Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Fortführung der gleichen Kollektion

 

Normenkette

BGB §§ 613a, 615

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 10.05.1994; Aktenzeichen 11 (4) Sa 101/94)

ArbG Köln (Urteil vom 26.11.1993; Aktenzeichen 5 (15) Ca 4334/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Mai 1994 – 11 (4) Sa 101/94 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26. November 1993 – 5 (15) Ca 4334/93 – abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.601,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit 11. Mai 1993 aus dem sich aus 3.867,00 DM brutto ergebenden Nettobetrag, 4 % Zinsen seit 1. Juni 1993 aus dem sich aus 3.867,00 DM brutto ergebenden Nettobetrag und 4 % Zinsen seit dem 18. August 1993 aus dem sich aus 3.867,00 DM ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen der Streithelferin zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte durch Betriebsübernahme in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis mit der Klägerin eingetreten ist und deshalb Gehaltszahlungen für die Monate April. Mai und Juni 1993 zu leisten hat.

Die Klägerin war bei der Streithelferin als Verkäuferin beschäftigt. Die Streithelferin betrieb in gemieteten Geschäftsräumen in der H. Straße in Köln ein Damenbekleidungsgeschäft. Als einzige Anbieterin im Großraum Köln verkaufte sie Bekleidungsartikel der Marke „J.”. Mit diesen Produkten erzielte sie den überwiegenden Teil ihres Umsatzes. Bei den Bekleidungsartikeln von J. handelt es sich um hochwertige, exklusive Ware. Die Kundinnen dieses Bekleidungsherstellers zeichnen sich durch Markentreue aus.

Als die J. AG der Streithelferin Anfang Dezember 1992 mitteilte, sie werde die Streithelferin zukünftig nicht mehr beliefern, beschloß diese, ihre geschäftliche Betätigung nicht mehr fortzuführen. Im Dezember 1992 beantragte sie die Genehmigung zur Durchführung eines Räumungsverkaufs, der am 11. Januar 1993 begann. Mit Ablauf des 6. Februar 1993 stellte die Streithelferin den Verkauf von Damenbekleidung in ihrem Laden ein.

Mit Schreiben vom 9. Februar 1993 kündigte die Streithelferin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 30. Juni 1993 mit der Begründung, sie habe sich zur Aufgabe ihres Betriebs entschlossen. Bis einschließlich 23. Februar 1993 arbeitete die Klägerin noch in dem Geschäft und wurde dann von der Arbeitsleistung freigestellt unter dem Versprechen der Fortzahlung ihrer monatlichen Bezüge.

Bereits im Dezember 1992 zeigte die Beklagte, die schon in Krefeld ein J.-Geschäft betrieb, Interesse, in den bisher von der Streithelferin gemieteten Räumen J.-Moden zu verkaufen. Nach den im Januar 1993 begonnenen Vertragsverhandlungen, an denen auch ein Vertreter der J. AG und die Vermieter der Geschäftsräume beteiligt waren, schlossen die Streithelferin und die Beklagte am 8. März 1993 einen Kaufvertrag. Danach verkaufte die Streithelferin der Beklagten das gesamte Inventar ihres Einzelhandelsgeschäfts zum Kaufpreis von 230.000,00 DM. In dem Vertrag heißt es u.a.: Die Verkäuferin habe den Betrieb eingestellt. Das Geschäftslokal sei zur Zeit an die Verkäuferin vermietet. Die Verkäuferin verpflichte sich den als Anlage beigefügten Mietaufhebungsvertrag rückwirkend zum 28. Februar 1993 abzuschließen. Die Vermieter seien bereit, rückwirkend beginnend ab 1. März 1993 einen Mietvertrag über das Geschäftslokal zu den Bedingungen des beigefügten Vorvertrages abzuschließen.

Die Schlüssel zu den Geschäftsräumen erhielt die Beklagte unmittelbar nach der Unterzeichnung des Kaufvertrages am 8. März 1993 ausgehändigt. Am 22. März 1993 schloß die Beklagte mit der J. AG einen Franchise-Vertrag, der ihr für den Großraum Köln das Alleinbezugsrecht von J.-Produkten garantierte. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten eröffnete die Beklagte am 5. Juli 1993 die „J.-Exklusiv-Boutique”.

