Besteuerung von Gutscheinen in Vertriebsketten

Der BFH hatte dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens verschiedene Fragen zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Gutscheinen in Vertriebsketten vorgelegt, die nun beantwortet wurden.   

Vorabentscheidungsersuchen des BFH

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom 3.11.2022, XI R 21/21, ging es um die Besteuerung von Gutscheinen. Der BFH fragte den EuGH:

1. Liegt ein Einzweck-Gutschein i. S. v. Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL vor, wenn

  • zwar der Ort der Erbringung von Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht, insoweit feststeht, als diese Dienstleistungen im Gebiet eines Mitgliedstaats an Endverbraucher erbracht werden sollen,
  • aber die Fiktion des Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL, nach der auch die Übertragung des Gutscheins zwischen Steuerpflichtigen zur Erbringung der Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, zu einer Dienstleistung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats führt?

2. Falls die Frage 1 verneint wird (und damit im Streitfall ein Mehrzweck-Gutschein vorliegt): Steht Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL, wonach die tatsächliche Erbringung der Dienstleistungen, für die der Erbringer der Dienstleistungen einen Mehrzweck-Gutschein als Gegenleistung oder Teil einer solchen annimmt, der Mehrwertsteuer gem. Art. 2 MwStSystRL unterliegt, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, einer anderweitig begründeten Steuerpflicht  entgegen (EuGH, Urteil v. 3.5.2012, C-520/10 (Lebara))?

Sachverhalt: Übertragung von Guthabenkarten oder Gutscheincodes für den Erwerb digitaler Inhalte

Die Beteiligten stritten darüber, ob die Übertragung von Guthabenkarten oder Gutscheincodes für den Erwerb digitaler Inhalte für das X-Network (X), sog. (sog.) X-Cards, der USt unterliegt. Die Klägerin, eine BGB-Gesellschaft, vertrieb im Streitjahr 2019 über ihren Internetshop Guthabenkarten oder Gutscheincodes zum Aufladen von Nutzerkonten für X. Herausgeber der X-Cards war im Streitjahr Y mit Sitz in London. D

Die Gutscheincodes ermöglichten dem Erwerber die Aufladung seines X-Nutzerkontos mit einem näher bestimmten Nennwert in EUR. Nach der Kontoaufladung konnten vom Kontoinhaber im X-Store von Y digitale Inhalte zu den dort angeführten Preisen erworben werden. Die X-Cards wurden von Y mit unterschiedlicher Länderkennung über verschiedene Zwischenhändler vertrieben. Für Kunden mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort im Inland und einem deutschen X-Nutzerkonto war die Kennung DE vorgesehen.

In 2019 bezog die Klägerin die X-Cards der Y von Lieferanten aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet (L1 und L2) unter Angabe ihrer USt-IdNr. L1 und L2, die weder im Vereinigten Königreich noch im Inland, sondern in anderen Mitgliedstaaten ansässig waren, hatten die X-Cards zuvor von Y erworben. Die Klägerin erfasste in ihren Steueranmeldungen weder den Erwerb der X-Cards von L1 und L2 noch die Übertragung der X-Cards an die Endkunden (Endverbraucher). Sie ging dabei davon aus, dass es sich bei den X-Cards um Wert- oder Mehrzweck-Gutscheine handele.

Bei der Veräußerung der X-Cards sei der Wohnsitz oder der Ansässigkeitsort des Endkunden nicht sicher bekannt, sodass der Leistungsort gem. § 3a Abs. 5 UStG nicht sicher bestimmbar sei. Die von Y den jeweiligen Gutscheinen zugewiesene Länderkennung reiche zur sicheren Bestimmung des Leistungsorts nicht aus, da Y die Angaben der Kunden bei der Eröffnung der X-Nutzerkonten und deren spätere Nutzung nicht überprüfe. Eine Vielzahl im Ausland ansässiger X-Kunden hätte u.a. aufgrund von Preisvorteilen ein deutsches Nutzerkonto eröffnet und ebenfalls bei ihr, der Klägerin, Karten mit der Kennung DE eingekauft.

