Rn 9

Das System der gesetzlichen Rechtsbehelfe bildet sozusagen das Rückgrat des Schuldrechts für Fälle von pflichtverletzenden Ereignissen, insbes – bei Leistungspflichten – von sog Leistungsstörungen. Hier können die Ursachen und Gründe der Pflichtverletzung erheblich werden, denn sie können zusätzlich zur Pflichtverletzung als negative oder positive Voraussetzungen für die Begründung eines bestimmten Rechtsbehelfs von Bedeutung sein. Als allgemeine Rechtsbehelfe sind die Ansprüche auf Erfüllung und Schadensersatz zu sehen, ferner – bei vertraglichen Schuldverhältnissen – die Rechte zur Aufhebung des Vertragsbandes durch Rücktritt oder Kündigung. Für bestimmte Konstellationen oder für bestimmte Vertragstypen stellt das Gesetz weitere, spezielle Rechtsbehelfe zur Verfügung, etwa einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder das Recht zur Minderung der (eigenen) Gegenleistung, etwa bei Kauf-, Miet-, Werk- und Reisevertrag, aber auch bei Durchführung eines Vertrages durch Leistung (Ersatzherausgabe) eines minderwertigen Surrogates im Falle des § 326 III (s § 326 Rn 19). Hier wie etwa im Miet- und Reisevertragsrecht tritt die Minderung freilich ipso iure ein, so dass der Gläubiger diesen Rechtsbehelf nicht ›ausüben‹ muss. Richtigerweise lässt sich aus den Regelungen der einzelnen Vertragstypen sowie aus §§ 323, 326 ein allgemeines Recht zur Minderung herleiten (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 556 f).

 

Rn 10

Das Gesetz betrachtet diese Rechtsbehelfe grds als gleichrangig und gibt damit die überkommene Vorstellung vom Erfüllungszwang als Kehrseite der Pflicht, vom Erfüllungsanspruch als dem selbstverständlichen ›Rückgrat der Obligation‹ auf (Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 459, 465 f). Der Erfüllungsanspruch ist ein Rechtsbehelf unter mehreren; das zeigt nicht zuletzt der Umkehrschluss aus §§ 281 I 1, 323 I, 637 I, 651k II, 651l I. Dass der Gesetzgeber gleichwohl primär auf eine Durchführung von Verträgen und sonstigen Schuldverhältnissen in Natur setzt, lässt sich daran ablesen, dass er vom Gläubiger eines solchen mehrfach verlangt, dem Schuldner mittels Setzung einer angemessenen Frist zunächst noch einmal die Möglichkeit einzuräumen, seine Pflichten zu erfüllen (§§ 281 I 1, 323 I, 637 I, 651k II, 651l I 2). Der so begründete Vorrang des Erfüllungsanspruchs bedarf jedoch – darin zeigt sich gerade die Gleichrangigkeit der Rechtsbehelfe – im Einzelfall der ausdrücklichen Anordnung für den jeweiligen Rechtsbehelf. Das zeigt sich auch daran, dass die einmal erfolgte Beseitigung des Vorrangs durch Fristsetzung endgültig ist; nicht etwa stellt das weitere Drängen des Gläubigers auf Erfüllung den Vorrang wieder her (Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 459; unrichtig daher Celle NJW 05, 2094 [OLG Celle 17.05.2005 - 16 U 232/04]).

 

Rn 11

Praktische Bedeutung erlangt diese Regelungsstruktur va bei solchen Rechtsbehelfen, für die keine ausdrückliche Anordnung des Fristsetzungserfordernisses gegeben ist, etwa bei den Aufwendungsersatzansprüchen nach §§ 445a I (s § 445a Rn 6 ff), 536a II (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 459) oder bei den besonders geregelten Aufhebungsrechten nach §§ 543 (s § 543 Rn 24 für den Mietrückstand), 626 (zu dem inzwischen vielfach aus § 314 II abgeleiteten Erfordernis einer Abmahnung vgl § 620 Rn 57 ff), und Schadensersatzansprüchen nach §§ 536a I, 628 II (s BGH NJW 02, 3237 [BGH 17.05.2002 - V ZR 123/01] [zum alten Schuldrecht]). Die Begründung eines zusätzlichen Fristsetzungs- oder Abmahnungserfordernisses lässt sich in diesen Fällen jedenfalls nicht auf einen allgemeinen Vorrang des Erfüllungsanspruchs stützen.

 

Rn 12

Neben den genannten Rechtsbehelfen kommt gelegentlich eine Rechtsdurchsetzung durch den Gläubiger im Wege der Selbsthilfe oder ähnlicher Formen in Betracht (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 460). Va räumt das Gesetz dem Schuldner, der seinerseits vom Gläubiger etwas fordern kann, in einer Reihe von Bestimmungen Zurückbehaltungsrechte ein (etwa §§ 273, 359, 1000 oder §§ 369 ff HGB). Durch Zurückhaltung der eigenen Leistung soll der Gläubiger zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten werden. Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts soll und kann also Erfüllungszwang bewirken. Freilich erlauben Zurückbehaltungsrechte primär nur eine Verteidigung des Schuldners gegen Ansprüche seines Gläubigers; ihre Funktion als Rechtsbehelf ist deshalb eher sekundär und mittelbar.

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