Entscheidungsstichwort (Thema)

Präklusion von Tatsachen im Erbstreit

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Präklusion von Tatsachen in einem Rechtsstreit über die Auflassung von Grundstücken aufgrund einer vertraglichen Übertragung zu Lebzeiten des Erblassers, die bereits in einem früheren Verfahren umgekehrten Rubrums über einen Vermächtnisanspruch aus dem gleichen Lebenssachverhalt hätten vorgebracht werden können.

 

Normenkette

ZPO § 322 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Weiden i.d.OPf.

OLG Nürnberg

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22. Januar 1993 aufgehoben.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.Opf. vom 26. Juni 1992 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der 1987 verstorbene Erblasser setzte mit Erbvertrag vom 6. Dezember 1983 den Kläger unter endgültiger Zuwendung von ausdrücklich genannten Grundstücken als Alleinerben ein. Den „gesetzlichen Erben” wandte er den Grundbesitz zu, den nicht ausdrücklich der Alleinerbe erhalten sollte. Die beiden umstrittenen Grundstücke sind im Erbvertrag nicht erwähnt. Der Erblasser übertrug sie 1979/1981 und 1983 auf den Kläger. Dieser und seine mit ihm in Gütergemeinschaft lebende Ehefrau wurden nach dem Tod des Erblassers als Eigentümer sämtlicher „Nachlaßgrundstücke” im Grundbuch eingetragen.

Durch rechtskräftiges Urteil vom 22. Juni 1990 wurden der Kläger und seine Ehefrau als damalige Beklagte verpflichtet, unter anderem die beiden jetzt wieder umstrittenen Grundstücke aufgrund eines Vermächtnisanspruches der Beklagten und damaligen Kläger an diese aufzulassen. Die Übertragungen zu Lebzeiten des Erblassers in den Jahren 1979/1981 und 1983 sind in diesem Verfahren von den Parteien nicht vorgetragen worden.

Im vorliegenden Verfahren verlangen die jetzigen Kläger die Rückauflassung der beiden Grundstücke von den Beklagten „aufgrund der vertraglichen Übertragungen” durch den Erblasser. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Frage, an wen aufzulassen ist, zwischen den Parteien bereits rechtskräftig entschieden worden sei und die Übertragungen zu Lebzeiten des Erblassers dem Kläger bekannt gewesen seien; eine sittenwidrige Schädigung sei nicht ersichtlich. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht diese Entscheidung abgeändert und die Beklagten zur Auflassung der beiden Grundstücke an die Kläger verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, der die Kläger entgegentreten.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klage sei zulässig und begründet. Die Rechtskraft des früheren Urteils stehe nicht entgegen. Denn dadurch stehe lediglich fest, daß die Kläger zur Auflassung an die Vermächtnisnehmer verpflichtet seien, nicht aber, daß die Grundstücke auch Gegenstand des Vermächtnisses sind. Dies sei wegen der Übertragung zu Lebzeiten des Erblassers nicht mehr der Fall.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

II.

1. Zu Recht geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß Urteile der Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO nur insoweit fähig sind, als über den durch die Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Damit sind der Rechtskraft bewußt enge Schranken gezogen. Die Urteilselemente, die bedingenden Rechte und Gegenrechte sollen nicht von der Rechtskraft erfaßt werden. Sie wird vielmehr auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, das heißt auf diejenige Rechtsfolge, die aufgrund einer Klage oder Widerklage beim Schluß der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der Entscheidung bildet, beschränkt. Die tatsächlichen Feststellungen als solche erwachsen nicht in Rechtskraft. Der Gegenstand der Rechtskraft beschränkt sich auf das Bestehen oder Nichtbestehen der geltend gemachten Rechtsfolge aufgrund des vorgetragenen Tatsachenkomplexes (BGH, Urt. v. 12. Dezember 1975, IV ZR 101/74, NJW 1976, 1095 m.w.N. = FamRZ 1976, 146 m.Anm. Schwab 268). Um zu erkennen, welche Entscheidung das Gericht in einem rechtskräftigen Urteil getroffen hat, ist zunächst von der Urteilsformel auszugehen. Soweit sie aber allein nicht ausreicht, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu erfassen, sind auch der Tatbestand und die Entscheidungsgründe heranzuziehen (BGH aaO).