Finanzamt: Waren- oder Einzweck-Gutscheine

Das Finanzamt sah die Umsätze der Klägerin mit X-Cards als im Inland steuerbar an, weil diese mit der Kennung DE von Y ausschließlich für Endkunden mit Wohnsitz im Inland und einem deutschen Nutzerkonto bestimmt seien, weshalb sich der Leistungsort gem. § 3a Abs. 5 UStG im Inland befinde. Dass Erwerber mit Wohnsitz im Ausland die vorgegebene regionale Nutzungsbeschränkung durch bewusst wahrheitswidrige Angaben, Missachtung der Nutzungsbedingungen von Y und/oder Verschleierung ihrer IP-Adresse möglicherweise umgehen könnten, sei nicht ausschlaggebend für die steuerrechtliche Einordnung des Gutscheins; es sei vielmehr Sache der Klägerin dafür Sorge zu tragen, Karten mit der Kennung DE nicht an Kunden mit Wohnsitz im Ausland zu verkaufen.

Für die Einordnung der Karten als Waren- oder Einzweck-Gutscheine spreche auch, dass Y die Karten als solche in den Verkehr gebracht habe und diese in der weiteren Leistungskette von allen anderen Beteiligten auch so behandelt worden seien. Allerdings nahm das Finanzamt Umsätze von X-Cards der Kennung DE, die an Kunden mit Wohnsitz im Ausland ausgegeben wurden, von der Besteuerung aus.

In der Revision rügte die Klägerin die Verletzung von § 3a Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 13 - 15 UStG und begehrte, dass die Umsätze von X-Cards als nicht steuerbar erfasst werden. Da der Leistungsort und die geschuldete Steuer nicht feststünden, handele es sich um einen Mehrzweck-Gutschein, dessen Übertragung nicht der USt unterliege.

BFH zur ersten Vorlagefrage

Zu seiner ersten Vorlagefrage führte der BFH aus, Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL sei unproblematisch anwendbar, wenn z. B. der im Inland ansässige Steuerpflichtige (A), der eine Dienstleistung (oder dem gleichgestellt eine Lieferung) zu erbringen beabsichtigt, hierüber einen Gutschein auf den gleichfalls im Inland ansässigen Empfänger (C) überträgt, der diese Dienstleistung als Endverbraucher zu beziehen beabsichtigt.

Stehen der Ort und die MwSt i. S. d. Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL für diese Dienstleistung fest, liege ein sog. Einzweck-Gutschein vor, auf den Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL anzuwenden sei. Durch diese Bestimmung werde der Steuertatbestand vorverlagert. Denn danach gelte bereits die Übertragung des Gutscheins als Erbringung der Dienstleistung, sodass die (ggf. später erfolgende) tatsächliche Erbringung der Dienstleistung "nicht als unabhängiger Umsatz" gilt und damit im Hinblick auf die bereits zuvor erfolgte Besteuerung der Gutscheinübertragung nicht mehr zu besteuern ist.

Auslegungsschwierigkeiten

Demgegenüber bestanden für den BFH Auslegungsschwierigkeiten für den Fall, dass A den Gutschein im eigenen Namen auf den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen B (als Zwischenhändler) überträgt, der diesen seinerseits im eigenen Namen auf C überträgt.

Nach Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL komme es dann zu einer Umsatzverdoppelung. Es würden dann sowohl die Übertragung des Gutscheins von A auf B als auch die Übertragung von B auf C als Erbringung der Dienstleistung gelten, auf die sich der Gutschein bezieht, während die (ggf. später erfolgende) tatsächliche Erbringung der Dienstleistung wiederum nicht mehr zu besteuern sei.

Fraglich war aus Sicht des BFH für den Fall der Abwandlung, welche Folgen sich aus Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL für Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL ergeben. Denn damit ein Einzweck-Gutschein i. S. v. Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL vorliegt, müsse der Ort der Dienstleistung, auf den sich der Gutschein bezieht, feststehen. Für den Fall der mehrfachen Gutscheinübertragung folge aus Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL aber, dass die Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, als mehrfach erbracht gilt.

Damit stellte sich dem BFH die Frage, ob es aufgrund einer derart mehrfachen Leistungserbringung für Zwecke des Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL nur einen oder auch mehrere Leistungsorte geben kann.