Die Streithelferin stellte ab April die Gehaltszahlungen an die Klägerin ein. Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin ihr Gehalt für die Monate April bis Juni 1993 von der Beklagten als Betriebserwerberin nach § 613 a BGB.

Die Klägerin und die Streithelferin haben die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Betrieb der Streithelferin spätestens ab 1. April 1993 übernommen. Die Beklagte hätte den Betrieb zu diesem Zeitpunkt wieder eröffnen können, wenn sie nicht eine aufwendige Renovierung gewünscht hätte. Die Beklagte habe neben dem Inventar auch die Kundenkartei mit über 500 Adressen von der Streithelferin erworben. Der Kaufpreis in Höhe von 230.000,00 DM sei im wesentlichen für die Kundenkartei bezahlt worden. Das verkaufte Inventar hätte einen derart hohen Preis nicht gerechtfertigt. Der Betrieb sei von der Streithelferin nicht stillgelegt worden. Der Räumungsverkauf habe nur dazu gedient, der Streithelferin kurzfristige Liquidität zu verschaffen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.601,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 11. Mai 1993 aus dem sich aus 3.867,00 DM brutto ergebenden Nettobetrag und seit dem 1. Juni 1993 aus dem sich aus 3.867,00 DM brutto ergebenden Nettobetrag und aus weiteren 3.867,00 DM brutto aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 18. August 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie habe keinen funktionsfähigen Betrieb, sondern nur einzelne Gegenstände erworben. Der Betrieb sei bereits nach dem Räumungsverkauf stillgelegt worden. Ihre Kaufentscheidung sei erst Ende Februar Anfang März getroffen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Betrieb nicht mehr funktionsfähig gewesen, zumal die J. AG ihre Lieferungen bereits eingestellt hätte. Die Kundenkartei der Streithelferin habe sie nicht erworben. Die Adressen der von ihr angeschriebenen Kunden habe sie aus ihrer eigenen Krefelder Kartei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten Gehaltszahlungen für die Monate April bis Juni 1993 verlangen, da das Arbeitsverhältnis spätestens am 1. April 1993 auf die Beklagte übergegangen ist.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe von der Streithelferin keinen Betrieb durch Rechtsgeschäft nach § 613 a BGB übernommen. Wesentliches Betriebsmittel des J.-Geschäfts der Streithelferin sei das Exklusivrecht gewesen, das Warensortiment der J. AG als einziger Anbieter im Großraum Köln zu vertreiben. Mit dem Warensortiment sei der markentreue Kundenstamm verbunden gewesen. Die Beklagte habe den Exklusivvertrag mit der J. AG ohne Vermittlung der Streithelferin erhalten. Die Streithelferin habe ihr Bezugsrecht für die J.-Waren bereits vorher verloren und habe durch Auflösung des Warenbestandes durch Sonderverkauf und Kündigung des Personals ihren Betrieb stillgelegt. Die J. AG habe mit der Beklagten einen neuen Vertrag begründet, durch den die verlorengegangenen immateriellen betrieblichen Grundlagen (Warensortiment und Kundenstamm) wieder neu geschaffen worden seien.

B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt ein Betriebsübergang vor.

1. Das Bundesarbeitsgericht hat die Anforderungen an einen Betriebsübergang wie folgt konkretisiert:

a) Der Übergang eines Betriebs im Sinne des § 613 a BGB setzt den Übergang der wesentlichen Betriebsmittel voraus, d.h. derjenigen sächlichen und immateriellen Betriebsmittel, mit denen der Erwerber bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgen kann. Dabei ist nicht erforderlich, daß alle Wirtschaftsgüter, die zum Betrieb des alten Inhabers gehörten, übergehen. Unwesentliche Bestandteile bleiben außer Betracht. Entscheidend ist, ob die Veräußerung einzelner bzw. einer Summe von Wirtschaftsgütern vorliegt oder die des Betriebs. Dies hängt entscheidend davon ab, ob der neue Inhaber mit den übernommenen Betriebsmitteln den Betrieb oder einen Betriebsteil im wesentlichen unverändert fortführen kann. Der Betriebsübergang erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem die Organisations- und Leitungsmacht auf den neuen Inhaber übergeht (BAG Urteil vom 22. Februar 1978 – 5 AZR 800/76 – AP Nr. 11 zu § 613 a BGB, zu 3. der Gründe; BAG Urteil vom 25. Februar 1981 – 5 AZR 991/78BAGE 35, 104, 106 = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 26. Februar 1987 – 2 AZR 321/86 – AP Nr. 63 zu § 613 a BGB, zu B II 4 a der Gründe). Ein Betrieb geht über, wenn die Leitungsmacht über eine organisatorische Einheit von sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln übergeht, mit der der Inhaber arbeitstechnische Zwecke eigensubstrat-nutzend verfolgen kann.

