2.5.1 Betriebsbedingtheit und Sozialauswahl

 

Rn 12

Die Bindungswirkung umfasst denknotwendig nur die Aspekte, über die im Verfahren nach § 126 entschieden wurde und entschieden werden durfte.[16] Sie erstreckt sich also in jedem Fall auf die Frage, ob die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, und auf die Frage, ob die Sozialauswahl fehlerfrei vorgenommen wurde[17] (§ 126 Rn. 25 ff.).

[16] A/G/R/Hergenröder, InsO, 4. Aufl. 2020, § 127 Rn. 12.
[17] HK-InsO/Linck, 10. Aufl. 2020, § 127 Rn. 5.

2.5.2 Kündigungsbefugnis und Betriebs(teil-)übergang

 

Rn 13

Nur sofern im Verfahren nach § 126 auch über die Kündigungsbefugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters oder die Unwirksamkeit der Kündigung wegen eines Betriebs(teil-)übergangs nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB entschieden worden ist (§ 126 Rn. 30 f.), erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf diese Aspekte.[18] Ob im Verfahren nach § 126 über diese beiden Fragen mitentschieden worden ist, muss den Gründen des Beschlusses entnommen werden, weil der Tenor wegen der Vorgabe des § 126 Abs. 1 Satz 1 nur die Feststellung enthält, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Denn der objektive Umfang der Rechtskraft ist nicht nur anhand des Tenors zu bestimmen. Vielmehr können hierfür auch die Entscheidungsgründe herangezogen werden.[19]

 

Rn 14

Enthalten die Gründe des nach § 126 ergangenen Beschlusses keine Ausführungen zur Kündigungsbefugnis oder zu einem Betriebs(teil-)übergang, kann nicht angenommen werden, das Gericht habe im Verfahren nach § 126 diese Vorfragen mitgeprüft und stillschweigend festgestellt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter zum Ausspruch der Kündigung berechtigt und die Kündigung auch nicht wegen eines Betriebs(teil-)übergangs nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam sei. Denn hierdurch würde der Rechtsschutz der Arbeitnehmer unzulässig verkürzt. Im Verfahren nach § 126 darf auch ein anwaltlich vertretener Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass das Gericht über alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in der gebotenen Deutlichkeit, also nicht nur stillschweigend, entscheidet. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Frage der Kündigungsberechtigung oder das Vorliegen eines Betriebs(teil-)übergangs von den Beteiligten in ihren Schriftsätzen überhaupt nicht thematisiert worden sind. In diesem Fall obliegt es dem Gericht, auf die Entscheidungserheblichkeit dieser Gesichtspunkte rechtzeitig vor Erlass der Entscheidung hinzuweisen (§ 126 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 495, 139 ZPO).

[18] HK-InsO/Linck, 10. Aufl. 2020, § 127 Rn. 5.
[19] BGH 19.09.2017, XI ZB 17/15, juris, Rn. 37; BGH 11.11.1994, V ZR 46/93, juris, Rn. 6; BGH 12.12.1975, IV ZR 101/74, juris, Rn. 30.

2.5.3 Sonstige Unwirksamkeitsgründe

 

Rn 15

Ist im Verfahren nach § 126 über sonstige Unwirksamkeitsgründe der Kündigung – etwa über die Länge der Kündigungsfrist, die Frage des Zugangs der Kündigung oder das Vorliegen von Sonderkündigungsschutz – entschieden worden, erstreckt sich die Bindungswirkung des § 127 Abs. 1 Satz 1 hierauf nicht. Denn zu einer Entscheidung über solche Aspekte waren die Gerichte im Verfahren nach § 126 nicht befugt (§ 126 Rn. 32). Über solche Fragen ist im Kündigungsschutzprozess also von Neuem zu entscheiden. Eine im Verfahren nach § 126 womöglich bereits durchgeführte Beweisaufnahme, etwa über die Voraussetzungen von Sonderkündigungsschutz, ist im Kündigungsschutzprozess zu wiederholen, wobei Beweisergebnisse aus dem Verfahren nach § 126 mitunter im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden können.[20]

[20] Zu den Voraussetzungen und Einschränkungen siehe BGH 26.08.2021, III ZR 189/19, juris, Rn. 11 ff.; BAG 23.10.2014, 2 AZR 865/13, juris, Rn. 26 ff.; BSG 21.10.1998, B 9 VG 2/97 R, juris, Rn. 15 ff.

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