Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Revisionsbegründung bei Doppelbegründung des FG-Urteils; unrichtige Sachbehandlung durch das FG

 

Leitsatz (NV)

1. Ist das Urteil der Vorinstanz auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragfähige rechtliche Erwägungen gestützt, so muß der Revisionskläger in der Revisionsbegründung formgerecht für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie seiner Auffassung nach das angefochtene Urteil nicht tragen; andernfalls ist die Revision unzulässig.

2. Es liegt eine unrichtige Sachbehandlung i. S. von § 8 GKG vor, wenn das FG die Revision im Hinblick auf Rechtsfragen der Vollmachtserteilung zuläßt, ohne selbst vorrangige Fragen zu klären.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2 S. 2; GKG § 8

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben durch ihren Prozeßvertreter Z (im folgenden: Prozeßvertreter), Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1990 eingelegt. Zur Begründung bezogen sie sich auf beim Bundesver fassungsgericht (BVerfG) anhängige Musterverfahren betreffend die Verfassungs mäßigkeit steuerlicher Freibeträge. Eine Einspruchsentscheidung ist bislang nicht ergangen. Unter dem 28. April 1992 erhob der Prozeßvertreter Untätigkeitsklage. Er beantragte, das Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG über die in Parallelverfahren eingelegten Verfassungsbeschwerden (2 BvR 1127/92 und 2 BvR 1136--1138/92) auszusetzen bzw. ruhen zu lassen.

Der Vorsitzende des Finanzgerichts (FG) hat den Prozeßvertreter mit Schreiben vom 6. Mai 1992 unter Fristsetzung aufgefordert, die Urschrift einer von den Klägern unterzeichneten Prozeßvollmacht nachzureichen. Am 15. Juni 1992 übersandte dieser eine Vollmacht, die mit dem Namenszug " ... " und diesem Namen in Druckschrift unterfertigt war. Nach Auffassung des Vorsitzenden des FG wichen die Unterschriften auf dieser Vollmacht hinsichtlich Schriftbild und Schreibweise des Familiennamens von anderen Urkunden ab, die sich in den Steuerakten und anderen die Kläger betreffenden Klageakten befanden. Er forderte den Prozeßvertreter zweifach zuletzt unter Fristsetzung gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, eine Ablichtung des Klageauftrags nebst einer durch Angabe des Aktenzeichens der Klage und des Ausstellungsdatums spezifizierten neuen Prozeßvollmacht vorzulegen. Hierzu trug der Prozeßvertreter vor, die Kläger hätten die eingereichte Vollmacht persönlich unterschrieben; ihnen bleibe es überlassen, ihre Unterschrift so zu leisten, wie sie es für richtig erachteten.

Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen und den Klägern die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die Erhebung der Untätigkeitsklage sei rechtsmißbräuchlich, da sie den Zweck des § 46 Abs. 1 FGO verfehle. Aus diesem Grund brauche das Gericht zu der Frage, ob die Klage auch mangels einer wirksamen Prozeßvollmacht als unzulässig abzuweisen wäre, "nicht abschließend Stellung zu nehmen". Das Gericht betrachte als "naheliegend", daß die Klage durch einen vollmachtlosen Prozeßvertreter erhoben worden sei. Ob in einem solchen Fall die Klage mit der Konsequenz einer Kostentragung durch den Prozeßvertreter als unzulässig abzuweisen sei, bedürfe noch der höchstrichter lichen Entscheidung. Ungeklärt sei, ob die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Konkretisierung einer "Blankovollmacht" (BFH-Urteile vom 15. März 1991 III R 112/89, BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 20. September 1991 III R 114/89, BFH/NV 1992, 322) auch dann gelte, wenn die Unterschriften auf der Vollmacht möglicherweise nicht von der Hand der Kläger stammten und der Prozeßbevollmächtigte trotz einer Fristsetzung nach § 62 Abs. 3 Satz 3 zweiter Halbsatz FGO keine neue, spezifizierte Vollmacht einreiche, die diesen Zweifel ausräume. Zur Klärung dieser Frage hat das FG die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von Verfahrensrecht, insbesondere des § 62 FGO und des Art. 103 des Grundgesetzes (GG). Es sei nicht ersichtlich, warum das FG die Revision zugelassen habe. Das FG habe ohne jede Beweiserhebung zu Unrecht unterstellt, daß die Klage durch einen vollmachtlosen Vertreter erhoben worden sei. Jedenfalls sei die Unterzeichnung gegebenenfalls durch eine fremde Person weder vom Prozeßvertreter noch durch dessen Personal vorgenommen oder veranlaßt worden. Es bestehe die berechtigte Vermutung, daß die Vollmacht mit dem richtig geschriebenen Familiennamen unterzeichnet sei.