2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Rechtskraft des Vorurteils stehe seiner Entscheidung nicht im Wege, ist nicht zutreffend. Die Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12. Dezember 1975 trägt im vorliegenden Fall dieses Ergebnis nicht. Denn nach dem in dieser Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt war der Streitgegenstand schon ein anderer, weil bereits nach den Anträgen im ersten Verfahren eine inhaltlich anders lautende Erklärung verlangt worden war. Im vorliegenden Fall ist dagegen davon auszugehen, daß zumindest hinsichtlich der Anträge Identität im Sinne eines „kontradiktorischen Gegenteils” besteht. Denn in beiden Verfahren wird für die zwei umstrittenen Grundstücke von den Parteien jeweils die Auflassung als die in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert und beantragt. Eine Identität des Streitgegenstandes liegt aber auch dann vor, wenn der frühere Beklagte nunmehr den Streit in seiner Umkehrung erneut anhängig macht und das „kontradiktorische Gegenteil” der im ersten Prozeß ausgesprochenen Rechtsfolgen begehrt. Denn die rechtskräftige Feststellung einer Rechtsfolge enthält zugleich die Feststellung, daß das „kontradiktorische Gegenteil” nicht gegeben sei. Wird dem Kläger ein Recht zugesprochen, das wie das Eigentum nur einer Partei zustehen kann, ist damit zugleich festgestellt, daß der Beklagte nicht Inhaber des Rechts ist (BGH, Urt. v. 7. Juli 1993, VIII ZR 103/92, WM 1993, 1809, 1810 m.w.N.). Das gleiche gilt für den Anspruch auf Übertragung des Eigentums. Das Berufungsgericht stellt demgegenüber auf die Vorfragen ab, die für das Bestehen der jeweils beanspruchten Rechtsfolgen, die hier auf Vermächtnis, ungerechtfertigter Bereicherung oder Vertrag beruhen können, von Bedeutung sind. Allein diese Unterscheidung ist im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich. Ein Auflassungsanspruch aus Vermächtnis setzt voraus, daß ein Vermächtnis vorliegt und die Grundstücke noch zum Nachlaß gehören (vgl. §§ 2169 Abs. 4, 2288, 2149, 2087 Abs. 2, 2085 BGB), ein Anspruch auf Rückauflassung nach §§ 812 ff BGB käme bei einem unwirksamen Vermächtnis in Betracht. In beiden Verfahren mögen diese Vorfragen als solche von Bedeutung sein, als bloße „Urteilselemente” nehmen sie aber nicht an der Rechtskraft teil (vgl. BGH aaO m.w.N.).

3. Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daß das vorliegende Verfahren nicht auf einen anderen, selbständigen und im Vorprozeß nicht vorgetragenen Lebenssachverhalt gestützt ist, aus dem die nunmehr begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird. Auch wenn die tatsächlichen Feststellungen in einem Urteil nicht in Rechtskraft erwachsen, darf die Rechtskraft einer Entscheidung über den erhobenen Anspruch nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das rechtskräftige Urteil gründe sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen. Zu den Rechtskraftwirkungen gehört aus diesem Grunde die Präklusion nicht nur der im ersten Prozeß vorgetragenen Tatsachen, die zu einer Abweichung von der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge führen sollen, sondern auch der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern sie nicht erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung im ersten Prozeß entstanden sind (st. Rspr., vgl. BGHZ 98, 353, 358 f m.w.N.).

