Bundesverfassungsgericht nimmt Klimaschutzklagen nicht an

Das BVerfG hat elf Verfassungsbeschwerden von Klimaschützern nicht zur Entscheidung angenommen. Mit ihren Eingaben wollten die Klimaaktivisten einzelne Bundesländer verpflichten, ihre Klimaschutzgesetze nachzuschärfen und konkrete Reduktionspfade für Treibhausgase gesetzlich zu normieren.

Die von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unterstützten Beschwerdeführer untermauerten ihre Beschwerden mit der viel beachteten Klimaentscheidung des BVerfG vom März 2021. Dort hatte das höchste deutsche Gericht den Verfassungsbeschwerden von Klimaschützern teilweise stattgegeben, weil das Klimaschutzgesetz des Bundes (KSG) keinen klar definierten Weg zur Erreichung der Klimaziele bis zum Jahr 2045/2050 vorgegeben hatte. Nach der Entscheidung des BVerfG bestand die Gefahr, dass zur Erreichung der Klimaziele die Grundrechte der Beschwerdeführer in absehbarer Zukunft in nicht zumutbarer Weise eingeschränkt werden müssten.

Verfassungsbeschwerde wegen zukünftiger Grundrechtsbeschränkungen zulässig

Die hieran angelehnte Argumentation der Beschwerdeführer ließ das BVerfG in seiner jetzigen Entscheidung nicht gelten. Grundsätzlich besteht nach der Begründung des Ablehnungsbeschlusses zwar die Befugnis der Beschwerdeführer, Verfassungsbeschwerde wegen möglicher zukünftiger Freiheitsbeschränkungen einzureichen. Zulässig sei eine solche Verfassungsbeschwerde aber nur in Fällen einer eingriffsähnlichen Vorwirkung der angegriffenen gesetzlichen Regelungen auf die Rechte der Beschwerdeführer.

Treibhausgasminderungslast nicht einseitig in die Zukunft verschieben

In seinem Ablehnungsbeschluss stellt das BVerfG klar, dass das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG sowie die verfassungsrechtlich geschützten Freiheits- und Eigentumsrechte gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 GG den Staat grundsätzlich verpflichten, die Treibhausgasminderungslast nicht einseitig in spätere Zeiträume zu verlagern. Dies gelte vor allem dann, wenn bereits absehbar sei, dass die geltenden Gesetze zu unverhältnismäßigen Belastungen auch künftiger Generationen durch dann erforderliche Klimaschutzmaßnahmen führen werden. Deshalb könnten Regelungen, die den zulässigen Gesamtausstoß an CO2 in näherer Zukunft regeln, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn diese Regelungen erkennbar erhebliche Grundrechtsbeschränkungen in die Zukunft verlagern.

Keine eingriffsähnliche Vorwirkung des Landesrechts

Allerdings ist die erforderliche eingriffsähnliche Vorwirkung nach Auffassung des BVerfG im Hinblick auf die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen landesrechtlichen Klimagesetze bzw. durch die in einigen Bundesländern fehlenden klimarechtlichen Vorschriften nicht festzustellen.

Verfassungsbeschwerde ist gegen zulässige Gesamtemissionen zu richten

Die Feststellung einer solchen eingriffsähnlichen Vorwirkung setzt nach dem Beschluss des BVerfG ein zumindest grob erkennbares Budget zulassungsfähiger CO2-Emissionen der Beschwerdegegner, also in diesem Fall der Länder, voraus. Die Verfassungsrüge müsse sich dann gegen die Gesamtheit der zulässigen CO2-Emissionen in der Gegenwart richten.