b) Der arbeitstechnische Zweck eines Ladengeschäfts besteht darin, mit Hilfe von Arbeitnehmern Ware vom Großhändler oder Erzeuger anzukaufen und an den Endverbraucher zu verkaufen. Entscheidend für den Betrieb eines Ladengeschäfts sind damit zum einen die Lieferverträge und zum anderen die Rechtsbeziehungen zu der Kundschaft, die jeweils die angebotene Ware kauft. Wesentliche Betriebsmittel für ein Einzelhandelsgeschäft oder Ladengeschäft sind die Geschäftsräume, das Warensortiment und die Betriebsform, da sie darüber entscheiden, ob der Kundenkreis erhalten bleibt. Das Fortbestehen des Betriebs hängt gleichsam vom Erhalt des Kundenstamms ab. Die Übernahme der Ladeneinrichtung ist von untergeordneter Bedeutung (BAG Urteil vom 26. Februar 1987 – 2 AZR 321/86 – AP Nr. 63 zu § 613 a BGB, zu B II 4 b bb der Gründe; BAG Urteil vom 30. Oktober 1986 – 2 AZR 696/85BAGE 53, 267, 277 = AP Nr. 58 zu § 613 a BGB, zu B II 3 b gg der Gründe).

c) Ein Betriebsübergang setzt weiter voraus, daß die Möglichkeit der Betriebsfortführung besteht. Der Betrieb im Sinne des § 613 a BGB ist ein funktionsfähiger Betrieb. Ist der Betrieb aufgelöst, ist eine Fortführung nicht mehr möglich. § 613 a BGB findet keine Anwendung, wenn nach einer Stillegung die ehemaligen Betriebsmittel veräußert werden (vgl. BAG Urteil vom 27. September 1984 – 2 AZR 309/83BAGE 47, 13, 19 = AP Nr. 39 zu § 613 a BGB, zu B II 1 der Gründe).

Eine Betriebsstillegung liegt vor, wenn die Betriebsorganisation und damit die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufgelöst wird. Dies äußert sich darin, daß der Betriebsinhaber die wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich erhebliche Zeitspanne nicht mehr weiterzuverfolgen (BAG Urteil vom 22. Mai 1985 – 5 AZR 173/84BAGE 48, 376, 388 = AP Nr. 43 zu § 613 a BGB, zu B III 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 3. Juli 1986 – 2 AZR 68/85 – AP Nr. 53 zu § 613 a BGB, zu B III 1 der Gründe; BAG Urteil vom 12. Februar 1987 – 2 AZR 247/86 – AP Nr. 67 zu § 613 a BGB, zu II 1 a der Gründe). An dieser Absicht fehlt es, solange der bisherige Betriebsinhaber mit einem potentiellen Betriebserwerber in Verhandlungen wegen einer Übernahme steht. Dem Arbeitnehmer kommt eine tatsächliche Vermutung zu Hilfe. Bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebs oder bei alsbaldiger Wiederaufnahme der Produktion durch einen Erwerber spricht eine tatsächliche Vermutung gegen die ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen. Es ist Sache desjenigen, der als neuer Arbeitgeber in Anspruch genommen wird, diese Vermutung zu widerlegen. Er muß Tatsachen darlegen, die für eine Stillegung sprechen (BAG Urteil vom 22. Mai 1985, a.a.O., zu B III 2 b der Gründe).

2. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte spätestens am 1. April 1993 von der Streithelferin einen funktionsfähigen Betrieb übernommen.

a) Die Beklagte übernahm alle wesentlichen Betriebsmittel des Betriebs der Streithelferin. Die Beklagte erlangte das Nutzungsrecht an den Geschäftsräumen und erwarb die Einrichtungsgegenstände, um in eingeführter Lage und gewohntem Ambiente den Betrieb weiterführen zu können. Sie erwarb darüber hinaus aber auch die hier entscheidenden immateriellen Betriebsmittel. Durch den Liefervertrag mit der J. AG erwarb sie die Möglichkeit, als einzige Anbieterin im Raum Köln die exklusiven J. Produkte zu vertreiben. Sie bedient damit einen Kundenkreis, der vorher ausschließlich von der Streithelferin angesprochen worden war. Da die J.-Produkte, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, von einem treuen Stammkundenkreis gekauft werden, ist mit der Möglichkeit, J.-Produkte unter den gleichen Rahmenbedingungen wie die Beklagte als Alleinanbieterin im Raum Köln zu verkaufen, der Kundenstamm des Betriebs der Streithelferin auf die Beklagte übergegangen.