Mehrere Leistungsorte: Erste Auslegungsmöglichkeit

Eine (erste) Auslegungsmöglichkeit aus Sicht des BFH war: Bezieht sich die Fiktionswirkung des Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL auf die im Gutschein in Bezug genommene Dienstleistung nur ihrer Art nach, kann es zu unterschiedlichen Leistungsorten kommen, wenn sich die Ortsbestimmung für die im Gutschein in Bezug genommene Dienstleistung nach dem Empfängerort richtet. Auf dieser Grundlage könne ein Einzweck-Gutschein zu verneinen sein. Denn die Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, werde zweimal und dann (je nach Ansässigkeit des Zwischenhändlers) möglicherweise an unterschiedlichen Orten erbracht. Für diese Sichtweise könne eine wörtliche Auslegung von Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL sprechen.

Diese Auslegung würde dazu führen, dass sich der Anwendungsbereich des Einzweck-Gutscheins im Dienstleistungsbereich erheblich verkleinert. Denn ein Einzweck-Gutschein wäre zu verneinen, wenn er sich auf eine Dienstleistung bezieht, die bei ihrer Erbringung an einen Steuerpflichtigen dem Empfängerortprinzip des Art. 44 MwStSystRL unterliegt. Eine derartige Einschränkung könne als vom Unionsgesetzgeber nicht gewollt anzusehen sein.

Mehrere Leistungsorte: Zweite Auslegungsmöglichkeit

Die zweite Auslegungsmöglichkeit aus Sicht des BFH war: Die vorstehende Auslegung erscheine nicht zwingend.

Zum einen komme in Betracht, für das Feststehen des Orts der Dienstleistung i. S. v. Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL die Fiktion, dass die Übertragung des Gutscheins zur Erbringung der Dienstleistung führt, auf den sich der Gutschein bezieht, bei der Prüfung des Leistungsorts von vornherein außer Betracht zu lassen. Die Möglichkeit, dass der Gutschein auch an einen Zwischenhändler in einem anderen Mitgliedstaat übertragen werden darf bzw. wird, wäre dann für die Anwendung von Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL von vornherein ohne Bedeutung.

Zum anderen könne der Fiktionswirkung des Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL eine weitergehende Bedeutung beizumessen sein. So könne zu erwägen sein, ob bei einem Gutschein, der sich auf eine an einen Endverbraucher zu erbringende Dienstleistung bezieht, auch bei einer Übertragung zwischen zwei Steuerpflichtigen der Leistungsort der Übertragungsleistung am Ort der an den Endverbraucher zu erbringenden Dienstleistung liegt. Im Fall der Abwandlung befände sich danach der Ort der Übertragung von A an B im Inland, da hier die Dienstleistung erbracht werden soll, auf die sich der Gutschein bezieht. Ein nicht im Inland ansässiger Zwischenhändler könne sich dann im Inland registrieren, inländische Umsatzsteuer im Inland anmelden und ggf. einen Vorsteuerabzug vornehmen oder Vorsteuer-Vergütung beantragen müssen

Anwendung der beiden möglichen Auslegungen aus Sicht des BFH

Soweit die Klägerin im Streitjahr nach dem 31.12.2018 ausgestellte Gutscheine übertrug und damit gem. § 27 Abs. 23 UStG die Vorschriften des § 3 Abs. 13 - 15 UStG Anwendung finden, war für den BFH fraglich, ob es sich bei diesen Gutscheinen um Einzweck-Gutscheine i. S. d. § 3 Abs. 14 UStG handelt, deren Übertragung jeweils als Lieferung oder sonstige Leistung gilt. Denn hierfür müssten der Ort der Lieferung oder der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen (Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL; § 3 Abs. 14 Satz 1 UStG).

Elektronisch erbrachte Dienstleistungen

Die X-Cards beziehen sich auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen i. S. d. Art. 58 Unterabs. 1 Buchst. c MwStSystRL, Art. 7 MwStSystRL-DVO, § 3a Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 UStG. Nach § 3a Abs. 2 Satz 1 UStG wird eine sonstige Leistung, die an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird, grundsätzlich an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt, d. h. vorliegend am Sitz von L1 und L2 im übrigen Gemeinschaftsgebiet.

