Leitsatz (amtlich)

"Absendestelle" im Sinne des § 17 Abs. 4 VwZG kann nach Maßgabe der bestehenden innerdienstlichen Vorschriften der Finanzverwaltung der Kontenverwalter (Buchhalter) der Finanzkasse sein.

 

Normenkette

VwZG § 17

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuer-Veranlagung 1964, ob der Postabsendevermerk des Kontenverwalters (Buchhalters) der Finanzkasse die Einspruchsfrist in Lauf setzte (§ 236 Abs. 1 AO, § 17 Abs. 4 VwZG).

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) war im Streitjahr in O. zusammen mit einem Sozius als Rechtsanwalt tätig. Aufforderungen des FA, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, kam er nicht nach. Nachdem das FA H., das inzwischen Wohnsitz-FA geworden war, die Mitteilung über die vorläufige einheitliche Feststellung des Praxisgewinns für 1964 erhalten hatte, erließ es einen Einkommensteuerbescheid. Der Postabsendevermerk des FA (Kontenverwalters der Finanzkasse) trug das Datum vom 29. November 1966.

Mit Schreiben vom 4. Januar 1967, beim FA eingegangen am 6. Januar 1967, legte der Steuerpflichtige Einspruch ein. Das FA wies ihn mit Schreiben vom 11. Januar 1967 darauf hin, daß die Rechtsbehelfsfrist bereits am 2. Januar 1967 abgelaufen sei. Es setzte ihm für die Geltendmachung von Nachsichtsgründen eine Frist von zwei Wochen. Nachdem keine Äußerung des Steuerpflichtigen eingegangen war, verwarf das FA mit Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 1967 den Einspruch.

Erst nach Absendung der Einspruchsentscheidung ging beim FA am 31. Januar 1967 ein tags zuvor aufgegebener Eilbrief ein, der die Einkommensteuererklärung des Steuerpflichtigen sowie ein Schreiben vom 27. Januar 1967 mit dem Antrag auf Nachsichtgewährung enthielt.

