Gesetzestext

 

(1) 1Der Besitzer kann die Herausgabe der Sache verweigern, wenn er oder der mittelbare Besitzer, von dem er sein Recht zum Besitz ableitet, dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist. 2Ist der mittelbare Besitzer dem Eigentümer gegenüber zur Überlassung des Besitzes an den Besitzer nicht befugt, so kann der Eigentümer von dem Besitzer die Herausgabe der Sache an den mittelbaren Besitzer oder, wenn dieser den Besitz nicht wieder übernehmen kann oder will, an sich selbst verlangen.

(2) Der Besitzer einer Sache, die nach § 931 durch Abtretung des Anspruchs auf Herausgabe veräußert worden ist, kann dem neuen Eigentümer die Einwendungen entgegensetzen, welche ihm gegen den abgetretenen Anspruch zustehen.

A. Begriffe und allgemeiner Regelungsinhalt.

 

Rn 1

§ 986 ist die Korrektivnorm zum bedingungslos formulierten Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985: Wenn und solange der Besitzer dem Eigentümer ggü zum Besitz berechtigt ist, steht ihm gegen den Herausgabeanspruch eine Einwendung zu (BGH NJW 99, 3716 [BGH 22.04.1999 - I ZR 37/97]; MüKo/Baldus § 986 Rz 53 ff: BGH BGHReport 07, 1096 [BGH 09.07.2007 - II ZR 233/05]), dh der Anspruch auf Herausgabe entsteht entweder nicht oder er wird – bei Entstehung eines Besitzrechts bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – durch eine vAw vom Gericht zu beachtende Einwendung vernichtet, so dass sich auch aus dem Vorbringen des Eigentümers zur Besitzsituation eine Klageabweisung als richtig erweisen kann.

I. Recht zum Besitz.

 

Rn 2

Generell kann die Herausgabe der Sache dann verweigert werden, wenn ein absolutes oder relatives Recht zum Besitz besteht. Die Vielzahl an Besitzrechten erfordert in der Rechtspraxis die jeweils konkrete Prüfung aller ›Besitz-Umstände‹, soweit sich das Besitzrecht nicht ohnehin unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Dies ist zB auch der Fall, wenn der Eigentümer einem Dritten ein umfassendes Nutzungsrecht einräumt (vgl § 185) und dem Besitzer vom Dritten der Besitz eingeräumt wird.

1. Positive Feststellung.

a) Beschränkte dingliche Rechte.

 

Rn 3

Der Nießbraucher ist zum Besitz der Sache berechtigt, § 1036 I. Gleiches gilt über die Verweisung in § 1093 I beim dinglichen Wohnrecht. Beim Mobiliarpfandrecht ergibt sich das Recht zum Besitz gem §§ 1205, 1253 I (Peters JZ 95, 390) und beim Erbbaurecht aus der Verweisung auf die Eigentumsvorschriften in § 11 I ErbbauVO (BGH Urt v 10.7.20 – V ZR 226/19). § 31 I WEG gibt beim Dauerwohnrecht ein unmittelbares Besitzrecht, ebenso § 31 II, III WEG beim Dauernutzungsrecht sowie § 912 I beim Überbau ein Recht zum Besitz.

b) Wesentliche rechtsgeschäftliche Besitzrechte.

 

Rn 4

Schuldrechtliche Besitzrechte können sowohl ausdrücklich als auch konkludent begründet werden und wirken dem Herausgabeverlangen des Eigentümers – oft nur vorübergehend – entgegen. Dies ist insb bei der Miete und Pacht (§§ 535 I, 581) sowie beim Leasingvertrag, aber auch beim Leihvertrag nach § 598 für den vereinbarten Zeitraum der Fall. Logischerweise entfällt das Besitzrecht mit Ablauf der jeweils vereinbarten Dauer der Überlassung der Sache. Andernfalls, zB im Falle eines unbefristeten Mietvertrages, bedarf es einer wirksamen Kündigung bzw des Herausgabeverlangens bei der Leihe nach § 604 III, um das Besitzrecht entfallen zu lassen. Beim Verwahrungsvertrag hingegen besteht ebenso das aus § 688 abgeleitete Besitzrecht. Dieses kann dem Herausgabeverlangen nach § 985 nicht entgegengesetzt werden, da selbst bei Vereinbarung einer Verwahrungszeit der Hinterleger jederzeit die Rückgabe verlangen kann, § 695 (vgl jurisPK/Hans § 986 Rz 4). Beim vom Käufer nicht erfüllten Vorbehaltskauf, § 449 I, besteht das Besitzrecht nach Verschaffung der Kaufsache gem § 433 bis zum Rücktritt des Verkäufers, § 449 II. Gleiches gilt gem § 480 beim Tausch.

c) Sonderformen von Besitzrechten.

 

Rn 5

Das Unternehmerpfandrecht, § 647, zählt in der Praxis zu einem der bedeutendsten Besitzrechte. Auch durch einen Vorvertrag sowie sogar ohne jegliche vertragliche Grundlage iR einer Ehe bzw Lebenspartnerschaft können Besitzrechte entstehen (s § 1353 BGB, § 8 LPartG), die jedoch nur ggü dem Eigentümer-(Ehe-)Partner, während bestehender Ehe oder Partnerschaft, wirken (MüKo/Baldus § 986 Rz 23). Ein auf 985 gestützter Antrag auf Herausgabe der Ehewohnung ist während der Trennungszeit ausgeschlossen, BGH Urt v 28.9.2016 – XII ZB 487/15. Schließlich begründen auch Verwaltungspflichten absolute Besitzrechte (Insolvenzverwalter, § 148 I InsO; Testamentsvollstrecker, § 2205; Nachlassverwalter, §§ 1985 I; 1986 I; Gesamtgutverwalter, § 1422).

 

Rn 6

Str ist, ob Zurückbehaltungsrechte nach §§ 273, 972, 1000 sowie §§ 369 ff HGB ein Recht zum Besitz iSd § 986 gewähren (Grüneberg/Herrler § 986 Rz 5). Die herrschende Lit verneint dies unter Hinweis auf die Zug-um-Zug-Verurteilung in diesen Fällen, während der BGH (NJW 02, 1050 unter Verweis auf BGH NJW-RR 86, 282 [BGH 25.09.1985 - VIII ZR 270/84]) dies bejaht. Der Lit ist hierbei zu folgen: Wäre § 1000 ein Recht zum Besitz, würde mit Vornahme der ersten Verwendungshandlung die Vindikationslage und somit Voraussetzung für die §§ 987 ff entfallen, da der Besitzer nunmehr berechtigt besitzen würde. Demnach stellt ein Zurückbehaltungsrecht ke...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge