Das Wichtigste in Kürze:

1. Das Gebot der Wahrheitserforschung überschneidet sich mit dem Schuldgrundsatz und dem Recht auf ein faires Verfahren.
2. Die Beweiswürdigung muss auf rationaler Grundlage erfolgen.
3. Ob der "Deal" als solcher mit dem GG vereinbar ist, insbesondere in der in Gesetzeskraft erwachsenen Norm des § 257c, ist verfassungsrechtlich nicht abschließend geklärt.
 

Rdn 1105

 

Literaturhinweise:

Volk, Bin ich Jurist als solcher – und wenn ja, wie viele, ZIS 2012, 214

s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 1106

1. Das Gebot der Wahrheitserforschung hängt eng mit dem Schuldgrundsatz (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, Schuldgrundsatz, Teil C Rdn 1055) zusammen, wenn auch die Herleitung dogmatisch nicht ganz klar ist, nämlich Herleitung aus dem Schuldgrundsatz bzw. aus dem fairen Verfahren (→ Verfassungsbeschwerde, Begründung, faires Verfahren, Teil C Rdn 863) bzw. Rechtsstaatsprinzip.

 

Rdn 1107

Die Kernaussagen des BVerfG lauten hierzu: "Als zentrales Anliegen des Strafprozesses erweist sich daher die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden kann. Der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren kann deshalb auch durch verfahrensrechtliche Gestaltungen berührt werden, die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstehen" (BVerfGE 57, 250, 275). Und: "Ein zentrales Anliegen eines rechtsstaatlich geordneten Strafverfahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als der notwendigen Grundlage eines gerechten Urteils. Ausgestaltungen des Strafverfahrens, welche die Ermittlung der Wahrheit zu Lasten des Beschuldigten behindern, können daher seinen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen" (BVerfGE 63, 45, 61).

 

Rdn 1108

2.a) Allgemein bekannt ist, dass es z.B. unzulässig ist, alleine aus der Haltereigenschaft auf die Fahrereigenschaft zu schließen (vgl. BGHSt. 25, 365). Um den Schluss dennoch zu ermöglichen, werden in der Praxis in nicht wenigen Fällen weitere Indizien, die tatsächlich aber nur Scheinindizien sind (vgl. Geipel, Kap. 9, Rn 12 ff.), hinzugenommen. So im folgenden Fall: "Auf die Fahrereigenschaft des Bf. schloß es [das Gericht] zum einen aus dessen Haltereigenschaft und zum anderen aus dem gerichtsbekannten Umstand, daß sich an dem Baggersee im Sommer Erholungssuchende aus dem maximal 20 km entfernten Marburg, dem Wohnort des Bf., in großer Zahl aufhielten. Weitere Ausführungen zur Beweiswürdigung enthält das Urteil nicht", so dass das BVerfG mitteilt: "Als Indiz ist jedoch die Tatsache, daß sich an dem See im Sommer zahlreiche Erholungssuchende aus dem Wohnort des Bf. aufhalten, für sich genommen nicht ausreichend, weil sie völlig ungeeignet ist, die Möglichkeit, daß eine andere Person als der Bf. das Fahrzeug zur fraglichen Zeit geführt hat, auszuschließen" (BVerfG StV 1994, 3).

 

☆ Schlampige Beweiswürdigungen mit unhaltbarer Indizwirkung indizieren, daß sich das Gericht nicht ausreichend um eine an Recht und Gesetz ausgerichtete Entscheidung bemüht hat. Damit drängt sich der Schluß auf, daß das Gericht gegen das dem Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmende Willkürverbot verstoßen hat (BVerfG, a.a.O.).unhaltbarer Indizwirkung indizieren, "daß sich das Gericht nicht ausreichend um eine an Recht und Gesetz ausgerichtete Entscheidung bemüht hat. Damit drängt sich der Schluß auf, daß das Gericht gegen das dem Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmende Willkürverbot verstoßen hat" (BVerfG, a.a.O.).

 

Rdn 1109

b) Ähnlich absurde Indizwirkungen sind dem Praktiker – auch in anderen Bereichen – nicht unbekannt. Vor allem im Bereich der Telekommunikationsüberwachung werden völlig neutrale Gesprächsinhalte als Belastungsindizien gewertet, so z.B. die Frage, ob der Teilnehmer zu Hause sei, als Bestellung einer Droge oder "Küsschen" als Gramm Kokain (vgl. Handel, Der Schweigende Zeuge, SZ vom 17.4.2012, S. R 5).

 

Rdn 1110

c) Tatsächlich gibt es eine verfassungsgerichtliche Möglichkeit, das Beweismaß der objektiv hohen Wahrscheinlichkeit (vgl. hierzu umfassend Geipel, Kap. 6, Rn 1 ff. m.w.N.) einzufordern. Nicht jeder Verstoß gegen § 244 Abs. 2 oder § 261 und die hierzu vom BGH aufgestellten Grundsätze rechtfertigt aber das Eingreifen des BVerfG. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich das Tat- und gegebenenfalls das Revisionsgericht so weit von der Verpflichtung entfernt haben, in Wahrung der Unschuldsvermutung bei jeder als Täter in Betracht kommenden Person auch die Gründe, die gegen die mögliche Täterschaft sprechen, wahrzunehmen, aufzuklären und zu erwägen, dass der rationale Charakter der Entscheidung verloren gegangen scheint und sie keine tragfähige Grundlage mehr für die mit einem Schuldspruch einhergehende Freiheitsentziehung sein kann (BVerfG NJW 2003, 3513; vgl. a. BVerfGK 1, 145, 152; BVerfG NStZ-RR 2007, 381).

 

☆ Das gilt auch im Vollstreckungsverfahren (BVerfGE 70, 297, 308).auch im Vollstreckungsverfahren (BVerfGE 70, 297, 308).

 

Rdn 1111

3. Ob der "Deal" als solcher mit dem GG verei...

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