Höhe der Emissionsreduktionslasten muss abschätzbar sein

Diese Voraussetzungen einer zulässigen Verfassungsbeschwerde sind nach der Bewertung des BVerfG bei keinem der Beschwerdeführer gegeben. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass die von den Verfassungsbeschwerden adressierten Landesgesetzgeber einem erkennbaren Budget insgesamt noch zulassungsfähiger CO2-Emissionen unterlägen. Nur bei einem solchen erkennbaren Budget könnten die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Landesregelungen im Anschluss an den gesetzlich geregelten Zeitraum unverhältnismäßige Freiheitsbeschränkungen durch dann zu erfüllende erhöhte Emissionsreduktionslasten nach sich ziehen.

Zulässige CO2-Gesamtemissionen sind bundesgesetzlich geregelt

Darüber hinaus existiere zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflichten vor den Gefahren des Klimawandels ein bundesweit geltendes Klimaschutzgesetz, das nach der im März 2021 ergangenen Entscheidung des BVerfG vom Gesetzgeber entsprechend den Maßgaben des BVerfG nachgeschärft worden sei. Es sei nicht ersichtlich, was Änderungen der bestehenden oder nicht bestehenden Landesklimaschutzgesetze an der bundesgesetzlich zulässigen CO2-Belastung ändern könnten.

Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen

Die eingereichten Verfassungsbeschwerden haben vor diesem Hintergrund nach Auffassung des BVerfG keine Aussicht auf Erfolg. Das Gericht hat die Beschwerden daher nicht zur Entscheidung angenommen.

(BVerfG, Beschluss v. 18.1.2022, 1 BvR 1565/21; 1 BvR 2058/21; 1 BvR 2574/21; 1 BvR 1936/21 u.a.)

Hintergrund:

Im April hatte das BVerfG in einer viel beachteten Entscheidung der Verfassungsbeschwerde von Klimaschützern gegen das im Jahr 2019 für Deutschland verabschiedete Klimaschutzgesetz (KSG) teilweise stattgegeben und den Gesetzgeber verpflichtet, klar definierte Vorgaben für die Minderung von Treibhausgasemissionen nach dem Jahr 2030 in das Gesetz zu schreiben.

Erstmalig Verfassungsbeschwerde wegen künftiger Grundrechtseingriffe erfolgreich

Die insoweit fehlenden gesetzlichen Vorgaben bargen nach der Entscheidung des BVerfG die Gefahr in Zukunft erforderlicher, unverhältnismäßiger Grundrechtsbeschränkungen. Nur mit einer klaren gesetzlichen Definition des Treibhausgasreduktionspfades über das Jahr 2030 hinaus seien die in Zukunft erforderlichen Grundrechtseinschränkungen zur Erreichung der Klimaziele bis zum Jahr 2050 ausreichend abschätzbar und eingrenzbar (BVerfG, Beschluss v 24.3.2021, 1 BvR 2656/18; 1 BvR 96/20; 1 BvR 78/20 u.a.).

Klimaklagen weltweit auf dem Vormarsch

Klagen von Klima- und Umweltschützern sind keine Seltenheit mehr und häufen sich nicht nur vor deutschen Gerichten. In einer viel beachteten Entscheidung hatte der EGMR eine Klage von 6 portugiesischen Kindern gegen 33 Staaten wegen der Folgen klimaschädlicher Emissionen für zulässig erklärt und zur Verhandlung angenommen. Die Kläger hatten die Treibhausemissionen und den damit verbundenen weltweiten Klimawandel mitverantwortlich für die enormen Waldbrände im Jahr 2017 in Portugal gemacht, die in der Region „Pedrogao Grande“ 110 Menschen das Leben kostete und auch sonst erheblichen Schaden anrichtete. Die Klage ist noch beim EGMR anhängig.

Der EuGH bewertet europäische Klimaziele nicht als Individualrechte

Der EuGH ist gegenüber Umweltschutz- und Klimaklagen zurückhaltender als der EGMR und bewertet die europäischen Klimaziele nicht als Individualrechte, aus der einzelne EU-Bürger eine Klagebefugnis ableiten können (EuGH, Urteil v. 25.3.2021, C-565/19).