Das FG gab der Klage des Steuerpflichtigen statt und setzte die Einkommensteuer entsprechend der Steuererklärung fest. Es führte aus, der Einspruch sei rechtzeitig eingelegt worden, da die Einspruchsfrist nicht zu laufen begonnen habe. Der Postabsendevermerk des Kontenverwalters der Finanzkasse sei rechtlich ohne Bedeutung, da die Finanzkasse keine "Absendestelle" im Sinne des § 17 Abs. 4 VwZG sei. Auf der Durchschrift des Einkommensteuerbescheides befinde sich nämlich folgende vorgedruckte Verfügung: "Kontenverwalter: Festgesetzte Vorauszahlungen vermerkt; Steuerbescheid mit Datum versehen und nach Beifügung des Kontoauszugs zur Post am ...". Dahinter stünden der Stempelabdruck "29.11.66" und das Namenszeichen des Kontenverwalters. Dieser Absendevermerk sei keine wirksame Beurkundung der Absendung im Sinne des § 17 Abs. 4 VwZG. Postabsendestelle sei vielmehr die Stelle des FA, an der die Bescheide erst mit dem Briefumschlag versehen, frankiert und zur Post gegeben würden. Zwischen der Anbringung des Absendevermerks durch den Kontenverwalter und der Aufgabe zur Post im Sinne des § 17 Abs. 3 VwZG lägen mehrere, von anderen Personen ausgeführte Arbeitsgänge, deren ordnungsmäßigen, zeitgerechten Ablauf der Kontenverwalter nicht aus eigener Kenntnis bezeugen könne. Die innerdienstlichen Vorschriften der Finanzverwaltung (§ 39 Abs. 2 BuchO vom 15. Dezember 1932) muteten dem Kontenverwalter zu, statt des ihm bekannten Tages der von ihm vollzogenen Sollstellung den nach § 17 Abs. 2 VwZG maßgebenden Tag der Aufgabe zur Post im voraus zu beurkunden. Es lasse sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, daß nach der Anbringung des Absendevermerks durch den Kontenverwalter noch Umstände einträten, die zur Folge hätten, daß die tatsächliche Aufgabe zur Post erst an einem anderen Tage geschehe, z. B. infolge eines in den letzten Dienststunden des Tages nicht mehr zu bewältigenden Arbeitsanfalls. Solche Fälle einer Zeitdifferenz zwischen dem Datum des Absendevermerks und dem Zeitpunkt der tatsächlichen Absendung seien dem FG bekannt. Entgegen dem Urteil des BFH I 199/65 vom 9. August 1966 (BFH 87, 233, BStBl III 1967, 134) müsse von dem Grundgedanken des § 17 VwZG ausgegangen werden, wonach zwar den Steuerbehörden wegen der großen Zahl der von ihnen bekanntzugebenden Verwaltungsakte der mit einer förmlichen Zustellung verbundene Verwaltungsaufwand erspart werden solle, dafür aber alle sich aus der fehlenden Beurkundung der Aufgabe des Schriftstücks ergebenden Ungewißheiten von der Behörde in Kauf zu nehmen seien und dem Steuerpflichtigen keine Nachteile bringen dürften. Wenn die Behörde aus verwaltungstechnischen Gründen den Absendevermerk von einem Bediensteten anbringen lasse, der diesen Vorgang nicht bezeugen könne, so müsse sie in Kauf nehmen, daß sie im Streitfall die Aufgabe zur Post nicht in der durch § 17 Abs. 4 VwZG vorgeschriebenen Form beweisen könne. Denn andernfalls würde dem Steuerpflichtigen eine Beweislast dafür aufgebürdet, daß der Bescheid nicht an dem vermerkten Tage in der durch § 17 Abs. 3 VwZG vorgeschriebenen Weise zur Post gegeben worden sei. Eine solche Beweislastumkehrung widerspreche nicht nur dem Sinn und Zweck des § 17 VwZG, sondern sei auch aus praktischen Gründen unzumutbar. Der Nachteil der Behörde bestehe bei der vom FG vertretenen Auslegung lediglich darin, daß in eine sachliche Prüfung des Rechtsbehelfs eingetreten werden müsse. Nach der entgegengesetzten Auffassung würde jedoch der Steuerpflichtige, der den Nachweis der Unrichtigkeit des Aufgabevermerks nicht zu führen vermöge - obgleich ihm nicht die Beweislast obliege -, schwerwiegende materielle Rechtsnachteile erleiden. Der auf der Durchschrift des angefochtenen Bescheides angebrachte Absendevermerk sei daher rechtlich als nicht vorhanden zu betrachten. Es fehle an einem zwingend vorgeschriebenen Erfordernis für das die Zustellung ersetzende Bekanntgabeverfahren des § 17 VwZG. Da der Bescheid dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugegangen sei, sei er zwar wirksam geworden (§ 91 AO), die Einspruchsfrist nach § 236 Abs. 1 AO sei jedoch nicht in Lauf gesetzt worden (Hinweis auf BFH-Urteile II R 57/66 vom 16. Juli 1968, BFH 93, 129, BStBl II 1968, 728; I R 9/68 vom 14. November 1968, BFH 94, 202, BStBl II 1969, 151).

In seiner Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt unrichtige Anwendung der §§ 236 Abs. 1, 239 AO, § 17 VwZG und führt aus, die Einspruchsfrist sei am 2. Januar 1967 abgelaufen gewesen. Der Einspruch sei erst am 6. Januar 1967 beim FA eingegangen. Die Auslegung des § 17 Abs. 4 VwZG durch das FG, "Absendestelle" sei nur eine besonders eingerichtete Postabsendestelle und nicht eine sonstige Stelle, z. B. der nach der inneren Organisation des FA damit betraute Buchhalter der Finanzkasse, sei zu eng. Auch diese Auslegung schließe das Risiko nicht aus, daß gelegentlich die tatsächliche Absendung erst nach dem Tag der Beurkundung eintrete, z. B. bei besonders großem Arbeitsanfall in den letzten Dienststunden des Tages. Die Auslegung des FG würde zu einem nicht vertretbaren Personalmehraufwand der Verwaltung führen. Ein echter Beweisnotstand könne sich für Steuerpflichtige nur in dem seltenen Fall ergeben, in dem der Adressat in fahrlässiger Weise bei unrichtig beurkundeter Absendung und verzögerter Postbeförderung die formelle Einspruchsfrist erst im letztmöglichen Zeitpunkt wahrgenommen habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

