Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die angegriffene Maßnahme oder das angegriffene Unterlassen der öffentlichen Gewalt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt.
2. Mittelbar können auch völkerrechtliche Menschenrechtsverbürgungen, wie z.B. EMRK oder das WKÜ, mit der Verfassungsbeschwerde überprüft werden.
3. Nach der Rspr. des BVerfG scheidet eine mittelbare Prüfung von Europäischem Unionsrecht aus. Wird allerdings eine Vorlagepflicht an den EuGH nicht erfüllt, kommt eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG in Betracht.
 

Rdn 970

 

Literaturhinweise:

Burhoff, Verfahrensverzögerung, überlange Gerichtsverfahren und Verzögerungsrüge – die Neuregelungen im GVG, StRR 2012, 4

Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerde und Menschenrechtsbeschwerden, 2007

Zuck, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren vor dem BVerfG, NVwZ 2012, 265.

s.a. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2, und bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 971

1.a) Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die angegriffene Maßnahme oder das angegriffene Unterlassen der öffentlichen Gewalt i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten in ihrer Ausgestaltung als spezifisches Verfassungsrecht (s. dazu auch: → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Prüfungsumfang, Teil C Rdn 980) selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt.

 

Rdn 972

b) Mit der Verfassungsbeschwerde können gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. § 90 Abs. 1 BVerfGG somit nur Grundrechte und die grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 33, 38, 101, 103 und 104 GG als verletzt gerügt werden.

 

☆ Neben den expressis verbis bekannten Grundrechten gibt es weitere Prinzipien mit Verfassungsrang , die aus den Grundrechten bzw. der Verfassung fließen und ebenfalls als verletzt gerügt werden können, und zwarPrinzipien mit Verfassungsrang, die aus den Grundrechten bzw. der Verfassung fließen und ebenfalls als verletzt gerügt werden können, und zwar

das Verhältnismäßigkeitsprinzip (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, Verhältnismäßigkeitsprinzip, Teil C Rdn 1083),
der Schuldgrundsatz (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, Schuldgrundsatz, Teil C Rdn 1055),
das Gebot der Wahrheitserforschung (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, Wahrheitserforschungsgebot, Teil C Rdn 1104),
das Recht auf ein faires Verfahren (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, faires Verfahren, Teil C Rdn 863),
die Unschuldsvermutung (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, Unschuldsvermutung, Teil C Rdn 1079),
und der Nemo-tenetur-Grundsatz (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, Nemo-Tenetur-Grundsatz, Teil C Rdn 969).
 

Rdn 973

c) Völkerrecht, Europarecht, einfaches Gesetzesrecht oder Landesverfassungsrecht kann unmittelbar nicht als verletzt gerügt werden.

 

Rdn 974

Nach der sog. Elfes-Doktrin kann mittelbar aber jeder einfachgesetzliche Grundrechtseingriff überprüft werden. Die amtlichen Leitsätze der Elfes-Entscheidung (BVerfGE 6, 32) lauten in dem hier interessierenden Zusammenhang: "Verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG ist die verfassungsmäßige Rechtsordnung, d.h. die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind" und "jedermann kann im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, eine seine Handlungsfreiheit beschränkende Rechtsnorm gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung." Das bedeutet, dass jedes die allg. Handlungsfreiheit beschränkende Gesetz formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen muss, d.h. kompetenzmäßig erlassen, den Wesensgehalt des Grundrechts unangetastet lassen muss (Art. 19 Abs. 2 GG) und auch sonst den Grundsätzen der Verfassung nicht widersprechen darf (BVerfGE 6, 32, 41; 115, 118, 139).

 

☆ Das eröffnet den Weg zur mittelbaren Rechtssatzverfassungsbeschwerde , d.h. zur Rüge, der Entscheidung liege eine verfassungswidrige Norm zugrunde (s.a. →  Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, Beschwerdegegenstand , Teil C Rdn  1163 ).mittelbaren Rechtssatzverfassungsbeschwerde, d.h. zur Rüge, der Entscheidung liege eine verfassungswidrige Norm zugrunde (s.a. → Verfassungsbeschwerde, Zulässigkeit, Beschwerdegegenstand, Teil C Rdn 1163).

 

Rdn 975

2.a) Mittelbar können auch völkerrechtliche Menschenrechtsverbürgungen, wie z.B. EMRK oder das WKÜ (Wiener Konsularrechtsübereinkommen), auch die Europäische Grundrechte-Charta (vgl. Lenz/Hansel, § 90 Rn 248) mit der Verfassungsbeschwerde überprüft werden. Zur Berücksichtigung der EMRK hat das BVerfG bereits in seinem Leitsatz des Beschl. v. 14.10.2004 (2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307, 328) festgehalten, dass zur Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die Berücksichtigung der Gewährleistungen der EMRK und der Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung gehört. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorra...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge