Warum die 33-Stunden-Woche eine Vision bleiben wird

Wie sieht die Zukunft der Arbeit in Deutschland aus? Darüber wird vielerorts von unterschiedlichsten Protagonisten debattiert. Auch unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller diskutiert mit - und vermisst bisweilen den Blick für die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten.

In letzter Zeit werde ich gerne mal pro bono engagiert, vom Forum Kirche und Gesellschaft, von Service-Clubs oder vom evangelischen Kirchentag. Immer wieder interessiert das Thema "Personalpolitik der Zukunft". Auf dem evangelischen Kirchentag hatte ich dazu eine besonders interessante Diskussion mit Jutta Allmendinger, Andrea Nahles und Katja Hessel.

Vom Markt der Eitelkeiten …

Zunächst das wohl unumgängliche Blitzlichtgewitter – um Frau Nahles und die ebenfalls angereiste Manuela Schwesig. Der mitgereisten Entourage war das Wichtigste, wo wer sitzt, um möglichst gut zur Geltung zu kommen. Vom Mittelplatz wurde ich daher auf linksaußen "versetzt". Mir war das recht … ich bin auch nicht so wichtig!

Ich möchte hier nicht die ganze Diskussion wiedergeben. Die Kurzfassung lautet: wir brauchen mehr Regulierung (Frau Allmendinger und Frau Nahles) versus mehr Deregulierung (Frau Hessel und ich). Was mich hier veranlasst, das Thema aufzunehmen, ist die "Vision" von Frau Prof. Dr. Allmendinger – "die 33-Stunden-Woche" (nachdem ich die Vier-Tage-Woche als Buzzword bezeichnet hatte).

… zur Vision

Nun, die Forderung – nein: die Vision – kommt von einer Soziologin. Der Gedanke "jeder nach seinem Bedarf" mag ein wenig dahinterstecken (das erinnert an die frühen Kibuzze mit sozialistischem Ansatz; das funktioniert, ja, aber nur in einem beschützenden System).

Ich hätte mir gewünscht, dass ein Volkswirt mit auf dem Podium gewesen wäre. Wohlfahrt ist nur möglich mit mehr, nicht mit weniger Arbeit. Wir werden in etwa 15 Jahren von 47 auf 40 Millionen Erwerbstätige zurückfallen. Wir sind eine Exportnation. Und Schöngeister schwärmen von einer 33-Stunden- Woche …

Sind Visionen mathematisch umsetzbar?

Aber gehen wir das mal ganz nüchtern rechnerisch an:

Unterstellen wir, wir können 25 Prozent der künftig fehlenden Erwerbstätigen durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz ersetzen. Unterstellen wir weiter, 25 Prozent können wir durch intelligente Migration ersetzen (intelligent heißt, die Länder, aus denen migriert wird, nicht "leerzusaugen", denn wir wollen ja weiter exportieren). Und nehmen wir an, weitere 25 Prozent können wir durch Auffüllen des Qualifications-GAP und durch verstärkte Erwerbstätigkeit von heute nicht Erwerbstätigen auffüllen. Dann bleiben immer noch 1,5 Millionen Erwerbstätige, die uns fehlen werden.

Die Erwerbstätigen arbeiten künftig 33 Stunden pro Woche. Nehmen wir mal an, nach einem Bachelorstudium wird das Erwerbsleben mit 23 Jahren begonnen und es wird bis 67 gearbeitet. Das sind 44 Jahre. Heute ist in der Metallindustrie tariflich die 35-Stunden-Woche vorgesehen bei 30 Tagen Urlaub. Das macht in 44 Jahren zu je 220 Arbeitstagen 67.760 Stunden. Und dabei wissen wir erstens, dass das schon heute nicht ausreicht - Mehrarbeit ist an der Tagesordnung - zweitens, dass es in anderen Branchen weniger Urlaub und mehr Arbeitszeit gibt (man also noch weiter weg ist von einer 33-Stunden-Woche) und drittens ist klar, dass uns das in Zukunft hinten und vorne nicht reicht. Aber rechnen wir es einfach durch. Nimmt man die derzeit gearbeiteten 67.760 Lebensarbeitsstunden, so entspräche das bei 33 Wochenstunden 2.053 Arbeitswochen. Geteilt durch 33 Stunden wie von Frau Allmendinger visioniert, kommen wir dann auf eine Lebensarbeitszeit von 46,7 Jahren. Das hieße Arbeiten bis knapp 70, und das ohne Urlaub. Und damit hätten wir nur die heutige Produktivität erreicht.

Soll höhere Produktivität vergütet werden?