§ 17 Abs. 4 VwZG schreibt vor: "Die Absendestelle hat auf der bei den Akten verbleibenden Urschrift des Schriftstücks zu vermerken: Zur Post am .... Der damit beauftragte Beamte hat den Vermerk mit seinem Namenszeichen zu versehen." "Absendestelle" ist die Stelle des FA, die nach den innerdienstlichen Anordnungen die Versendung tatsächlich vornimmt (vgl. BFH-Urteil I 199/65; Nr. 21 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. Oktober 1952, BStBl I 1952, 862). Nach § 18 Abs. 1, § 39 Abs. 2 BuchO fungiert u. a. die Finanzkasse als Absendestelle. § 39 Abs. 2 BuchO ordnet an: "Sobald der Buchhalter den Sollbetrag in die Sollkarte eingetragen hat, hat er ... den Steuerbescheid am gleichen Tage zur Absendung zu bringen. Er hat ferner im Berechnungsbogen den Tag der Sollstellung (das Datum des Steuerbescheids) einzutragen ..." Es ist in der Steuerverwaltung üblich, daß der Kontenverwalter (früher Buchhalter) auch den in § 17 Abs. 4 VwZG geforderten Absendevermerk auf dem Berechnungsbogen, d. h. auf der Urschrift des Bescheids, anbringt, und daß diese Aufgabe nicht dem "Versendungsdienst" (§ 8 Abs. 4 FAGO), d. h. der für den Posteingang und -ausgang zuständigen Poststelle, übertragen ist. Dieser Poststelle kommt nur eine Hilfsfunktion zu. Bei ihr werden die ausgehenden Schriftstücke lediglich kuvertiert und frankiert, um sodann zur Post gebracht zu werden. Der erkennende Senat tritt der Entscheidung I 199/65 darin bei, daß die Anbringung des Absendevermerks durch die Stelle des FA, die den Bescheid "zur Absendung zu bringen" hat, statt durch die Stelle, die den Bescheid in den Gewahrsam der Postanstalt bringt, der Vorschrift des § 17 Abs. 4 VwZG entspricht.

Es liegt im Rahmen des möglichen Wortsinns des § 17 Abs. 4 VwZG, unter "Absendestelle" jede nach der inneren Behördenorganisation "absendende Stelle" zu verstehen. Diese Auslegung des Begriffs entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift und wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen bezieht sich der Senat auf die Ausführungen in dem BFH-Urteil I 199/65. Ergänzend weist er auf das Folgende hin:

In der neueren Rechtsprechung ist zwar anerkannt, daß die Wirksamkeit der Zustellung von Steuerbescheiden in den Fällen des § 17 VwZG von der Aufnahme eines Aktenvermerks über die Aufgabe zur Post abhängt (vgl. BFH-Urteile II 49/64 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 431, BStBl II 1968, 371; II R 57/66; I R 9/68; VI R 327/67 vom 28. Februar 1969, BFH 95, 419, BStBl II 1969, 476). Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß an den Vermerk die gleichen strengen Voraussetzungen geknüpft werden müßten wie etwa an die nach § 213 ZPO vorzunehmende Beurkundung der Aufgabe zur Post. Zwischen diesen beiden Regelungen der "Zustellung durch Aufgabe zur Post" bestehen wesentliche Unterschiede. Die Zustellung durch Aufgabe zur Post im Sinne der §§ 175, 213 ZPO ist förmliche Zustellung in dem strengen Sinne, daß sie mit der Aufgabe zur Post auch dann als bewirkt angesehen wird, wenn die Sendung als unbestellbar zurückkommt (§ 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Dementsprechend ist dort in den Akten zu vermerken, zu welcher Zeit die Aufgabe geschehen ist (§ 213 ZPO), und zwar hat, wie das Gesetz ausdrücklich bestimmt, der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (des Gerichts) den Vermerk aufzunehmen. Solche Bedeutung kommt dem Absendevermerk nach § 17 Abs. 4 VwZG nicht zu. Die Aufgabe zur Post begründet hier keine Zustellungsfiktion, sondern nur eine widerlegbare Vermutung, daß das Schriftstück mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post zugegangen sei. Dem Steuerpflichtigen bleibt unbenommen, den Zugang oder den vermuteten Zeitpunkt des Zugangs zu bestreiten, und im Zweifel muß die Behörde beides nachweisen (§ 17 Abs. 2 VwZG). Dabei ist der Beweiswert des Absendevermerks eingeschränkt. Denn bei einem Widerspruch zwischen dem Datum im Absendevermerk und dem Datum des Poststempels auf dem Briefumschlag ist letzteres maßgebend (vgl. BFH-Urteil I 313/61 U vom 9. Oktober 1962, BFH 76, 70, BStBl III 1963, 25). Der geringeren Bedeutung des Absendevermerks nach § 17 Abs. 4 VwZG entspricht es auch, daß das Gesetz sich damit begnügt vorzuschreiben: "Der damit beauftragte Beamte hat den Vermerk mit seinem Namenszeichen zu versehen." Es verweist damit auf die innerdienstlichen Vorschriften über die Zuteilung der einzelnen Funktionen und sieht davon ab, einen dem "Urkundsbeamten" im Sinne des § 213 ZPO vergleichbaren Beamten als zuständige Urkundsperson zu benennen.