a) Maßgeblich ist insoweit das ganze einem Klageantrag zugrundeliegende tatsächliche Geschehen, das bei natürlicher Betrachtungsweise nach der Verkehrsauffassung zusammengehört. Ausgeschlossen sind danach also Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtung zu dem durch ihren Sachvortrag zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört hätten (vgl. BGH, Urt. v. 7. Juli 1993, VIII ZR 103/92, WM 1993, 1809, 1810, 24. Juni 1993, III ZR 43/92, BGHR ZPO § 322 Abs. 1 – Schaden 1, 22. November 1990, IX ZR 73/90, WM 1991, 609, 610; vgl. ferner BGHZ 93, 287 ff = LM § 322 ZPO Nr. 103 m. Anm. Hagen, 19. September 1985, VII ZR 15/85, Nr. 109, 10. April 1986, VII ZR 286/85, Nr. 111, 2. November 1988, VI ZR 341/87, Nr. 123, 19. Dezember 1991, IX ZR 96/91, Nr. 133 m. Anm. Grunsky, jeweils LM § 322 ZPO; BayObLGZ 1988, 426, 429 ff). So liegt der Fall hier.

b) Werden Grundstücke übertragen oder soll dies geschehen, so gehören sämtliche die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts betreffenden Vorgänge zu dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt, ob sie vorgetragen worden sind oder nicht. Mit dem Rechtsfrieden stiftenden Zweck der Rechtskraft wäre es unvereinbar, wenn eine Partei nach Rechtskraft eines Urteils dieses sogleich wieder mit der Behauptung in Frage stellen dürfte, ein bekannt gewesener anderer Übertragungsvorgang sei nicht vorgetragen worden. Im vorliegenden Fall hingen die gesamten „Übertragungsvorgänge” zwischen dem Erblasser und dem Kläger zusammen. Hinsichtlich des einen Grundstücks wurde der Überlassungsvertrag sogar zum gleichen Zeitpunkt wie der Erbvertrag geschlossen. Nähere Einzelheiten über die Zusammenhänge und Motive für die Übertragungen sind dem Vortrag der Parteien in beiden Verfahren zwar nicht genau zu entnehmen. Fest steht aber, daß sie in den persönlichen Beziehungen zwischen dem Erblasser und dem Kläger lagen. Damit liegt ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, der sich in einem Erbvertrag und zwei weiteren Übertragungsvereinbarungen niedergeschlagen hat.

c) Damit greifen die allgemeinen Regeln über die aus der Rechtskraft folgende Tatsachenpräklusion ein. Danach konnten die Übertragungsvereinbarungen, als frühere schon vorhandene Tatsachen, die mit dem Prozeßstoff des Vorprozesses in Zusammenhang stehen und den dortigen Tatsachenfeststellungen zum Vermächtnisanspruch widersprechen, grundsätzlich nicht mehr mit dem Ziel vorgetragen werden, daß das „kontradiktorische Gegenteil” der früheren festgestellten Rechtsfolge ausgesprochen wird (vgl. BGHZ 98, 353, 358 f; vgl. auch BGHZ 117, 1, 4 ff; Urt. v. 14. Juli 1993, VIII ZR 103/92, WM 1993, 1809, 1810; 24. Juni 1993, III ZR 43/92, BGHR ZPO § 322 Abs. 1 – Schaden 1).

4. Die Nichtberücksichtigung der Übertragungsvereinbarungen im ersten Verfahren kann von den Klägern auch nur mit einer angeblichen „Nachlässigkeit” des damaligen Prozeßbevollmächtigten erklärt werden. Damit steht einer Berufung der Beklagten auf die Rechtskraft der Entscheidung des Vorprozesses auch der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht entgegen. Besondere Umstände, die dies rechtfertigen könnten (vgl. BGH, Urt. v. 24. Juni 1993, III ZR 43/92, § . 10 f m.w.N.), sind jedenfalls nicht ersichtlich.

5. Das Berufungsurteil ist aufzuheben, denn es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar. Die materielle Rechtskraft steht einer der Klage stattgebenden Entscheidung im Wege. Eine Zurückverweisung kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nach dem festgestellten Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist. Aus dem Berufungsurteil ergibt sich ein Sachverhalt, der eine verwertbare rechtliche Grundlage für eine rechtliche Beurteilung bietet; bei Zurückverweisung der Sache erscheint ein anderes Ergebnis nicht möglich. Die Berufung ist zurückzuweisen, weil die Klageabweisung des Landgerichts im Ergebnis richtig ist.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 604933

NJW 1995, 967

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