Der Prozeßvertreter beabsichtigt, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen "bzw. im Rahmen der Revision zu bestätigen, daß der Prozeßbevollmächtigte für die ,Richtigkeit' der Unterschrift der von ihm vertretenen Kläger verantwortlich ist".

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zumindest unzulässig, weil sie nicht ordnungsgemäß begründet worden ist.

1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzu legen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Zur ordnungs gemäßen Revisionsbegründung bedarf es einer kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, aus der zu erkennen ist, daß der Revisionskläger die Begründung dieses Urteils und sein eigenes bisheriges Vorbringen überprüft hat (ständige Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Anm. 32). Der Revisionskläger muß dartun, welche Ausführungen der Vorinstanz aus welchen Gründen unrichtig sein sollen, welche Punkte des angefochtenen Urteils als veränderungsbedürftig angesehen werden und aus welchen Gründen im einzelnen die Änderung für geboten erachtet wird (BFH-Beschlüsse vom 16. Oktober 1984 IX R 177/83, BFHE 143, 196, BStBl II 1985, 470; vom 1. Juni 1988 IX R 115/83, BFH/NV 1988, 796). Ist das Urteil der Vorinstanz auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragfähige rechtliche Erwägungen gestützt, so muß der Revisionskläger in der Revisionsbegründung formgerecht für jede dieser Erwägungen darlegen, wa rum sie nach seiner Auffassung das angefochtene Urteil nicht tragen; anderenfalls ist die Revision unzulässig (Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 25. Januar 1990 IX ZB 89/89, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1990, 1184; BFH-Beschlüsse vom 21. April 1984 VIII R 97-- 101/84, nicht veröffentlicht -- NV --; vom 19. Februar 1992 X R 164/90, BFH/NV 1992, 536, jeweils mit Nachweisen von Rechtsprechung und Literatur; zur Nichtzulassungsbeschwerde bei Doppelbegründung des FG-Urteils BFH-Beschluß vom 5. Oktober 1992 V B 88/92, BFH/NV 1993, 426).

Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung nicht. Sie befaßt sich nur mit der Frage, ob die vom Prozeßvertreter eingereichte Vollmacht von den Klägern stammt. Das FG hat sein Urteil indes in erster Linie auf die rechtliche selbständige Erwägung gestützt, daß die Erhebung der Untätigkeitsklage unzulässig ist. Zu dieser Rechtsfrage enthält die Revisionsbegründung keine Ausführungen.

2. Der Senat sieht nach § 8 des Gerichtskostengesetzes von der Erhebung von Kosten für das Revisionsverfahren ab. Diese Kosten sind durch eine unrichtige Sachbehandlung des FG entstanden. Dieses hat die Revision im Hinblick auf Rechtsfragen der Vollmachtserteilung zugelassen, ohne die vorrangige Frage zu klären, ob der Prozeßvertreter rechtswirksam bevollmächtigt war. Diese Rechtsfragen konnten wegen der Doppelbegründung im FG-Urteil für sich allein -- abgesehen vom Kostenpunkt -- in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420524

BFH/NV 1995, 819

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