Befangenheit wegen persönlicher Beziehungen des Richters

Steht in einem Rechtsstreit eine Seite dem Richter aus irgendeinem Grund erkennbar näher als die andere, kommt letztere leicht ins Grübeln. Steht sie am Ausgang eines toten Rennens, weil der Richter dem Verfahrensgegner wohlgesonnen ist? Welche Aspekte und Kriterien machen hier einen Befangenheitsantrag aussichtsreich?

Duzen und Herkunft aus demselben Ort

Man sieht sich im Leben immer zweimal, heißt es im Volksmund. Oder auch: Die Welt ist klein. Und so sehen Richter bisweilen ehemalige Kumpel aus der Schulzeit oder Studienfreunde, mit denen sie sich früher oder auch aktuell noch duzen, vor Gericht wieder. Wie intensiv darf die jeweilige Beziehung sein, damit sich der Vorwurf der Befangenheit in Luft auflöst?

Mit dieser Frage beschäftigte sich das OLG Hamm (Beschluss v. 15.5.2012,  I-1 W 20/12). Der Fall betraf einen Vorsitzenden Richter an einem Landgericht. Dieser stammte wie der Beklagte, ein Vorstandsmitglied eines Unternehmens, aus einem kleinen Örtchen, weshalb sie sich gelegentlich duzten. Die Klägerin in dem Zivilprozess lehnte den Richter deshalb wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieser habe die enge Freundschaft zu dem Vorstand verschwiegen. Das OLG Hamm sah das anders.

„Im Regelfall wird etwa eine bloße Bekanntschaft oder auch eine lockere Freundschaft nicht ausreichen, um aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger Würdigung an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (...); dagegen können über das übliche Maß persönlicher oder kollegialer Bekanntschaft hinausgehende freundschaftliche Beziehungen oder gar eine enge Freundschaft zwischen Richter und Partei Umstände darstellen, die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters begründen können“,

erklärten die Hammer Richter. Allein daraus, dass sich der abgelehnte Richter und eine Partei bei Zusammentreffen im Alltag duzen, könne nicht auf das Bestehen einer nahen persönlichen Beziehung geschlossen werden. Die Anrede im vorliegenden Fall sei unschwer auf die gemeinsame Herkunft aus einem kleineren Ortsteil mit einer überschaubaren Einwohnerzahl zurückzuführen.

„Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass sich diese Form einer vertraulichen Anrede - wenn sie erst einmal in Kinder- oder Jugendzeiten begründet worden ist - mit dem Älterwerden nicht verliert, sondern auch von Erwachsenen fortgeführt wird. Sie allein ist jedenfalls kein Indiz für eine nahe persönliche Beziehung und ist deshalb nicht geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung zu rechtfertigen“,

schlussfolgerte das Gericht.

Auch der Umstand, dass der abgelehnte Richter die gemeinsame Herkunft und das bei alltäglichen Zusammentreffen übliche Duzen nicht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung offenbart, sondern im Termin bewusst eine förmliche Anrede mit „Sie" gewählt hat, rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts die Besorgnis der Befangenheit nicht. Es entspreche nach wie vor üblichen und verbreiteten Gepflogenheiten, dass sich die Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung - wie auch im Schriftverkehr - selbst dann nicht duzen, „wenn sie z.B. aufgrund eines gemeinsamen Ausbildungsabschnitts, eines früheren Ausbildungsverhältnisses, einer mehrjährigen Kollegialität oder auch einer freundschaftlichen Beziehung miteinander bekannt bzw. vertraut sind.

Vor diesem Hintergrund ist ein Hinweis darauf, dass man sich gelegentlich im Alltag duzt, jedenfalls in Fällen, in denen keine engere Nähebeziehung zugrunde liegt, nicht zwingend erforderlich“.

Wenn die Ehefrau des Richters Anwältin ist

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt. Das hat der BGH (Beschluss v. 15.3.2012, V ZB 102/11) selbst für den Fall entschieden, dass die Ehefrau des Richters den Mandanten persönlich gar nicht vertritt, in der Kanzlei nur Teilzeit arbeitet und nicht Partnerin ist. Begründung: Schon die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners gebe der Partei begründeten Anlass zur Sorge, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen sei, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, ist es nach Ansicht des BGH einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben wird, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschehe und ihr das bekannt werde.

Partner des Berufungsrichters war Richter der Vorinstanz

Ein in der Praxis nicht seltener Befangenheitsgrund ist die Verheiratung oder Verpartnerung von Richtern, die in verschiedenen Instanzen mit der gleichen Rechtssache befasst sind. Hat sich der BGH in der Vergangenheit in dieser Frage eher großzügig gezeigt (BGH, Urteil v. 17.3.2008, II ZR 313/06), deuten neuere Entscheidungen in eine andere Richtung. Anfang 2020 hat der BGH entschieden, dass infolge des ehelichen Näheverhältnisses der Eindruck der Befangenheit entstehen kann, wenn in der Berufungsinstanz ein Richter mitwirkt, dessen Ehegatte oder Partner in der Vorinstanz als Einzelrichter entschieden hat (BGH, Urteil v. 27.2.2020, III ZB 61/19). Diesen Grundsatz hat der BGH in einer Entscheidung von Anfang dieses Jahres auf eienen Fall übertragen, in dem die mit einem Rechtsbehelf angegriffene Entscheidung der Vorinstanz zwar von einem Richterkollegium getroffen wurde, aber nur einstimmig ergehen konnte (BGH, Beschluss v. 9.2.2022, I ZR 142/22). Ob der BGH diesen Grundsatz in Zukunft auch auf nicht einstimmige Entscheidungen der Vorinstanz ausweitet, in denen ein Partner oder Ehegatte eines Berufungsrichters mitwirkt, hat der Senat ausdrücklich offen gelassen.

Laudatio für eine der Parteien

Auch Lobeshymnen eines Zivilrichters in einem Beitrag in einer Festschrift für eine der am Prozess beteiligten Parteien können den Eindruck von zu großer persönlicher und beruflicher Nähe und damit der Befangenheit rechtfertigen (BGH, Beschluss v. 7.11.2018, IX ZA 16/17), während allgemeine berufliche Kontakte eines Richters zu einer Partei – z.B. Autorentätigkeit für einen Verlag, an dem eine der Prozessparteien als Gesellschafter beteiligt ist - für die Besorgnis der Befangenheit nicht ausreichen (BGH, Beschluss v. 10.6.2013, AnwZ 24/12).

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