Nachweis der Aufgabe zur Post bei Delegation an andere Behörde

Der Beweis der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post an einem bestimmten Tag kann nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises geführt werden, wenn die Absendung nicht in einem Absendevermerk festgehalten ist.

Vor dem FG Berlin-Brandenburg wurde folgender Fall verhandelt: Bei der Berliner Finanzverwaltung ist der Postversand zentralisiert. Die Mitarbeiter der Poststelle des Finanzamts holen die Post täglich in den einzelnen Dienststellen ab. Die Sachbearbeiter vermerken den Abholtag in der Akte als den Tag, an dem die Sendung zur Post gegeben wurde. Die Poststelle leitet die Briefe am darauffolgenden Morgen dem Landesverwaltungsamt Berlin (LVA) zu. Das LVA übergibt die Briefe an den Postdienstleister D. Hierüber gibt es keinen Absendevermerk.

Versendung von Verwaltungsakten

D verarbeitet die Post maschinell, dabei wird der Zeitpunkt der Verarbeitung im Sortierzentrum mit Datum und Uhrzeit gespeichert. Die maschinelle Erfassung erfolgt direkt in der Nacht nach der Einlieferung der Briefe. Sendungsdaten werden gleichermaßen gespeichert. Die nachfolgende Zustelldokumentation erfolgt nicht. Auf den Sendungen werden auch Sendungsnummern aufgebracht, die der internen Zuordnung dienen. Darüber hinaus werden Sendungsbilder und Empfängerdaten für jeden Brief gespeichert. Anhand dieser Daten lassen sich einzelne Briefe bestimmter Kunden (Absender) oder bestimmter Empfänger im System wiederfinden. D kann auf Nachfrage im Einzelfall 3 Monate lang Auskünfte zur Sendung erteilen.

Zugang der Einspruchsentscheidung

Das FG hatte darüber zu entscheiden, ob eine gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts erhobene Klage zulässig war. Die Steuerberaterin des Klägers behauptet, die Einspruchsentscheidung verspätet erhalten zu haben. Sie führt allerdings kein Posteingangsbuch und bewahrt Briefumschläge mit eingehender Post nicht auf.

Das FG hat dem Kläger Recht gegeben und entschieden, dass die Klage nicht wegen Ablaufs der Klagefrist unzulässig ist. Der Kläger habe zwar keine substantiierten Zweifel an der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung nach Ablauf des Drei-Tages-Zeitraums dargetan, jedoch finde § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO vorliegend keine Anwendung.

Anwendung der Drei-Tages-Bekanntgabefiktion

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei geklärt, dass die Drei-Tages-Bekanntgabefiktion nur dann eingreift, wenn feststehe, wann der mit einfachem Brief übersandte Verwaltungsakt tatsächlich zur Post aufgegeben worden sei. Im Hinblick darauf, dass dieser Zeitpunkt allein dem Wissens- und Verantwortungsbereich der Finanzbehörde zuzuordnen sei, bedürfe es insoweit keines substantiierten Bestreitens durch den Steuerpflichtigen. Lasse sich das Datum der Aufgabe zur Post nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen, sei die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht anwendbar. Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für den Tag der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post trage das Finanzamt.

Übergabetag wurde nicht dokumentiert

Das LVA sei kein Postunternehmen. Die Übergabe einer Postsendung durch das Finanzamt an das LVA sei daher keine Aufgabe zur Post. Die Aufgabe zur Post bestehe vielmehr darin, dass das LVA die Sendung dem D übergibt. Dieser Übergabetag sei aber nicht dokumentiert.

Das LVA hätte sich die Daten der von ihm zur Post aufgegebenen Sendungen von D geben lassen können. Dies hätte zwar erheblichen finanziellen Zusatzaufwand bedeutet, damit wäre aber die Aufgabe zur Post erfolgreich dokumentiert worden. Da weder das LVA noch das beklagte Finanzamt hiervon keinen Gebrauch gemacht hätten, sehe sich das Gericht nicht gehalten, von Amts wegen den Tag der Aufgabe zur Post zu ermitteln. Dabei sei ergänzend zu berücksichtigen, dass der Beweis nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises geführt werden könne, wenn die Aufgabe zur Post nicht in einem Absendevermerk dokumentiert sei.

Dokumentation bei Übergabe an einen Postdienstleister

Das FG hat Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Frage, wie die Aufgabe zur Post dokumentiert werden kann, wenn die Übergabe an einen Postdienstleister nicht durch das Finanzamt selbst erfolgt, sondern in dessen Auftrag durch eine andere Behörde, in deren Arbeitsabläufe das Finanzamt keinen Einblick hat, hat Bedeutung auf die Anwendbarkeit des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auf nahezu alle Postsendungen im Bereich der Berliner Finanzverwaltung und damit erhebliche Auswirkungen auf den Eintritt der Bestandskraft von Verwaltungsakten in deren Bereich.

FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid v. 19.4.2023, 16 K 16130/22

Schlagworte zum Thema:  Verwaltungsakt, Frist