Vor allem zwingt der Wortlaut des § 17 Abs. 4 VwZG im Gegensatz zu § 213 ZPO nicht zu der Annahme, daß die Absendestelle nur einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang vermerken könne. Die Vorschrift läßt vielmehr die Auslegung zu, daß mit dem Vermerk lediglich der Zeitpunkt festgehalten werden soll, zu dem die Sendung entsprechend der Absendeorganisation des FA und dem vorhersehbaren gewöhnlichen Geschehensablauf bei der Postanstalt eingeliefert werden wird (vgl. Kohlrust-Eimert, Das Zustellungsverfahren nach dem Verwaltungszustellungsgesetz, Kommentar, 1967, S. 89). Der mit der Aufnahme des Vermerks beauftragte Bedienstete kann, sofern er die Ausfertigungen bis zu einem bestimmten, ihm bekannten Zeitpunkt zum Kuvertieren und Frankieren gibt, davon ausgehen, daß die Sendungen noch am selben Tage zum Postamt gelangen, da dank der eingespielten Organisation Verzögerungen bei der Aufgabe so gut wie nicht vorkommen (vgl. Kohlrust-Eimert, a. a. O., S. 88). Dieser Zeitpunkt kann je nach der Größe der Behörde und einer etwaigen besonderen Regelung des Absendeverfahrens besonders unter dem Gesichtspunkt der Rationalisierung verschieden liegen. Da es sich bei dem anschließenden Arbeitsgang um einen rein mechanischen Ablauf handelt, ist es dem Kontenverwalter der Finanzkasse möglich, zu übersehen, ob die Post mit gewisser Wahrscheinlichkeit noch am selben Tage bei dem Postamt eingeliefert oder in den Postbriefkasten eingeworfen werden wird.

Das vorstehend bezeichnete Verfahren der Finanzverwaltung, das auch im Streitfall beachtet wurde, ist seit Jahrzehnten eingeführt. Die Entstehungsgeschichte des § 17 VwZG läßt erkennen, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des VwZG an die bisherige Regelung anknüpfen wollte (vgl. Bundestags-Drucksache I/2963, S. 8, zu § 19 des Regierungsentwurfs). Es muß davon ausgegangen werden, daß den mit den Gesetzgebungsarbeiten betrauten Stellen die bestehenden Verwaltungsregelungen bekannt waren und daß mit der Schaffung des § 17 VwZG in Verbindung mit den schon vorhandenen - wenngleich nur innerdienstlichen - Vorschriften den besonderen Verhältnissen im Massenverfahren der Besteuerung Rechnung getragen werden sollte. In diesem Zusammenhang ist es nicht ohne Bedeutung, daß die vom RdF zuletzt erlassene Verordnung über Vereinfachungen bei der Zusendung von Bescheiden im Besteuerungsverfahren vom 11. Dezember 1932 (RGBl I 1932, 544) nur wenige Tage vor der gleichfalls vom RdF erlassenen BuchO vom 15. Dezember 1932 erging. Dem Umstand, daß durch § 17 Abs. 4 VwZG erstmals ausdrücklich auch die Anbringung des Absendevermerks vorgeschrieben wurde, kommt rechtliche Bedeutung nur insofern zu, als nach der oben angeführten Rechtsprechung nunmehr das Vorliegen des Vermerks zu einem Erfordernis der wirksamen Bekanntgabe des Bescheids erhoben wurde. Darüber hinaus anzunehmen, daß die rein mechanisch arbeitende Poststelle des FA als Absendestelle im Sinne des § 17 Abs. 4 VwZG habe gestaltet werden sollen, widerspräche dem Vereinfachungszweck des § 17 VwZG.