Frau Allmendinger spricht von Studien, die eine deutlich höhere Produktivität bei Einführung der 4-Tage-Woche belegten. Wenn das so ist – sicher nicht bei jedem Beruf – können wir, unterstellt wir erreichen eine höhere Produktivität von fünf Prozent, vielleicht beim Renteneintrittsalter 67 bleiben. Mir erscheint das schon viel. Urlaub gibt es rein rechnerisch jedoch dann immer noch nicht.

Aber im Ernst: wenn durch arbeitszeitliche Maßnahmen die Produktivität gesteigert werden kann, warum sollte diese nicht vergütet werden? Nun, in der Produktion ist das mit Refa-Methoden vielleicht noch zu belegen. Aber bei einem Personalbeschäftigten? Was ist der Maßstab? Die Anzahl der Abmahnungen, die er oder sie ausspricht? Wohl kaum.

Ist die 4-Tage-Woche umsetzbar?

Aber warum eigentlich nicht die 4-Tage-Woche? 35 Stunden auf 4 Tage verteilt, bedeutet statt 5 Tage zu je 7 Stunden eben 4 Tage zu je 8,75h. Arbeitszeitrechtlich wäre das unproblematisch zu machen. Auch betrieblich wäre das in vielen Fällen machbar.

Warum dann nicht auch eine 33-Stunden-Woche? Nein, volkswirtschaftlich, wie oben vorgerechnet, ist das undenkbar. Andere Lösungen bieten sich an: flexiblere Arbeitszeiten je nach Lebenssituation. Warum nicht nach der Ausbildung mit 40 Stunden oder sogar 48 Stunden pro Woche beginnen, in der Familienphase auf 30 Stunden absenken, sich dann vielleicht auf 35 Stunden einpendeln? 40 Stunden, ein Sabbatical einlegen, dann wieder mal mehr, mal weniger … ganz nach individuellem Bedarf. Warum nicht? Weil die Beschäftigten eine zumindest stete, wenn nicht sogar stetig ansteigende Vergütung erwarten.

Könnte das funktionieren? Die Betriebe können das nicht auf die Beine stellen. Die Beschäftigten werden künftig noch häufiger den Arbeitgeber wechseln als bisher. Angesichts dessen ein Zeitguthaben portabel zu gestalten – "schwierig" ist da noch untertrieben. Vielleicht müssen dafür die Versicherer oder der Staat her: jeder wird nach einer 33-Stunden-Woche vergütet, arbeitet er mehr, kommt das als Guthaben in die "Kasse", arbeitet er weniger, wird das seiner Kasse entnommen. Machbar? Vielleicht schon. Aber denken Sie nur an die Insolvenzsicherung! Und das mag mit 35 Stunden irgendwie klappen, aber nicht mit 33. Es sei denn, man ist bereit, bis 70 zu arbeiten.

Und was wäre, wenn das "Guthaben" aufgebraucht ist? Zu Leistung kann niemand verurteilt werden, also müsste sich das im Geldbeutel auswirken. Aber das Ziel war ja gerade, das das nicht passiert!

Flexibilität möglich?

Ich komme nochmal auf die Podiumsdiskussion auf dem Kirchentag zurück. Eine "Auflockerungsübung" war, nach einer Frage stehen zu bleiben oder sich zu setzen. "Altersteilzeit oder Sabbatical – Altersteilzeit stehen, Sabbatical setzen". Ich glaube, ich war der Einzige, der sich gesetzt hat. Sabbatical eben. Flexibilisierung! Aber dafür scheint die Gesellschaft noch nicht bereit zu sein. Wie sollte dann solch ein 33-Stunden-Modell jeweils umgesetzt werden können? Aber wie sagte Frau Allmendinger: eine Vision. Und das bleibt es wohl auch.

Lassen wir stattdessen lieber Beschäftigte so arbeiten, wie sie möchten. Auch über 10 Stunden pro Tag hinaus, wenn denn ein entsprechender Ausgleich in einem definierten Zeitraum erfolgt. Auch ohne Ruhezeit von 11 Stunden, wenn sie ihre Arbeitszeit frei einteilen und damit Privat- und Berufsleben besser zusammenbringen können. Deregulieren. Was hatte ich auf dem Kirchentag gesagt? "Lassen wir doch diejenigen die Regeln machen, die am besten wissen, welchen Arbeitsschutz man braucht: Betriebsräte oder Gewerkschaften mit Arbeitgebern". Frau Nahles beantwortete dies mit der Forderung nach einem Tarifzwang. Nun, das wäre ein wenig verfassungswidrig – aber die Verfassung kann man ja ändern.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.