Energiewende: Warum für's Heizen kaum Wasserstoff übrig bleibt

Die Bundesregierung spendiert über den Daumen gepeilt in den kommenden zehn Jahren neun Milliarden Euro, mit denen Wasserstoff die Energieversorgung revolutionieren soll. Auch für die Wärmeversorgung von Immobilien gibt es Ambitionen. Doch das Zauberelixier reicht nicht für alles.

Wasserstoff – je nach Sichtweise als Champagner der Energiewende gelobt oder verspottet – ist das neue Zauberelixier eben jener. Doch die Potenziale von Wasserstoff im Wärmemarkt sind begrenzt.

Die Wasserstoff (H2)-Moleküle könnten in Gasnetzen beigemischt und beim Endverbraucher in der Gasheizung verbrannt werden. Zur Beimischung erlaubt sind nach den Richtlinien des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) derzeit 9,99 Prozent H2 im Erdgas, das fast ausschließlich aus Methan (CH4) besteht. Diesen Anteil halten alle Leitungen aus. Auch die Gaskessel bei den Verbrauchern verkraften diese Menge, wenngleich der Heizwert niedriger ist.

Technisch möglich wäre sogar eine Beimischung von 20 Prozent. Bei einem höheren H2-Anteil im CH4 könnten die Stahlrohre der Fernleitungsnetze verspröden. In den Verteilnetzen auf regionaler und lokaler Ebene dürfte es keine Schwierigkeiten geben. Denn die bestehen meistens aus Polyethylen (PE) und können H2 gut vertragen. Also alles bestens? Die Gaswirtschaft wird nicht müde, genau das zu behaupten. Doch wo sollen diese 20 Prozent herkommen?

Wundermittel Wasserstoff: Es gibt nicht genug grünen Strom

Deutschland verbraucht im Jahr rund 930 Terawattstunden (TWh) Erdgas (alle Angaben beziehen sich auf das Vor-Corona-Jahr 2019; Angaben: AGEB, BDEW). Wichtigste Anwendung ist die Industrie mit industriellen Kraftwerken, gefolgt von den Haushalten, die mehr als 290 TWh verbrauchen. Die erneuerbaren Energien, also Sonne, Wind und Biomasse sowie Wasserkraft, produzierten 2019 um die 237 TWh an Strom. Daraus lässt sich mittels Elektrolyse grüner Wasserstoff herstellen.

Setzt man einen 70-prozentigen Wirkungsgrad der Elektrolyse voraus, ergäben sich daraus 166 TWh grünen Wasserstoffs, der dann aber komplett für das Beheizen von Wohnungen draufginge. Da die Leitungen ja nur zu 20 Prozent mit Wasserstoff befüllt werden dürfen, sofern die rechtlichen Vorgaben gelockert würden, wären das 33,2 TWh. Allerdings würde dieser Strom für Elektroautos, Computer, Licht und alles sonst, was unser modernes Leben möglich macht, nicht zur Verfügung stehen beziehungsweise die Kapazitäten müssten entsprechend zugebaut werden.

Eine Illusion ist schon vom Tisch: Dass man den benötigten Wasserstoff quasi mit Überschussstrom von Windkraft- und Solaranlagen, die sonst abgestellt werden müssten, nebenbei mit erzeugt. Denn nur 0,5 Prozent der Strommenge werden jährlich in Deutschland abgeregelt, das sind etwa 5 TWh jährlich. Bei einem 70-prozentigen Wirkungsgrad der Elektrolyseure würden daraus 3,5 TWh an Wasserstoff entstehen – das ist nicht einmal ein Zehntel dessen, was für den Wärmemarkt bei einer 20-prozentigen Befüllung der Erdgasleitungen nötige wäre. Außerdem benötigen die Elektrolyseure, um wirtschaftlich zu arbeiten, mindestens 3.000 Jahresarbeitsstunden und damit eine regelmäßige Stromproduktion. Potenziell abgeschaltete Windräder und PV-Anlagen können diesen nicht liefern.

Deswegen setzt die Gaswirtschaft nicht nur auf grünen, sondern auch auf blauen und andersfarbigen Wasserstoff.

Wasserstoff: Farbenlehre nach Herstellungsverfahren

Grüner Wasserstoff: Elektrolyse von Wasser mittels Stroms aus regenerativen Quellen (vorrangig Windkraft und Photovoltaik). Grüner Wasserstoff ist zu 100 Prozent CO2-frei.

Grauer Wasserstoff: Dampfreformierung aus fossilen Brennstoffen, vorrangig Erdgas. Bei der Produktion von 1 t Wasserstoff entstehen 10 t CO2, die in die Atmosphäre entweichen.

Blauer Wasserstoff: wie grauer Wasserstoff. Das CO2 wird jedoch abgeschieden und eingelagert. Diese Form gilt deswegen als CO2-neutral. Die bekannteste Methode ist Carbon Capture and Storage (CCS), die in Deutschland jedoch verboten ist.

Türkiser Wasserstoff: Thermische Spaltung von Methan, also Erdgas, durch erneuerbare Wärmequellen. Statt CO2 entsteht fester Kohlenstoff, der für eine CO2-Neutralität dauerhaft gebunden werden muss, also nicht für andere Verbrennungsprozesse genutzt werden darf.