Ist der Empfänger der in § 3a Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 UStG bezeichneten sonstigen Leistung hingegen kein Unternehmer, für dessen Unternehmen die Leistung bezogen wird - wie im Streitfall die Kunden der Klägerin -, wird die sonstige Leistung an dem Ort ausgeführt, an dem der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort oder seinen Sitz hat (§ 3a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UStG). Daraus folgt, dass für Leistungen an Unternehmer, die als solche handeln, und für Leistungen an Nichtunternehmer sowie an Unternehmer, die nicht als solche handeln, unterschiedliche Leistungsorte vorgesehen sind.

Ausgehend davon war für den BFH unionsrechtlich zweifelhaft, ob zum Zeitpunkt der Ausstellung der X-Cards der Ort der sonstigen Leistung und die geschuldete Steuer feststanden. Denn fraglich sei, ob sich das für die Annahme eines Einzweck-Gutscheins bestehende Erfordernis, dass der Ort der Leistung feststehen muss (Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL; § 3 Abs. 14 Satz 1 UStG), nur auf die Ausgabe ("Verkauf eines Gutscheins an Kunden" i. S. v. Abschn. 3.17 Abs. 1 Satz 11 UStAE) oder auch auf eine dem vorausgehende Übertragung nach Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL, § 3 Abs. 14 Satz 2 UStG ("Verkauf eines Gutscheins zwischen Unternehmern" i. S. v. Abschn. 3.17 Abs. 1 Satz 10 UStAE) bezieht.

Verkauf eines Gutscheins an Kunden

Bezieht sich das Erfordernis, dass der Ort der Leistung feststehen muss, nur auf die tatsächlich erbrachte Dienstleistung (i. S. eines "Verkaufs eines Gutscheins an Kunden"), d. h. i. S. d. Art. 30a MwStSystRL auf die elektronisch erbrachte Dienstleistung, auf die sich die X-Cards beziehen, lag für den BFH im Streitfall ein Einzweck-Gutschein vor. Denn der Ort der elektronischen Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, werde sich bei Einlösung nicht nach Art. 44 MwStSystRL bestimmen, da selbst dann, wenn die einlösende Person an sich ein Steuerpflichtiger i. S. d. Art. 2 und 9 MwStSystRL wäre, sie nicht i. S. d. Art. 44 MwStSystRL als solcher handeln werde, weil sie die elektronisch erbrachte Dienstleistung der Y für private Zwecke beziehen werde (s. Art. 19 MwStSystRL-DVO sowie EuGH, EuGH, Urteil v. 17.3.2021, C-459/19 (Wellcome Trust)). Der Leistungsort bei Einlösung werde daher nach Art. 58 Unterabs. 1 Buchst. c MwStSystRL zu bestimmen sein.

Der Ort dieser Leistung stehe fest, da nur eine Einlösung durch im Inland ansässige Endverbraucher in Betracht komme. Denn nach den vom FG festgestellten Bedingungen für die Nutzung der X-Cards bestehe eine strikte Ländertrennung. Bei der Eröffnung eines Nutzerkontos sind Identität und Wohnsitz des Nutzers wahrheitsgemäß anzugeben; für den Fall einer Identitäts- oder Wohnsitztäuschung ist ausdrücklich die Sperrung des Nutzerkontos mit dem Verfall des eingezahlten Guthabens angedroht. Für Kunden mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort im Inland und einem deutschen X-Konto ist die Kennung DE vorgesehen. Diese Konten können nur mit einer Guthabenkarte mit der Länderkennung DE aufgeladen werden. Auf dieser Grundlage stünden für den Regelfall einer vertragsgemäßen Nutzung des X sowohl der Leistungsort als auch die Steuerschuld fest. Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin griffen, so der BFH, nicht durch. Insbesondere ändere § 3 Abs. 14 Satz 5 UStG wegen der Fiktion des § 3 Abs. 14 Satz 2 UStG daran nichts.

Wenn die X-Cards deshalb Einzweck-Gutscheine wären, hätte Y als Ausstellerin der Gutscheine (über eine elektronisch erbrachte Dienstleistung), indem sie diese an Vertriebshändler entgeltlich übertrug, diesen gegenüber eine entgeltliche auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistung  im Inland erbracht. Ebenso wäre jede weitere Übertragung (von L1 an L2, von L2 an die Klägerin und von der Klägerin an ihre Kunden) eine auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistung im Inland. Dass die Übertragung unternehmerisch erfolgen kann, ändere daran, dass die Einlösung privat erfolgen wird, nichts.

