, gibt es nicht. Damit kommt im Übrigen auch gleich die private Kaffeemaschine weg und das Aufladen des Smartphones im Betrieb ist auch passé. Denn welcher Beschäftigte hat sein Ladegerät schon sicherheitsüberprüfen lassen? Richtig, keiner, und der Arbeitgeber muss seine Ladegeräte dafür nicht zur Verfügung stellen.

In dieselbe Kategorie gehören dürfte spätestens jetzt das Rauchen. Wenn es das BAG ernst nimmt (konzentriertes Arbeiten sicherstellen, indem Ablenkungen privater Natur unterbunden werden) handelt es sich beim Drehen der Kippe, dem Anzünden und Achtgeben, dass das Zündholz nicht in eine leicht entflammbare Region und die Kippe nicht auf den Boden fällt, beim sorgsamen Löschen und Entsorgen des Stummels durchweg um private Tätigkeiten, bei denen kein Zweifel besteht und bei denen es aus meiner Sicht keine Frage ist, dass diese noch so kleinen, aber dennoch Sorgfalt erfordernden Schritte vom konzentrierten Arbeiten ablenken.

Ganz zu schweigen vom privaten Surfen mit dem Unternehmens-PC. Generell, weil der Arbeitgeber nicht gestatten muss, überhaupt seine Betriebsmittel für private Zwecke nutzen zu lassen, aber nun auch ganz sicher, weil das fraglos ein erhebliches Ablenkungspotential von der konzentrierten Arbeit mit sich bringt.

Warum wir Streit nicht bis zum BAG tragen sollten

Aber sehen wir das einmal von einer anderen Warte an: ist es sinnvoll, dafür einen Rechtsstreit bis zum BAG zu führen? Für mich fraglich. Warum?

  1. Das Verfahren hat von der Entscheidung der ersten bis zur letzten Instanz 18 Monate gedauert. Der Arbeitgeber hatte die Weisung am 18. November 2021 ausgegeben, die BAG-Entscheidung wurde am 17. Oktober 2023 verkündet - also zwei Jahre Konflikt im Betrieb. Wer will das?
       
  2. Wäre eine Einigungsstelle vielleicht preisgünstiger gewesen? Zumal sie sich (wie wir aber erst heute wissen) für unzuständig hätte erklären müssen. Sind beide Betriebspartner schlau, streiten sie sich nicht langwierig und teuer vor Gericht über die Anzahl der Beisitzer und den Vorsitzenden und hätten nach vielleicht zwei Monaten Betriebsfrieden schließen können. Der Kosten- und Nervenaufwand wäre deutlich geringer gewesen. Wobei, Systemfehler, es muss ja eh alles der Arbeitgeber zahlen (in anderen Ländern ist das nicht so).
       
  3. Muss man wirklich (immer) einen Blick ins Gesetz, hier das BetrVG, werfen? Ich mache meinen Job nun seit fast 40 Jahren. Zu Betriebsräten gehe ich nie mit dem Gesetz in der Hand. Wir haben immer Lösungen angestrebt – keine Streitigkeiten. Ich will nicht ausschließen, dass - aus welchem Grund auch immer - ein Konflikt mit dem Betriebsrat mal vor dem Arbeitsgericht ausgetragen werden muss. Ich möchte auch niemanden abhalten, bis zum BAG zu geben. Ein BAG-Richter meinte zu mir einmal: "Wenn Du die Fälle nicht bis zu uns hochtreibst, wirst Du nie erfahren, was Recht ist.“ Stimmt wohl - aber ich möchte nicht Recht, sondern eine betrieblich tragbare Lösung.
       
  4. Warum ist die Mediation im BetrVG immer noch nicht angekommen? Das würde es möglich machen, Lösungen entsprechend der (wirklichen) Interessen zu finden und Kompromisse einzugehen, statt auf Positionen zu beharren. So ließe sich verhindern, dass eine Partei als Verlierer dasteht (und der anderen dann bei nächster Gelegenheit zeigen muss, dass es auch andersherum geht …).

Vision von einem konsensorientieren Betriebsverfassungsgesetz

Werde ich gefragt, was ich gerne hätte, dann wäre mein Wunsch, das Betriebsverfassungsgesetz komplett umzubauen. Statt harter Regelungen von paritätischer Mitbestimmung, Widerspruchsrecht, Sachverständigen, Einigungsstellen und Gerichtsverfahren bis hin zur Keule des § 23 Abs. 3 BetrVG hätte ich gerne ein (wirklich) konsensorientiertes Gesetz. Die Einigungsstelle war ein erster Schritt dahin, wobei immer noch der Nachteil bleibt, dass nicht die Parteien, sondern – im Falle eines Spruches – ein Externer bestimmt.

Eine Vision? Vielleicht. Sicher gehört dazu, dass auf beiden Seiten Vernunft und Einigungswille besteht. Ich behaupte, das ist in den meisten Fällen so. Zum BAG gelangt ja nur eine kleine Spitze eines, wie ich denke, sehr kleinen Eisbergs. Es wäre ein Gesetz, das nötig wäre, um eine kleine Minderheit zur Räson zu bringen. Schade, dass dies erforderlich zu sein scheint!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.