Orangener Wasserstoff: Jüngstes Kind in der H2-Familie. Strom für Elektrolyse stammt aus Müllheizkraftwerken oder H2 wird direkt aus Biomasse hergestellt. Möglich wurde dies durch das "Gesetz zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungsquote".

Wasserstoff aus Krisenregionen: eine Alternative?

Dass es nicht genügend grünen Wasserstoff gibt, weiß die Bundesregierung. Deswegen sieht die Nationale Wasserstoffstrategie auch vor, Projekte in sonnenreichen Ländern rund ums Mittelmeer und in Vorderasien voranzutreiben, dort mit billigem Strom Wasserstoff zu erzeugen und den dann nach Deutschland zu importieren.

Preislich wäre das interessant. In diesen Regionen ist die Sonneneinstrahlung bis zu dreimal höher als hierzulande. Die weltgrößte Photovoltaikanlage in Saudi-Arabien produziert eine Kilowattstunde (kWh) Strom für weniger als einen US-Cent. Photovoltaik in Deutschland kostet etwa sechs US-Cent, Windkraft an Land etwa fünf US-Cent. Zwei der neun Milliarden Euro aus der Nationalen Wasserstoffstrategie sind deshalb für Partnerschaften vorgesehen, die in Arabien und dem Maghreb grünen Wasserstoff für deutsche Verbraucher herstellen – sicher nicht der schlechteste Ansatz.

Nur ist die Region alles andere als politisch stabil. Schon eines der ersten Großprojekte, das in Marokko mit einem 100-Megawatt-Elektrolyseur inklusive Meerwasserentsalzungsanlage entstehen soll, steht auf der Kippe. 325 Millionen Euro sollten dorthin fließen.

Grüner Wasserstoff ist vor allem eines: teuer!

Wenn sich die Strategie der regierung als Sackgasse erweist, ist Wasserstoff als erneuerbarer Brennstoff für den Wärmemarkt gestorben. Denn das Potenzial in Deutschland reicht nun einmal "vorne und hinten" nicht aus.

Zudem ist der Stoff, aus dem die H2-Träume sind, schlichtweg zu teuer. Deutschland bräuchte für eine grüne Zukunft ab 2050 rund 500 bis 800 Millionen Tonnen sauberen Wasserstoffs. Der Preis müsste, um tatsächlich marktfähig, bei etwa zwei US-Dollar pro Kilogramm liegen. Derzeit sind es zehn Dollar. Ob noch ein Preisrutsch kommt, ist offen.

Eine Alternative, um die Gasleitungen grün zu machen, wäre sicher Biogas. Derzeit fallen viele Anlagen nach 20 Jahren Betrieb aus der Förderung durch das Kraft-Wärmekopplungs-Gesetz. Das Biogas könnte ins Gasnetz eingespeist werden. Die Potenziale sind vielversprechender als eine grüne Wasserstoffstrategie, die preislich und mengenmäßig nicht abzuschätzen ist. Bis 2030, so der Branchenverband BDEW, könnten 10,3 Milliarden m³ Biomethan, was 100 TWh entspricht, in das deutsche Gasnetz eingespeist werden. Das wäre ein Drittel des derzeitigen Erdgasbedarfs der Haushalte. Und es wäre grün, ohne technische Probleme.

Wasserstoff: Champagner oder Tafelwasser? Was ist nun richtig?

Trotz aller Nachteile hält die Politik an ihrer Strategie fest und will Wasserstoff mit viel Geld mit der Brechstange installieren. "Viele sagen, Wasserstoff sei der Champagner unter den alternativen Kraftstoffen, er ist viel zu teuer, viel zu knapp und viel zu aufwendig in der Herstellung. Das ist aber falsch. Wir brauchen den Wasserstoff als Tafelwasser“, so Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Wo er diesen Optimismus hernimmt, bleibt dabei sein Geheimnis.

Realistischer ist da schon die Energiewendeexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Grüner Wasserstoff wird in vielen Bereichen benötigt, in denen es sonst keine Alternativen zu fossilen Grundstoffen oder Energieträgern gibt – etwa in der Stahl- und der Chemieindustrie. In anderen Sektoren, in denen es jedoch schon jetzt Alternativen zu Öl und Gas gibt – sei es im Wärmemarkt oder bei Pkw –, sollte man wegen der genannten Probleme auf Wasserstoff verzichten. Denn Wasserstoff ist keineswegs das neue Öl, sondern der Champagner unter den Energieträgern", sagt sie. Und: Da, wo man Strom effizienter direkt nutzen könne, sollte man das auch tun. Ihre Lösung für den Wärmemarkt: die Wärmepumpe.

Die Immobilienwirtschaft ist bestens beraten, von Wasserstoff im großen Maßstab die Finger zu lassen. Er wird nach heutigem Ermessen ein sehr teurer Energieträger, der nur in Spezialanwendungen der Industrie oder Mobilität zu verbrauchen ist. Die direkte Nutzung erneuerbaren elektrischen Stroms als Heizquelle in gut gedämmten Häusern ist die beste Variante. Grüner Wasserstoff wird hier nie eine Alternative sein.


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