Unionsrechtskonformität des Kündigungsschutzes von Datenschutzbeauftragten
Bis zur Entscheidung im Juni 2023 herrschte hingegen Ungewissheit, inwieweit die zu Kündigungen entwickelte Rechtsprechung auch für die bloße Abberufung von diesem immer wichtigeren Amt gilt. Nun hat das BAG im Anschluss an das Urteil des EuGH eine Antwort gegeben.
Sachverhalt
Gegenstand des Rechtsstreits war die Abberufung des Klägers als Datenschutzbeauftragter. Hinsichtlich der Abberufung gab die beklagte Arbeitgeberin an, diese sei infolge der Vorgaben der DSGVO und weiterer landesrechtlicher Regelungen (§ 11 des Gesetzes zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung im Freistaat Sachsen) automatisch erfolgt.
Dagegen wehrte sich der Kläger. Eine Abberufung setze einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Er beantragte daher festzustellen, dass seine Rechtsstellung als Datenschutzbeauftragter nicht durch Abbestellung beendet worden ist.
Klageabweisung durch das ArbG und LAG
Beide Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Der Kläger wendete sich daher im Revisionsverfahren an das BAG.
Vorlagebeschluss des BAG vom 27.04.2021
Das BAG setzte den Rechtsstreit zunächst aus, um sich im Vorabentscheidungsverfahren an den EuGH zu wenden. Nach Auffassung des BAG enthält das nationale Recht im Vergleich zum Unionsrecht einen stärkeren Schutz des Datenschutzbeauftragten vor einer Abberufung. In Frage stand für das BAG daher das Verhältnis beider Regelungswerke zueinander – konkret das Verhältnis von § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG (i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB) und der DSGVO. Diese gilt unmittelbar für alle Mitgliedstaaten und genießt daher Anwendungsvorrang. Vorgreiflich zu der Frage, ob die Abberufung des Datenschutzbeauftragen eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB bedarf, war mithin zu klären, ob die nationalen Regelungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind.
Zudem hatte das BAG infrage gestellt, ob Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO überhaupt eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für Regelungen zum Kündigungs- und Abberufungsschutz darstellt. Die Frage war im Grunde jedoch nur für den Fall der Unvereinbarkeit von nationalem und Unionsrecht relevant.
Entscheidung des EuGH – Vereinbarkeit ja, aber keine abschließende Antwort
Mit Urteil vom 09.02.2023 (C-560/21) hat der EuGH die Vereinbarkeit des Kündigungsschutzes für Datenschutzbeauftragte nach § 6 Abs. 4 S. 1 BDSG mit Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO bestätigt. Bereits am 22.06.2022 (C-534/20) hatte der EuGH festgestellt, dass dem deutschen Sonderkündigungsschutz Unionsrecht grundsätzlich nicht entgegensteht. Da es in vorliegendem Fall ausschließlich um die Abberufung – nicht auch um eine Kündigung – ging, bedurfte es hier einer erneuten Entscheidung des EuGH.
Der EuGH betonte in seiner Entscheidung erneut, dass die Ziele der DSGVO nicht beeinträchtigt werden dürfen. Die DSGVO zielt darauf ab, innerhalb der Union ein hohes Schutzniveau für natürliche Personen bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu gewährleisten. Zwar sind nationale Regelungen, die einen gesteigerten Schutz der Datenschutzbeauftragten bezwecken, grundsätzlich möglich – jedoch nur, soweit den Zielen der DSGVO Rechnung getragen wird. Ein strengerer Schutz des Datenschutzbeauftragten, der etwa seine Abberufung verhindern würde, obgleich er aufgrund eines Interessenkonflikts seine Aufgaben nicht oder nicht mehr in vollständiger Unabhängigkeit wahrnehmen kann, würde die Verwirklichung dieses Ziels beeinträchtigen und wäre daher unzulässig.
Mit anderen Worten: Die nationalen Kündigungsschutzregelungen sind mit dem Unionsrecht vereinbar – es sind jedoch gewisse Einschränkungen unter Zugrundelegung des Schutzzwecks zu berücksichtigen.
Aktuelles Urteil des BAG – wichtiger Grund zur Abberufung erforderlich
Eine greifbare Grenze für nationale strengere Schutzregelungen für Datenschutzbeauftragte hat der EuGH in seiner Entscheidung nicht vorgegeben. Es sei vielmehr Sache der nationalen Gerichte, sicherzustellen, dass die Bestimmungen der DSGVO eingehalten werden. Daher durfte das abschließende Urteil des BAG mit Spannung erwartet werden.
Nun hat das BAG entschieden: Der besondere Schutz des betrieblichen Datenschutzbeauftragten vor einer Abberufung gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Damit gelten die über § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG in Bezug genommenen Anforderungen des § 626 Abs. 1 BGB nicht nur für die Kündigung des Datenschutzbeauftragten, sondern bereits für seine bloße Abberufung.
Das BAG hielt fest, dass ein die Abberufung rechtfertigender wichtiger Grund etwa vorliegen kann, wenn der Datenschutzbeauftragte die für die Aufgabenerfüllung erforderliche Fachkunde oder Zuverlässigkeit nicht (mehr) besitzt. Dies in Anlehnung an die Entscheidung des EuGH, wonach die wirksame Durchsetzung der DSGVO im Vordergrund zu stehen hat.
Wann genau liegt jedoch ein Fall fehlender Zuverlässigkeit vor? Auch darauf versucht das BAG eine Antwort zu geben: Die Zuverlässigkeit eines Datenschutzbeauftragten könne bei drohenden Interessenkonflikten in Frage stehen. Beispielhaft wird der Fall genannt, dass der Datenschutzbeauftragte eine Position bekleidet, die die Festlegung von Zwecken und Mitteln der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand hat.
Wann darüber hinaus ein die Abberufung rechtfertigender Grund vorliegen kann, bleibt jedoch auch nach der Entscheidung des BAG sehr vage.
Bedeutung für die Praxis
Das BAG führt die Rechtsprechungslinie, die es bereits zur Kündigung von Datenschutzbeauftragten entwickelt hat, für die Abberufung fort. Auch bei der bloßen Abberufung muss der Arbeitgeber einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB aufgrund der Verweisung im BDSG vorweisen können. Das Unionsrecht steht dem grundsätzlich nicht entgegen. Um die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu gewährleisten hat das BAG einen Kunstgriff vollzogen und die Beeinträchtigung der Durchsetzung des Datenschutzes wegen etwaiger fehlender Fachkunde oder Zuverlässigkeit zum Kündigungs- bzw. Abberufungsgrund erklärt. Wann genau ein solcher Fall vorliegt, bleibt jedoch bis auf wenige Beispiele vom BAG wenig greifbar.
(BAG, Urteil v. 06.06.2023, 9 AZR 621/19)
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