Verkauf eines Gutscheins zwischen Unternehmern

Bezieht sich das Erfordernis, dass der Ort der Leistung feststehen muss, demgegenüber auch auf die Übertragung zwischen Steuerpflichtigen ("Verkauf eines Gutscheins zwischen Unternehmern"), erschien für den BFH die Annahme eines Einzweck-Gutscheins hingegen fraglich. Wäre für die Übertragung von Y an L1, von L1 an L2 und von L2 an die Klägerin eigenständig ein Leistungsort nach den Art. 43 ff. MwStSystRL zu bestimmen, handelten sowohl L1 und L2 als auch die Klägerin bei Erwerb der X-Cards "als solche" i. S. d. Art. 44 MwStSystRL; denn sie haben die X-Cards nicht erworben, um sie selbst für private Zwecke einzulösen, sondern um sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gegen Entgelt an ihre Kunden weiterzuverkaufen.

Fände Art. 44 MwStSystRL daher auf die Übertragungsumsätze von Y an L1, von L1 an L2 und von L2 an die Klägerin Anwendung, läge der Leistungsort der Übertragung von Y an L1 und von L1 an L2 nicht im Inland und der von L2 an die Klägerin im Inland. Der Leistungsort hätte dann bei Ausstellung des Gutscheins durch Y nicht festgestanden, weil es an einer Einschränkung in Bezug auf den Empfängerkreis (Unternehmer oder Nichtunternehmer) sowie deren Ansässigkeit fehlt, wie der Streitfall zeige.

Nationale Verwaltungspraxis

Die nationale Verwaltungspraxis geht in Abschn. 3.17 Abs. 2 Satz 1 UStAE davon aus, dass ein Einzweck-Gutschein nach § 3 Abs. 14 Satz 1 UStG dadurch gekennzeichnet ist, dass der Ort der Lieferung oder sonstigen Leistung, zu deren Bezug der Gutschein berechtigt, sowie die geschuldete USt, bei dessen Ausgabe oder dessen erstmaliger Übertragung durch den Aussteller des Gutscheins feststehen. Dies entspricht dem Wortlaut des Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL, § 3 Abs. 14 Satz 1 UStG, nach dem es darauf ankommt, dass der Ort der Lieferung der Gegenstände oder der Erbringung der Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen.

Zweck der Regelung

Damit konnte für den BFH im Streitfall für eine Bejahung der ersten Vorlagefrage der dritte Erwägungsgrund der RL (EU) 2016/1065 sprechen. Dort heißt es:

"Angesichts der seit dem 1. Januar 2015 anwendbaren neuen Vorschriften über den Ort der Dienstleistung für Telekommunikations- und Rundfunkdienstleistungen sowie elektronisch erbrachte Dienstleistungen ist eine gemeinsame Lösung für Gutscheine erforderlich, um sicherzustellen, dass keine Diskrepanzen in Bezug auf zwischen den Mitgliedstaaten gelieferte Gutscheine entstehen. Dafür ist es unabdingbar, Vorschriften zur Klärung der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Gutscheinen festzulegen."

Dieser Zweck würde verfehlt, wenn die Übertragung ein und desselben Gutscheins unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich zöge, je nachdem, ob der Gutschein ausschließlich über im Inland oder aber über im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Zwischenhändler oder aber nur direkt ohne Zwischenhändler an den im Inland ansässigen Endkunden vertrieben wird.

Folgt man der obigen ersten Auslegung, hätte, so der BFH, die Klägerin keine Einzweck-Gutscheine übertragen. Danach hätte (so der BFH) X (gemeint ist wohl Y) die Gutscheine nach Art. 44 MwStSystRL am Empfängerort der Steuerpflichtigen L1 und L2 in deren jeweiligen Mitgliedstaat zu dem dort gültigen Steuersatz erbracht, während die Übertragungen durch L1 und L2 an die Klägerin ebenso nach Art. 44 MwStSystRL am Ansässigkeitsort der Klägerin im Inland erbracht worden wären, was auch für die Übertragung durch die Klägerin an ihre Kunden gilt. Danach wäre das Erfordernis, dass der Ort und die Mehrwertsteuer für die Dienstleistung feststehen, auf die sich der Gutschein bezieht, nicht erfüllt.

