
Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, hat er regelmäßig Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Hat der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, steht er vor der Frage, welche Möglichkeiten ihm zur Überprüfung zur Verfügung stehen. Beispiele sind die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung oder des Betriebsarztes. Was ist sinnvoll und zulässig?
Rechtliche Bedeutung des ärztlichen Attests
Für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich der betreffende Arbeitnehmer beweispflichtig. Dabei kommt dem vom Arbeitnehmer regelmäßig vorgelegten ärztlichen Attest über das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit und ihrer Dauer in Form der AU-Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Sätze 2–4 EFZG allerdings ein hoher Beweiswert zu. Bei seinem Vorliegen besteht nach der Rechtsprechung die tatsächliche Vermutung, dass der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig war (BAG, Urteil v. 19.2.1997, 5 AZR 83/96).
Wenn der Arbeitgeber der Arbeitsunfähigkeit misstraut
Will der Arbeitgeber seine Zweifel geltend machen, muss er zwar nicht den Beweis der Arbeitsfähigkeit erbringen. Er muss jedoch Tatsachen vortragen und beweisen, aus denen sich ernsthafte Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben und dadurch den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttern. Zur Erschütterung des Beweiswertes kommen dabei verschiedenste Mittel, wie auch eigene Nachforschungen, in Betracht, die sich selbstverständlich jeweils im Rahmen des gesetzlich Zulässigen zu halten haben.
Ist es dem Arbeitgeber gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung zu erschüttern, so ist es Sache des Arbeitnehmers, seinerseits für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Beweis zu erbringen, wie etwa durch die Aussage seines behandelnden Arztes oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Kann der Arbeitgeber den Medizinischen Dienst einschalten?
Die gesetzlichen Krankenkassen sind zur Beseitigung von Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit verpflichtet, eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst einzuleiten (§ 275 Abs. 1 Nr. 3 SGB V).
Der Arbeitgeber selbst kann verlangen, dass die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt (§ 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V). Er hat mithin gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen einen entsprechenden Anspruch.
Die Krankenkasse kann von einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes (nur) absehen, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden ärztlichen Untersuchungen ergeben (§ 275 Abs. 1a Satz 4 SGB V).
Hinweise, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit wecken können
Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit sind nach der gesetzlichen Regelung des § 275 Abs. 1a SGB V insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen
- Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind,
- der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder
- die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
Die gesetzliche Aufzählung ist indes nicht abschließend. Auch anderweitige Zweifel können geeignet sein, die Prüfung durch den Medizinischen Dienst in Gang zu setzen, wie etwa Hinweise, die sich
- aus der Bescheinigung selbst ergeben (z. B. unzulässige rückwirkende Bescheinigung oder Dauerbescheinigung),
- aus den tatsächlichen Umständen (z. B. regelmäßige Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit zum Ende des Urlaubs) oder
- aus dem Verhalten des Arbeitnehmers (z. B. nach vorheriger Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit, nach innerbetrieblichen Differenzen oder nach Ausspruch einer Kündigung).
Hilfreiche Hinweise können sich dabei auch aus den Vorgaben der jeweils geltenden Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ergebenden.
Prüfung und Information über das Ergebnis durch die Krankenkasse
Die Prüfung durch die Krankenkasse hat unverzüglich nach Vorlage der ärztlichen Feststellung über die Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen (§ 275 Abs. 1a Satz 2 SGB V). Sie findet insbesondere nicht etwa erst dann statt, wenn die Krankenkasse Krankengeld zu leisten hat.
Der Medizinische Dienst teil das Ergebnis seiner Begutachtung der Krankenkasse und dem behandelnden Arzt mit. Solange noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, erhält auch der Arbeitgeber – durch die Krankenkasse (§ 277 Abs. 2 SGB V) – eine Information über das Ergebnis der Begutachtung, wenn vom Ergebnis des behandelnden Arztes abgewichen wird.
Bei privat Krankenversicherten ist die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der gesetzlichen Krankenkassen mangels Mitgliedschaft naturgemäß nicht möglich.
Wann darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Betriebsarzt schicken?
Betriebsärzte haben die Aufgabe, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen und dabei insbesondere auch die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten sowie die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG).
Zu den Aufgaben der Betriebsärzte gehört es nicht, Krankmeldungen der Arbeitnehmer auf ihre Berechtigung zu überprüfen (§ 3 Abs. 3 ASiG).
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Hintergrund: Bescheinigung aus dem Ausland
Einer von einem ausländischen Arzt im Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (§ 5 Abs. 2 EFZG) kommt im Allgemeinen der gleiche Beweiswert zu wie einer von einem deutschen Arzt ausgestellten Bescheinigung.
Die Bescheinigung muss jedoch erkennen lassen, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterscheidet und damit eine den Begriffen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechtes entsprechende Beurteilung vorgenommen hat (vgl. BAG v. 19.2.1997, 5 AZR 83/96).