Gesetzestext

 

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

(2) 1Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. 2Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.

(3) Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.

(4) Die Rechte des Gläubigers bestimmen sich nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326.

A. Erfüllungsanspruch als Rechtsbehelf.

 

Rn 1

Der Erfüllungsanspruch (s § 241 Rn 2124) ist einer von mehreren Rechtsbehelfen, mit denen die Pflicht(en) des Schuldners in Natur (sub specie) durchgesetzt werden kann. Nach der Grundkonzeption des Schuldrechts ist der Erfüllungsanspruch nicht von vornherein der ›primäre‹ Rechtsbehelf; er muss jedoch häufig geltend gemacht werden, bevor auf andere Rechtsbehelfe zurückgegriffen werden kann (s Vor § 275 Rn 10). Er ist nicht mehr das Rückgrat der Obligation (vgl Rabel Recht des Warenverkaufs I 375; aA MP Weller, Die Vertragstreue, 395–397). Die terminologische Behandlung des Erfüllungsanspruchs durch das Gesetz ist sehr unglücklich. Das Gesetz bezeichnet ihn in § 275 als ›Leistungspflicht‹ und stiftet damit überflüssige Verwirrung. Es geht nämlich gerade nicht um eine Pflicht iSd §§ 280, 323, sondern um die Folge der Verletzung einer solchen.

 

Rn 2

Die Vorschrift gilt auch für gesetzliche Erfüllungsansprüche, insbes solche aus § 812 (BGHZ 199, 123 Rz 26) und § 1004 (BGH NJW 08, 3122 Rz 17; 08, 3123 Rz 19 [keine Verdrängung durch § 912]; BGH NJW 10, 2341 [BGH 21.05.2010 - V ZR 244/09] Rz 9; aA Staud/Gursky [2006] § 1004 Rz 154; Gsell LMK 08, 266937; anders für § 985 Grüneberg/Grüneberg § 275 Rz 3). Wegen des abw zu bestimmenden Gläubigerinteresses dürften jedoch bei Ansprüchen aus dinglichen Rechten die Zumutbarkeitsschwellen bei § 275 II, III erheblich über denjenigen des Vertragsrechts liegen (vgl BGH NJW 07, 2183 f [BGH 16.03.2007 - V ZR 190/06] Rz 8 ff [Verwirkung von § 985 nur wenn ›schlechthin unerträglich‹]; BVerfG BeckRS 20, 14823 [zur Begrenzung der Inanspruchnahme nach § 1004 durch Art 14 I GG]). Entspr gilt für den gleichfalls erfassten öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch (BayVGH BayVBl 13, 473). Bei der schadensersatzrechtlichen Naturalrestitution geht § 251 II 1 vor. Zur Anwendung im Erbrecht s BGH ZEV 13, 330 [BGH 19.12.2012 - IV ZR 207/12] (Rücktritt nach § 2295).

 

Rn 3

§ 275 ist eine europarechtliche Umsetzungsnorm. Die amtliche Anmerkung verweist auf die inzwischen aufgehobene RL 1999/44/EG. Nunmehr setzt die Vorschrift indes Art 13 II und III der RL 2019/771/EU sowie Art 14 II der RL 2019/770/EU insoweit um, als sie die Grenzen des Nacherfüllungsanspruchs sowie die Grenzen des Wahlrechts des Käufers mitbestimmt. Für Abs 1 der Vorschrift ist dies unproblematisch; zu Abs 2 und 3 s Rn 18 und 29.

B. Wirkungen von Leistungshindernissen im Allgemeinen (§ 275).

 

Rn 4

Das materielle Recht (zu vollstreckungsrechtlichen Grenzen s §§ 887, 888 ZPO sowie Neufang Erfüllungszwang 278 ff) muss berücksichtigen, dass sich der Erfüllung Hindernisse entgegenstellen können, die für den Schuldner unüberwindbar sind und die deshalb einer Durchsetzung, insbes einer gerichtlichen Durchsetzung, des Anspruchs auf Naturalerfüllung Schranken setzen müssen. Das SchRModG hat diese Sachfrage allg in dem neugefassten § 275 zu lösen versucht (zur Vorgeschichte; Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 470): Der Erfüllungsanspruch entfällt oder ist undurchsetzbar; darin liegt auch die grds Zuweisung der Leistungsgefahr an den Gläubiger. Die Vorschrift ist freilich durch bestimmte, am alten Recht orientierte Ausdifferenzierungen eher schwer verständlich und bereitet auch in der praktischen Anwendung Schwierigkeiten. Umso wichtiger ist es, bei der Auslegung von § 275 darauf zu achten, dass die Grundidee der ursprünglichen Vorschläge erhalten geblieben ist.

 

Rn 5

Die Vorschrift behandelt nur die Grenzen von Ansprüchen auf Erfüllung in Natur und lässt die jeweils zugrunde liegenden Pflichten unberührt (s Rn 14 f). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 275 I, der nicht mehr davon spricht, dass der Schuldner ›von der Verpflichtung zur Leistung frei‹ wird (§ 275 I aF), sondern ausdrücklich den Anspruch auf die Leistung ausschließt. Der (unvollständige) § 275 IV hat demggü nur deklaratorische Bedeutung (s Rn 14). Die dem Erfüllungsanspruch gezogenen Grenzen sind nach den Wirkungen des bestehenden Hindernisses abgestuft: Schließt dieses die Erbringung der Leistung überhaupt oder auch nur für den Schuldner aus, besteht der Erfüllungsanspruch nach I nicht (Unmöglichkeit); stehen die zur Erfüllung erforderlichen Aufwendungen wir...

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