Demgegenüber wäre im Rahmen der obigen zweiten Auslegung am Vorliegen von Einzweck-Gutscheinen festzuhalten.

BFH zur zweiten Vorlagefrage

Zur zweiten Vorlagefrage bemerkte der BFH: Falls der EuGH die erste Vorlagefrage verneint, liegt ein Mehrzweck-Gutschein (Art. 30a Nr. 3 MwStSystR; § 3 Abs. 15 Satz 1 UStG) vor. In diesem Fall unterliegt nach § 3 Abs. 15 Satz 2 UStG die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die der leistende Unternehmer einen Mehrzweck-Gutschein als vollständige oder teilweise Gegenleistung annimmt, der USt nach § 1 Abs. 1 UStG, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der USt unterliegt.

Steuerliche Behandlung wie Telefonkarten

Der BFH ging davon aus, dass die im Streitfall gehandelten X-Cards zum Bezug elektronisch erbrachter Dienstleistungen mehrwertsteuerrechtlich nicht anders zu behandeln sind als die dem EuGH-Urteil Lebara zugrundeliegenden Telefonkarten. Danach erbringt ein Telefonanbieter, der Telekommunikationsdienstleistungen anbietet, die darin bestehen, dass an einen Vertriebshändler Telefonkarten verkauft werden, die alle notwendigen Informationen zur Tätigung internationaler Anrufe über die von diesem Anbieter zur Verfügung gestellte Infrastruktur enthalten und die vom Vertriebshändler im eigenen Namen und für eigene Rechnung entweder unmittelbar oder über andere Steuerpflichtige wie Groß- und Einzelhändler an Endnutzer weiterverkauft werden, eine entgeltliche Telekommunikationsdienstleistung an den Vertriebshändler.

Nach diesem EuGH-Urteil sind somit sowohl der ursprüngliche Verkauf einer Telefonkarte als auch ihr anschließender Weiterverkauf durch Zwischenhändler steuerbare Umsätze; Guthabenkarten werden danach wie eine Ware gehandelt (BFH, Urteil v. 10.8.2016, V R 4/16).

Auf dieser Grundlage wäre nach Auffassung des BFH die Übertragung der X-Cards durch die Klägerin an ihre Kunden von der Klägerin als Erbringung einer elektronisch erbrachten Dienstleistung zu versteuern. Dass dies im Rahmen der Regelung der Art. 30a und Art. 30b MwStSystRL anders bezweckt sein sollte, obwohl diese Bestimmungen zu einer Vorverlagerung der Besteuerung führen sollen, erschien dem BFH fragwürdig. In welchem Verhältnis Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 1 am Ende MwStSystRL zur Auffassung des EuGH im Urteil Lebara steht, war aus Sicht des BFH unklar.

Zwischenhandel als Vertriebs- oder Absatzförderungsleistungen

Außerdem könne die Klägerin durch den Zwischenhandel mit Mehrzweck-Gutscheinen Vertriebs- oder Absatzförderungsleistungen i. S. d. Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL an Y erbracht haben, die der MwSt unterliegen (vgl. dazu zur früheren Rechtslage BFH, Urteil v. 15.3.2022, V R 35/20), sodass die Gegenleistung der Klägerin für die Übertragung der Gutscheine durch L2 nicht nur in einer Zahlung, sondern auch in einer solchen Dienstleistung bestehen könnte (Tauschähnlicher Umsatz, vgl. EuGH, Urteil v. 26.9.2013, C-283/12 (Serebryannay vek)).

Entscheidungen des EuGH

Zur ersten Vorlagefrage hat der EuGH entschieden, dass die Einstufung eines Gutscheins als "Einzweck-Gutschein" i. S. v. Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL nur von den in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen abhängt, wozu die Voraussetzung gehört, dass der Ort der Erbringung der Dienstleistung, die sich an Endverbraucher richtet und auf die sich dieser Gutschein bezieht, zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Gutscheins feststehen muss, und dies unabhängig davon, ob dieser Gutschein zwischen Unternehmern übertragen wird, die im eigenen Namen handeln und in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen ansässig sind, in dem sich diese Endverbraucher befinden.

Zur zweiten Vorlagefrage hat der EuGH entschieden, dass nach Art. 30b Abs. 2 MwStSystRL der Weiterverkauf von "Mehrzweck-Gutscheinen" i. S. v. Art. 30a Nr. 3 MwStSystRL durch einen Unternehmer der MwSt unterliegen kann, sofern er als Dienstleistung an den Unternehmer eingestuft wird, der als Gegenleistung für diese Gutscheine die Gegenstände tatsächlich dem Endverbraucher übergibt oder die Dienstleistungen tatsächlich dem Endverbraucher erbringt.

Praxis-Hinweise

Die Entscheidung des EuGH zum Begriff des Einzweck-Gutscheins bedeutet, dass, so die Voraussetzungen gem. Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL für einen solchen gegeben sind (d. h. Ort der Leistung, die durch den Gutschein verkörpert wird und Höhe der dafür geschuldeten MwSt stehen zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins fest), sich an dieser Qualität (Einzweck-Gutschein) nichts dadurch ändert, dass ein solcher Gutschein vor seinem Verkauf an einen Endverbraucher in einer Kette zwischen Unternehmern (ggf. auch grenzüberschreitend) verkauft wird.

Wichtig: Zeitpunkt der Ausgabe des Gutscheins

Gem. Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL gilt jede Übertragung eines Einzweck-Gutscheins durch einen Unternehmer, der im eigenen Namen handelt, als eine Lieferung der Gegenstände oder Erbringung der Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht. Die tatsächliche Übergabe der Gegenstände oder die tatsächliche Erbringung der Dienstleistungen, für die ein Einzweck-Gutschein als Gegenleistung oder Teil einer solchen von dem Lieferer oder Dienstleistungserbringer angenommen wird, gilt nicht als unabhängiger Umsatz. Diese Vorschrift kann die Voraussetzungen für einen Einzweck-Gutschein gem. Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL nicht in Frage stellen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass für die Frage, ob ein Einzweck- oder Mehrzweck-Gutschein vorliegt, ausschließlich auf den Zeitpunkt der (erstmaligen) Ausgabe des Gutscheins (hier durch X) abzustellen ist, und es nicht auf den Zeitpunkt einer späteren Übertragung in einer Handelskette ankommt.

BFH muss abschließend entscheiden

Der BFH muss in seiner abschließenden Entscheidung urteilen, ob im Streitfall unter den Voraussetzungen von Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL Einzweck-Gutscheine vorlagen. Hierzu gibt der EuGH dem BFH Entscheidungshilfen. Was das Feststehen des Orts der Leistung der mit den X-Cards verkörperten Leistungen betrifft, zeigt sich für den EuGH insbesondere aufgrund der auf den X-Cards angebrachten Kennung des Mitgliedstaats, in dem die Karten benutzt werden müssen, dass sich der Ort, an dem die verkörperten (elektronischen) Dienstleistungen erbracht werden, hinsichtlich der von der Klägerin an Endkunden verkauften X-Cards in Deutschland befindet.

Daran, dies ist beachtlich, ändert sich nichts, auch wenn nichtdeutsche Endkunden unter Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen die X-Cards von der Klägerin erwerben würden. Die angemessene Einstufung eines Umsatzes für die Zwecke der MwSt darf, so der EuGH, nicht von etwaigen missbräuchlichen Praktiken abhängen.

Feststehen der Höhe der geschuldeten Steuer

Zu der Frage, ob die zweite Voraussetzung für das Vorliegen eines Einzweck-Gutscheins erfüllt ist (Feststehen der Höhe der geschuldeten Steuer) hat sich der EuGH nicht festgelegt. Dies muss alleine der BFH entscheiden. Der EuGH führt dazu nur aus, dass für den Fall, dass in Deutschland die (elektronische) Dienstleistung, die als Gegenleistung für eine X-Card erbracht wird, unabhängig von dem empfangenen digitalen Inhalt derselben Bemessungsgrundlage und demselben Steuersatz unterliegen, die Voraussetzung hinsichtlich der Höhe der geschuldeten USt erfüllt wäre.

