Rn 56

Bei der sog ›Flucht in die Säumnis‹ lässt die Partei ein Versäumnisurteil (vorläufige Vollstreckung: §§ 708 Nr 2, 719 I 2; keine Abwendungsbefugnis nach § 711) gegen sich ergehen. In der Einspruchsfrist (§ 339 I [Notfrist]) legt sie Einspruch (§ 338) ein, sodass der Prozess in die Lage vor Eintritt der Versäumnis zurückversetzt (§ 342) und ein Termin zur Verhandlung über den Einspruch anberaumt wird (§ 341a). Sie nimmt die Säumnisentscheidung (mit der Kostenfolge des § 344) in Kauf, damit nach einem Einspruch der ansonsten präkludierte Vortrag noch vorgebracht werden kann (§ 340 III; vgl BGH NJW 02, 290, 291; § 340 Rn 12–14): Soweit Vortrag schon verspätet zum Zeitpunkt der Säumnis war, bleibt er es auch nach der Rückversetzung nach § 342 (§ 339 Rn 6, § 342 Rn 5). Doch fehlt es ggf an der nach § 296 II für eine Zurückweisung erforderlichen Verzögerung der Erledigung. Denn aufgrund zulässigen Einspruchs ist nach § 341a Termin zu bestimmen. Vorher kann nicht entscheiden werden. Die dem Einspruch eigene Verzögerung des Rechtsstreits nimmt das Gesetz in Kauf (BGH NJW 80, 1105, 1106 [BGH 27.02.1980 - VIII ZR 54/79]). Angriffs- und Verteidigungsmittel können daher nicht verspätet sein, wenn das Gericht sie mit zumutbaren Maßnahmen (Rn 24 f) noch bis zu diesem Termin berücksichtigen kann (BGH NJW 80, 1105, 1106 [BGH 27.02.1980 - VIII ZR 54/79]). Der Einspruchstermin soll unverzüglich (§ 216 II) und so früh wie möglich stattfinden (§ 272 III). Er muss nicht über ansonsten freie Termine hinaus verschoben werden, damit bei verspätetem Vorbringen alle danach in Betracht kommenden Beweise erhoben werden können (vgl BGH NJW 81, 286 [BGH 23.10.1980 - VII ZR 307/79]; 02, 290, 291). Er ist aber sorgfältig vorzubereiten (§ 273, s Rn 22) und darf nicht bewusst kurzfristig angesetzt werden, um die ›Gnadenfrist‹ willkürlich abzukürzen (Ddorf MDR 05, 1189, 1190 [OLG Düsseldorf 04.11.2004 - I-5 U 49/04]; § 341 Rn 3). Die Zurückweisung wegen Verspätung bleibt möglich, wenn der verspätet erst in der Einspruchsfrist (oder danach) gebrachte Vortrag im Einspruchstermin (zeitlich) nicht mehr verwertet werden kann (zB aufwendiges Sachverständigengutachten; aA Celle 20.5.20 – 14 U 3/20) oder über den Termin nach § 341a hinaus einen weiteren Termin nötig macht. Lediglich darf es nicht zu einer Überbeschleunigung kommen (Rn 15), zB wenn eine Einspruchsbegründung nur wenige Tag zu spät einging und noch kein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden war (BVerfG NJW 95, 1417, 1418 [BVerfG 27.01.1995 - 1 BvR 1430/94]). Verfehlt ist jedoch, diesen Gedanken in Arzthaftungssachen wegen der dort typischer Weise einzuholenden Sachverständigengutachten auch dann heranzuziehen, wenn der Einspruchstermin nur drei Wochen nach Ablauf der Einspruchsfrist stattfindet und erst im Termin die Einspruchsbegründung übergeben wird (so aber BGH NJW 12, 2808 [BGH 03.07.2012 - VI ZR 120/11] Rz 12–14): Allein wegen der Aussicht, dass verspäteter Vortrag noch kommen könnte (im Fall hatte die Beklagte trotz dreimaliger Verlängerung der Klageerwiderungsfrist und Ablauf der Einspruchsfrist bisher nicht vorgetragen), muss der Einspruchstermin nicht Monate hinausgeschoben werden (vgl BGH NJW 81, 286 [BGH 23.10.1980 - VII ZR 307/79]). Bezüglich der angemessenen Frist zur Begründung des Einspruchs ist die Verlängerungsmöglichkeit nach § 340 III 2 zu beachten (s dort). Bei der ›Flucht in die Säumnis‹ kann gegen die Partei gem § 38 GKG eine Verzögerungsgebühr verhängt werden, wenn deren schuldhaftes Verhalten – ein grobes Verschulden oder eine Verschleppungsabsicht sind nicht erforderlich – die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig macht (Celle NJW-RR 07, 1726 [OLG Celle 13.08.2007 - 2 W 70/07]; aA Hamm NJW-RR 95, 1406 [OLG Hamm 21.02.1995 - 20 W 5/95]). Zur Pflicht des Anwalts zum Einspruch s BGH NJW 02, 290.

 

Rn 57

Grenzen: Nach mündlicher Verhandlung kann Entscheidung nach Lage der Akten (§ 331a) beantragt und so die Flucht verbaut werden (St/J/Thole Rz 81). Auch ist die Wirkung eines 2. VU (§§ 700 I, 345) zu beachten. Im Einspruchstermin kann ggf eine (hilfsweise) Widerklage helfen (Rn 58). Nach hM (München NJW-RR 95, 127 [OLG München 07.10.1994 - 23 U 2130/94]; Zö/Greger Rz 40; aA ThoPu/Seiler Rz 39 mit § 340 Rz 9) versagt der Fluchtweg zudem in Fällen des Abs 3 (verzichtbare Zulässigkeitsrüge); der Verzicht durch Versäumung ist hier endgültig.

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