Gaslieferstopp: Aussetzung oder Anpassung laufender Verträge?

Vor dem Hintergrund der Ausrufung der Alarmstufe des Notfallplans Gas und dem damit verbundenen Risiko einer Einstellung von Gaslieferungen stehen viele Unternehmen vor der Frage, wie sie im Notfall Leistungspflichten aussetzen oder anpassen können.

Hintergrund

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat am 23. Juni 2022 die zweite von drei Stufen des Notfallplans Gas ausgerufen. Im Falle der Ausrufung der Notfallstufe behält sich die BNetzA eine Zuteilung der Gaslieferungen vor, die eine Nichtbelieferung zur Folge haben kann. Da die Industrie nicht per se zu den geschützten Kunden gehört, könnte sie als Erstes vom Netz getrennt werden.

In diesem Fall besteht zum einen das Risiko, dass der Geschäftsbetrieb durch den Gaslieferstopp komplett zum Erliegen kommt, weil eine Produktion ohne Gas nicht möglich ist (z.B. Stahlindustrie). Der Geschäftsbetreib kann jedoch auch mittelbar betroffen sein, wenn beispielsweise die Belieferung (Vorprodukte/Zulieferteile) ausbleibt oder aber bereits produzierte Teile nicht mehr abgenommen werden, weil auf Abnehmerseite der Bedarf weggefallen ist. Neben Einkaufs- und Lieferverträgen stehen auch Dauerschuldverhältnisse auf dem Spiel, die mit dem Geschäftsbetrieb ebenfalls nur mittelbar zusammenhängen, wie Darlehens-, Leasing-, Miet- und Pacht- sowie Wartungs- und Reparaturverträge.

Ist ein Aussetzen der Leistungspflichten aufgrund von höherer Gewalt möglich?

Ob eine Berufung auf höhere Gewalt möglich ist, hängt davon ab, ob in den Verträgen eine „Höhere Gewalt-Klausel“ (Nennung behördlicher Maßnahmen) enthalten und ob die Leistungspflicht unmittelbar betroffen ist. Dies kann in Fällen zu bejahen sein, in denen die Produktion ohne Gaslieferung stillsteht; nicht jedoch bei o.g. mittelbar betroffenen Dauerschuldverhältnissen oder dem Einkauf von Vorprodukten, die u.U. noch anderweitig – wenn auch zu einem deutlich höheren Preis – beschafft werden können.

Ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht kommt in Betracht, wenn das Ereignis über eine bestimmte Zeitspanne hinaus, innerhalb derer die Vertragspflichten ausgesetzt werden, anhält.

Aussetzen von Verträgen aufgrund Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB)?

Ist die Leistung für den Schuldner oder für jedermann (zumindest temporär) unmöglich (z.B. Produktionsstillstand infolge des Gaslieferstopps), so besteht für die Dauer der vorübergehenden Unmöglichkeit ein Recht zur Leistungsverweigerung. Die Pflicht zur Gegenleistung entfällt ebenfalls (§ 326 BGB). Eine Haftung auf Schadensersatz wird der Schuldner wohl nicht fürchten müssen, es sei denn, er hätte Vorkehrungen (Gasspeicherung oder Brennstoffwechsel) treffen können. Weder eine unmöglichkeitsbedingte Verzögerung der Leistung noch eine unmöglichkeitsbedingte Nichtleistung würde somit eine Haftung zur Folge haben (Rücktritt gem. § 323 BGB aber möglich).

Bei Verträgen, in denen der Schuldner Geldschuldner ist, kommt eine unmöglichkeitsbedingte Nichtleistung nicht in Betracht („Geld hat man zu haben“). Die Abnahme eines Produkts mag wirtschaftlich sinnlos sein, dies macht sie aber nicht unmöglich.

Wann bestehen Möglichkeiten der Vertragsanpassung gem. § 313 BGB?

Die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage sind gegenüber vertraglichen Regelungen und § 275 BGB subsidiär. Ein Berufen hierauf soll die Ausnahme sein. Im Grundsatz gilt: Die durch wirtschaftliche und soziale Katastrophen verursachte allgemeine Not und dadurch entstehende Probleme können nach der Rspr. nicht mit Hilfe des § 313 BGB gelöst werden.

Bei hier in Rede stehenden Einkaufs- und Lieferverträgen ist eine Vertragsanpassung wegen des Fortfalls des Gläubigerinteresses und der Fallgruppe der Leistungserschwerung denkbar. Die Praxis hat gezeigt, dass die Rspr. während der Corona Pandemie in einigen Fällen einen „unkomplizierten“ Weg eingeschlagen hat. Sie kam selten zur Aufhebung, sondern i.d.R. zu einer hälftigen Teilung des jeweiligen Risikos. Dieser Ansatz könnte auch in der Gaskrise zum Tragen kommen (z.B. reduzierte Abnahmemenge, Verschiebung von Lieferzeiten, Herabsetzung von Kaufpreisen).

Zu beachten ist aber die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung des jeweiligen Vertragstyps; der Geldschuldner trägt grds. sein Aufwands- und Finanzierungsrisiko; der Käufer das Verwendungs- oder Absatzrisiko; der Verkäufer das Beschaffungs- bzw. Herstellungsrisiko. Die Vertragsanpassung bleibt eine Ausnahme.

Nur als ultima ratio käme eine Kündigung bzw. ein Rücktritt vom Vertrag in Betracht; allenfalls aber bei einer dauerhaften Einstellung der Gaslieferung.

In Bezug auf die o.g. mittelbar betroffenen Dauerschuldverhältnisse gilt auch in diesem Fall der Grundsatz, dass der Geldschuldner sein Finanzierungsrisiko trägt und demnach eine Vertragsanpassung grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Es fehlt darüber hinaus am unmittelbaren Zusammenhang zwischen Störungen des Geschäftsbetriebs und beispielsweise der Rückzahlung eines Darlehens. Etwas Anderes könnte lediglich im Falle einer drohenden Existenzvernichtung gelten, wenn der Schuldner infolge von Umständen, die auf eine behördliche Anordnung zurückzuführen sind, seine Leistung nicht ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen des Geschäftsbetriebs erbringen kann.

Handlungsempfehlung

Beim Abschluss künftiger Verträge sollten unter Berücksichtigung eines drohenden Gaslieferstopps individualvertragliche Regelungen zur Möglichkeit der Aussetzung von Hauptleistungspflichten getroffen und die eigene Gasbelieferung zur Vertragsgrundlage gemacht werden. Auch in Angeboten und auf Bestellungen sowie in AGB ist ein entsprechender Passus zu erwägen. Die AGB-rechtliche Zulässigkeit wäre im Einzelfall zu prüfen.

In Bezug auf laufende Verträge und Dauerschuldverhältnisse, die von einem etwaigen Gaslieferstopp nur mittelbar betroffen wären, sollten betroffene Unternehmen mit ihren Vertragspartnern Verhandlungen über eine etwaige Anpassung/Stundung führen.

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