Das Wichtigste in Kürze:

1. Die mit einer polizeilichen Zeugenvernehmung zusammenhängenden Fragen sind von erheblicher praktischer Bedeutung.
2. Bei einer polizeilichen Vernehmung eines Zeugen hat der Verteidiger nach h.M. kein Anwesenheitsrecht.
3. Auch der Beschuldigte hat bei der Vernehmung des Zeugen durch die Polizei kein Anwesenheitsrecht.
4. Anderen Personen kann aber ein Anwesenheitsrecht zustehen.
5. Nach § 163 Abs. 3 S. 1 sind Zeugen jetzt verpflichtet, auch bei der Polizei zur Vernehmung zu erscheinen.
6. Nach § 163 Abs. 3 S. 2 sind die Vorschriften des "Sechsten Abschnitts des Ersten Buches" der StPO über Zeugen für die polizeiliche Vernehmung für entsprechend anwendbar erklärt worden. Das sind die §§ 48–71.
7. In § 163 Abs. 4 S. 1 Nr. 1–4 ist eine Zusammenstellung der Befugnisse, die auch nach Einführung der Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen vor der Polizei bei der StA verblieben sind, enthalten.
8. Zu Rechtsmitteln in Zusammenhang mit der polizeilichen Vernehmung ist auf § 163 Abs. 5 zu verweisen.
9. Für die Verwertung der Vernehmung von Zeugen durch die Polizei können sich BVV ergeben.
10. Der Rechtsanwalt erhält für seine Teilnahme an einer Zeugenvernehmung durch die Polizei im EV eine Terminsgebühr nach Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG.
 

Rdn 3833

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → Vernehmung von Zeugen, Allgemeines, Teil V Rdn 4796, bei → Beweisverwertungsverbote, Allgemeines, Teil B Rdn 1287, bei → Polizeiliche Vernehmung, Beschuldigter, Allgemeines, Teil P Rdn 3708, bei → Vernehmungen, Allgemeines, Teil V Rdn 4722, bei → Videovernehmung im Ermittlungsverfahren, Teil V Rdn 5132, und bei den weiteren u.a. Stichworten.

 

Rdn 3834

1. In fast jedem EV werden Zeugen von der Polizei vernommen. Die damit zusammenhängenden Fragen sind von erheblicher praktischer Bedeutung. Dabei geht es vor allem um ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers und auch um BVV, wenn bei der polizeilichen Vernehmung Fehler gemacht worden sind (vgl. Teil P Rdn 3864).

 

Rdn 3835

2.a) Bei der polizeilichen Vernehmung eines Zeugen hat der Verteidiger nach h.M. kein Anwesenheitsrecht. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Polizei den Verteidiger nicht zur Vernehmung eines Zeugen zulassen darf, wenn nicht Ermittlungsgründe entgegenstehen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 163 Rn 15 f. m.w.N.; zur Erscheinenspflicht von Zeugen bei der polizeilichen Vernehmung Teil P Rdn 3840 ff.).

 

Rdn 3836

b) Ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers ist früher auch für eine → Gegenüberstellung, Teil G Rdn 2437 verneint worden (vgl. zum alten Recht KG NJW 1979, 1668 f.; JR 1979, 347; LG Düsseldorf, Beschl. v. 23.7.2014 – 14 Qs-110 Js 1842114–28/14 [polizeiliche Wahllichtbildvorlage]). Das wurde aus einem Umkehrschluss aus § 163a Abs. 3 S. 2 a.F. i.V.m. § 168c Abs. 1, 5 entnommen (zum alten Recht LR-Erb [26. Aufl.], § 163a Rn 92 m.w.N. auch zur a.A.; s.u.a. auch Nelles StV 1986, 75; krit. dazu Thomas AnwBl 1997, 97). Hier hat sich die Rechtslage inzwischen durch das das "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts v. 27.8.2017" geändert. In § 58 Abs. 2 S. 2, der über § 163 Abs. 3 S. 2 für die polizeiliche Zeugenvernehmung gilt, ist jetzt ausdrücklich ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei einer → Gegenüberstellung, Teil G Rdn 2456 ff., normiert. Dieses betrifft allerdings nur Gegenüberstellungen im eigentlichen Sinn, keine Wahllichtbildvorlagen.

 

Rdn 3837

3.a) Auch der Beschuldigte hat bei der Vernehmung des Zeugen durch die Polizei kein Anwesenheitsrecht (KK-Griesbaum, § 161a Rn 6 f. u. § 163 Rn 19). Jedoch kann auch dem Beschuldigten die Anwesenheit gestattet werden; i.d.R. wird das bei polizeilichen Vernehmungen jedoch nicht zweckmäßig sein (LR-Erb, § 163a Rn 97, 93).

 

Rdn 3838

b) Ist abzusehen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren notwendig wird, muss dem unverteidigten Beschuldigten vor der zum Zweck der Beweissicherung durchgeführten Vernehmung der zentralen Belastungszeugen ggf. ein (Pflicht-)Verteidiger bestellt werden (BGHSt 46, 93; u.a. auch EGMR HRRS 2012, Nr. 1; eingehend dazu Neuhaus JuS 2002, 18 ff. in der Anm. zu BGHSt, a.a.O.; BGHSt 51, 150 und zum sog. Konfrontationsrecht u.a. noch EGMR NJW 2013, 3225 m. Anm. Pauly StV 2014, 456; StV 2017, 213; BVerfG, Beschl. v. 26.2.2018 – 2 BvR 107/18 m.w.N.; BGH NStZ 2017, 602; OLG München NStZ 2015, 300 m. Anm. Mosbacher; Meyer-Goßner/Schmitt, Art. 6 MRK Rn 22 ff.; Schmitt, S. 617 Dehne-Niemann HRRS 2010, 189; Du Bosis-Pedain HRRS 2012, 120; Gaede JR 2006, 292; ders., StV 2018, 175; f. Meyer HRRS 2012, 117; Heiniger WiJ 2015, 85; Kirchhoff HRRS 2015, 506; Sommer confront 1/2016, S. 1; Thörnich ZIS 2017, 39; Summers/Scheiwiller/Studer ZStR 2016, 351; → Pflichtverteidiger, Zeitpunkt der Beiordnung, Teil P Rdn 3669 ff.; vgl. a. noch → Richterliche Vernehmung, Zeugen, Teil R Rdn 4042). Anders kann der Beschuldigte in diesen Fällen sein Fragerecht nicht ausüben. Der Verteidiger muss Gelegenheit haben, sich vor d...

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