Statistik: Ampel-Koalition verfehlt Wohnungsbauziel erneut

Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, pro Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen. Obwohl die Zahl der Fertigstellungen laut dem Statistischen Bundesamt im vergangenen Jahr leicht gestiegen ist, bleibt das ambitionierte politische Ziel weiterhin klar außer Reichweite. Wo liegt der Fehler?

295.300 Wohnungen wurden im Jahr 2022 fertiggestellt – das sind 0,6 Prozent beziehungsweise 1.900 Wohnungen mehr als 2021, wie das Statistische Bundesamt am 23. Mai mitteilte. Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung von jährlich 400.000 neuen Wohnungen wurde aber wieder nicht erreicht. Bei den Mehrfamilienhäusern wurde ein Plus von 1,5 Prozent verzeichnet.

Für dieses Jahr rechnet die Baubranche mit höchstens 250.000 Wohnungen, die fertiggestellt werden. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) bewertet den leichten Anstieg bei der Zahl neugebauter Wohnungen 2022 positiv: "Der Bau bleibt auch in der Krise stabil." Ökonomen und Immobilienbranche warnen wiederum: Ein Absturz sei noch nicht aus der Welt.

Wohnungsbau: "Kein Grund zum Jubeln"

Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), Tim-Oliver Müller, zeichnete ein düsteres Bild: "Zur Wahrheit gehört, dass fast alles fertiggestellt wurde, was noch im Bau war. Dieses Polster ist nun aufgebraucht." Auch 2024 sei kaum Besserung in Sicht.

Die Zahlen seien trotz des leichten Anstiegs "kein Grund zum Jubeln", sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Dass das Bauziel verfehlt wurde, sei "umso tragischer, als dass die Zahl der fertiggestellten Wohnungen in den kommenden Jahren abnehmen dürfte – vor allem aufgrund der zuletzt massiv gestiegenen Zinsen". Und der große Bauüberhang werde kaum zu einem nachhaltigen Anstieg der Fertigungszahlen führen.

"Die Folgen der zahlreichen Stornierungen unter den aktuellen Rahmenbedingungen werden erst in den nächsten Jahren in vollem Umfang zum Tragen kommen", meinte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Er schiebt die Entwicklung unter anderem auf das "Förderfiasko" vom Frühjahr 2021. Damals seien Projekte des bezahlbaren Wohnungsbaus reihenweise abgesagt worden, weil sie nicht mehr finanzierbar waren.

Immobilienbranche fordert angemessene Förderung

"Wir brauchen umgehend kurzfristige Maßnahmen, die schnell greifen, damit unsere Unternehmen wieder in die Lage versetzt werden können, Neubauprojekte aufzusetzen", führte Gedaschko aus. Für die Bauwilligen gebe es derzeit weder Planungssicherheit noch eine angemessene Förderung.

Nach mehr Geld ruft auch die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau). Der Staat solle 72 Milliarden Euro bis 2025 in die Hand nehmen, sagte Gewerkschaftschef Robert Feiger. 50 Milliarden davon sollten als Sondervermögen in den Bau von Sozialwohnungen fließen. "Nur dann kann es noch klappen, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen." Zudem müsse es 22 Milliarden Euro für den bezahlbaren Wohnungsbau geben. "Den Absturz beim Wohnungsbau – dieses Risiko darf Bundesfinanzminister Lindner nicht eingehen", so Feiger.

Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) schätzt, dass im Jahr 2025 rund 700.000 Wohnungen in Deutschland fehlen werden. Die Bundesregierung müsse den öffentlichen Wohnungsbau massiv fördern. Der ZIA hat vor kurzem seinen Abschied von Forderungen nach neuen Milliarden-Subventionen bekannt gegeben – und einen Verzicht von Ländern und Kommunen auf das Abschöpfen von Mitteln beim Bau von Wohnungen gefordert.

Bundesstatistik: Einbruch bei den Einfamilienhäusern

Von den fertiggestellten Einheiten waren 258.800 in Wohngebäuden. Das entspricht einem Prozent (2.400) mehr Wohnungen als im Vorjahr. Dabei stieg die Zahl neuer Wohnungen in Zweifamilienhäusern stark um 14,1 Prozent (2.800) auf 23.000. In Mehrfamilienhäusern wurden 150.200 neue Wohnungen gebaut – und damit 1,5 Prozent (2.200) mehr als im Vorjahr. In Wohnheimen registrierte das Bundesamt ein Minus von 14,5 Prozent (1.500 Wohnungen weniger). Gebaut wurden 8.600 Einheiten. In Nichtwohngebäuden entstanden 4.800 Wohnungen, 9,8 Prozent oder 500 weniger als 2021.

Auf Einfamilienhäuser entfielen im vergangenen Jahr laut dem Statistischen Bundesamt 77.100 Wohnungen. Damit wurden 1,5 Prozent (oder 1.200) Einfamilienhäuser weniger fertiggestellt als im Vorjahr. Für viele Familien sei der Traum vom Eigenheim wegen der höheren Zinsen geplatzt, kommentierte Geywitz die Zahlen. Da wolle der Bund helfen. Zum 1. Juni sollten Familien mit einem Einkommen von bis zu 60.000 Euro zinsvergünstigte Kredite von der staatlichen Förderbank KfW bekommen können, sagte die SPD-Politikerin. Die Konditionen sollen noch im Mai bekannt gegeben werden.

Der Immobilienverband Deutschland IVD I Die Immobilienunternehmer forderte die Bundesregierung auf, in einer konzertierten Aktion mit den Landesregierungen für mehr Eigenheime zu sorgen. Derzeit sei unklar, ob für die neue Eigentumsförderung für Familien im Bundeshaushalt noch genug Geld da sei, sagte IVD-Präsident Jürgen-Michael Schick. "Für den Kauf günstigerer Bestandsimmobilien gibt es derzeit gar keine staatliche Förderung." Der finanzielle Zuschuss gelte nur für den höchsten Neubaustandard.

Zu wenig Fertigstellungen: Bauüberhang wächst seit 2008

Die Statistiker ermittelten zum Jahresende 2022 einen Überhang von genehmigten, noch nicht fertiggestellten Wohnungen von 884.800 (plus 38.400 gegenüber 2021). Der seit dem Jahr 2008 anhaltende Anstieg des Bauüberhangs setzte sich damit im Jahr 2022 etwas abgeschwächt fort (2021 lag der Zuwachs bei 67.000 Wohnungen).

Der verlangsamte Zuwachs des Bauüberhangs dürfte laut Bundesbehörde zum Teil an der gestiegenen Zahl erloschener Baugenehmigungen liegen, bei denen in der Regel die mehrjährige Gültigkeitsdauer abgelaufen ist. Diese fließen in die Berechnung nicht ein und haben im Jahr 2022 mit 22.800 den höchsten Stand seit 2006 erreicht. Geywitz zeigte sich eher optimistisch: "Der Anteil erloschener Baugenehmigungen ist sogar noch gesunken: auf drei Prozent", so die Ministerin. 93 Prozent aller Geschosswohnungen und 96 Prozent aller Ein- und Zweifamilienhäuser würden schließlich gebaut.


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dpa
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