Die entgegenstehende Auffassung des FG hätte zur Folge, daß um jeden Fehler auszuschließen, der Absendevermerk erst - wie nach § 213 ZPO - nach der Einlieferung beim Postamt oder nach dem Einwurf in einen Postbriefkasten (unter Angabe der Leerungszeit - vgl. § 17 Abs. 3 Satz 2 VwZG -) aufgenommen werden dürfte. Es liegt auf der Hand, daß dies angesichts der großen Zahl von aufzugebenden Schriftstücken aus praktischen Gründen nicht vollziehbar wäre. So müßte bei jedem einzelnen Schriftstück zuvor die Nämlichkeit von Ausfertigung und Urschrift, Bescheid und Berechnungsbogen geprüft werden. Verlangte man, daß dies in der Poststelle des FA geschähe, so wäre wiederum nicht zu vermeiden, daß die bezeichneten mechanischen Arbeitsgänge - Kuvertieren, Frankieren, Wegbringen in den Gewahrsam der Postanstalt - nachfolgen würden. Auch bei dieser Gestaltung könnten deshalb Verzögerungen nicht völlig ausgeschlossen werden. Andererseits müßten die Poststellen bei allen Steuerbehörden personell verstärkt werden, ohne daß hierdurch praktisch etwas gewonnen würde.

Bei der Abwägung der für die beiden Auslegungsmöglichkeiten sprechenden Gesichtspunkte muß den Ausschlag geben, daß die Steuerpflichtigen durch das von der Finanzverwaltung duchgeführte vereinfachte und kostensparende Verfahren nicht benachteiligt werden. Die Adressaten können den Zugang bestreiten. Die Empfänger können - wiederum substantiiert - auch den vom FA angenommenen Zeitpunkt des Zugangs bestreiten (vgl. BFH-Urteil I 257/61 U vom 19. Juni 1962, BFH 75, 307, BStBl III 1962, 377). Dazu sind ihnen als Anhaltspunkte zumindest das Datum des Steuerbescheids, das in der Regel - so auch im Streitfall - dem auf dem Berechnungsbogen vermerkten Datum der Aufgabe zur Post entspricht, und das Datum des Poststempels gegeben. Wenn der Empfänger den Beginn der Rechtsmittelfrist gemäß § 17 Abs. 2 VwZG nach dem Datum des Steuerbescheids als dem frühesten für die Aufgabe zur Post in Betracht kommenden Zeitpunkt berechnet, kann er nicht fehlgehen. Trägt der Poststempel ein späteres Datum, so kann er sich danach richten und den etwa abweichenden Absendevermerk des FA entkräften. In jedem Falle hat der Empfänger die Möglichkeit, den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs festzuhalten, z. B. durch Anbringung eines Eingangsvermerks auf dem Schriftstück. Im Zweifel muß, wie bemerkt, stets die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs beweisen. Für einen Steuerpflichtigen, der mit dem zumutbaren Maß an Sorgfalt den Fristenlauf im Besteuerungsverfahren berechnet, können deshalb Rechtsnachteile nicht daraus entstehen, daß der Absendevermerk von dem Kontenverwalter der Finanzkasse angebracht wurde, und zwar auch in dem Fall nicht, daß der Steuerpflichtige die Rechtsmittelfrist ganz ausschöpfen und zu diesem Zweck das genaue Ende der Frist kennen will.

Da nach alledem die Bekanntgabe des Steuerbescheids nicht deshalb als fehlerhaft angesehen werden kann, weil der Absendevermerk von dem Kontenverwalter stammte, und somit zunächst davon ausgegangen werden muß, daß der Bescheid am 29. November 1966 zur Absendung gebracht wurde, kommt es für die Entscheidung darauf an, ob der Steuerpflichtige dartun kann, daß der Bescheid tatsächlich erst später aufgegeben wurde - z. B. an Hand des Briefumschlags, der den Poststempel trägt - oder daß, abweichend von dem typischen Geschehensablauf, das Schriftstück erst nach dem Ende des Zeitraums von drei Tagen (§ 17 Abs. 2 VwZG) zugegangen ist oder daß Nachsichtsgründe wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegeben sind. Das FG brauchte hierauf von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht einzugehen. Da die Vorentscheidung jedoch aus den obigen Erwägungen aufzuheben ist, muß die Sache an das FG zurückverwiesen werden, damit dieses nunmehr die hierzu erforderlichen Feststellungen treffen kann.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 772

BFHE 1971, 3

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