Zweite Vorlagefrage klar beantwortet

Die zweite Vorlagefrage des BFH hat der EuGH sehr klar beantwortet. Der EuGH hatte bereits in seinem Urteil v. 28.4.2022 (C-637/20 (DSAB Destination Stockholm)) entschieden, dass Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL i. V. m. Art. 73a MwStSystRL verhindern soll, dass Vertriebs- oder Absatzförderungsleistungen bezogen auf Mehrzweck-Gutscheine nicht besteuert werden, indem sichergestellt wird, dass die MwSt auf jede Handelsspanne erhoben wird.

Daraus folgt, dass in Bezug auf die X-Cards des Ausgangsverfahren, sofern sie als "Mehrzweck-Gutscheine" i. S. v. Art. 30a Nr. 3 MwStSystRL eingestuft werden, nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin beim Weiterverkauf dieser Gutscheine dem Unternehmer, der als Gegenleistung für die Gutscheine tatsächlich elektronische Dienstleistungen an den Endverbraucher bewirkt (hier Y), eine gesonderte Dienstleistung wie etwa eine Vertriebs- oder Absatzförderungsleistung erbringen kann. Es ist Sache des BFH zu prüfen, ob die Umsätze der Klägerin als solche einzustufen sind. Das EuGH-Urteil Lebara (EuGH, Urteil v. 3.5.2012, C-520/10) ist hierbei nicht einschlägig. Dieses bezog sich auf ein Streitjahr, in dem die Neuregelungen zu den Gutscheinen noch nicht galten und auf im Voraus bezahlte Karten für Telekommunikationsdienstleistungen, die, so der EuGH, nach heutiger Sicht als Einzweck-Gutscheine (und nicht als Mehrzweck-Gutscheine) aufzufassen wären.

X-Cards als Einzweck-Gutscheine

Im Ergebnis, sollte der BFH zu der Auffassung kommen, dass zum Zeitpunkt der Ausgabe der X-Cards diese als Einzweck-Gutscheine zu beurteilen waren, würde das Finanzamt in seiner Auffassung bestätigt, dass die Umsätze der Klägerin mit X-Cards als im Inland steuerbar anzusehen sind, weil diese mit der Kennung DE von Y ausschließlich für Endkunden mit Wohnsitz im Inland und einem deutschen Nutzerkonto bestimmt sind, weshalb sich der Leistungsort gem. § 3a Abs. 5 UStG im Inland befindet. Dann würden im Übrigen aber sämtliche der von der Klägerin mit DE-Kennung verkauften X-Cards zu diesem Ergebnis führen. Das Finanzamt müsste noch nicht einmal (wie geschehen) Umsätze von X-Cards der Kennung DE, die an Kunden mit Wohnsitz im Ausland ausgegeben wurden, von der Besteuerung ausnehmen.

Registrierungspflicht  in Deutschland

Im Übrigen hat der EuGH indirekt bestätigt, dass alle Verkäufe eines Einzweck-Gutscheins in einer Handelskette zum gleichen Ergebnis hinsichtlich des Besteuerungsorts führen müssen. Wird, wie im Ausgangsverfahren, (unterstellt) ein Einzweck-Gutschein verkauft, der eine elektronische Dienstleistung an einen Endverbraucher verkörpert, der in Deutschland ansässig ist, ist jeder diesbezügliche Verkauf des Gutscheins somit über § 3a Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 3 UStG im Inland steuerbar. Die Fiktionsregelung, die bei jeder Übertragung von Einzweckgutscheinen den Vorgang als Ausführung der zugrundeliegenden Lieferung oder sonstigen Leistung behandelt, gilt auch für grenzüberschreitende Sachverhalte. Dies hat zur Folge, dass ein ausländischer Verkäufer (wie im Ausgangsverfahren L1 und L2) entsprechender Gutscheine für in Deutschland zu erbringende sonstige Leistungen in Deutschland registrierungspflichtig wird.

EuGH, Urteil v. 18.4.2024, C-68/23 (Finanzamt O)

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