Die Übernahme des Kundenstammes durch die Beklagte ist unabhängig davon erfolgt, ob die Beklagte von der Streithelferin die Kundenkartei erhalten hat oder nicht. Die Übernahme der Kundenkartei kann hier lediglich ein Indiz für die Übernahme des Kundenstamms sein, nicht aber ihre Voraussetzung. Der Kundenkontakt wird beim Ladengeschäft nicht über einen Schriftverkehr mit dem Kunden, sondern durch den Besuch des Kunden im Laden vermittelt. Das Anschreiben der Kunden um auf neu eingetroffene Ware, Sonderverkäufe usw. hinzuweisen, stellt eine weitere Möglichkeit dar, um den Kunden für einen weiteren Besuch im Laden zu werben. Aber auch ohne eine solche Werbung wird ein markentreuer Stammkundenkreis den einzigen Laden, in dem die von ihm geschätzte Ware im Raum Köln angeboten wird, weiterhin aufsuchen.

b) Der Betrieb bestand im Zeitpunkt der Übernahme durch die Beklagte als funktionsfähiger Betrieb fort. Der Betrieb war nicht stillgelegt. Die Streithelferin hat lediglich ihre Absicht verwirklicht, ihre eigene Betriebsinhaberschaft aufzugeben.

Die Streithelferin stand spätestens seit Januar 1993 mit der Beklagten in Verhandlungen wegen einer Betriebsübernahme. Daß diese Verhandlungen sich nicht nur auf eine Übernahme einzelner Betriebsmittel bezogen, wird z.B. dadurch deutlich, daß am 25. Januar 1993 unter Beiziehung eines Steuerberaters Gegenstand der Gespräche auch die Umsatzzahl und die Kundenkartei waren. Als Ergebnis dieser Verhandlungen hat die Streithelferin die Betriebsmittel, soweit ihr das möglich war, auf die Beklagte übertragen. Sie hat der Beklagten durch die einvernehmliche vorzeitige Beendigung ihres Mietvertrages die Anmietung der Räume ermöglicht und ihr das Inventar des Geschäfts veräußert. Sie hat auf diese Weise das ihr mögliche getan, um die von ihr geschaffene Organisation der Betriebsmittel aufrechtzuerhalten und der Beklagten deren Nutzung zu ermöglichen. Sie tat dies im Bewußtsein, daß die Beklagte auch über die wesentlichen immateriellen Betriebsmittel ihres Betriebs wird verfügen können, da sie wußte, daß die Beklagte den Alleinvertrieb von J.-Produkten erhalten und damit in Zukunft ihren Kundenstamm bedienen wird. Die Beklagte hat im übrigen selbst eingeräumt, daß sie nur deshalb bereit gewesen sei, 230.000,00 DM für das Inventar der Streithelferin zu zahlen, weil ihr von J. das Alleinbezugsrecht für den Großraum Köln zugesagt worden war. Wirtschaftlich betrachtet hat die Beklagte damit mit dem Kaufpreis auch den Kundenstamm der Streithelferin bezahlt.

Der von der Streithelferin durchgeführte Räumungsverkauf spricht nicht für eine den Betriebsübergang ausschließende Betriebsstillegung. Zwar ist die Übernahme des vorhandenen Warenbestandes regelmäßig ein gewichtiges Indiz für die Fortführung des bisherigen Betriebs. Oftmals wird aber ein Warenbestand auch deshalb nicht übernommen, weil anläßlich der Betriebsübernahme Renovierungsarbeiten erfolgen, die zu einer nur vorübergehenden Geschäftsschließung und nicht zur (endgültigen) Stillegung führen soll (vgl. BAG Urteil vom 30. Oktober 1986 – 2 AZR 696/85BAGE 53, 267, 276 = AP Nr. 58 zu § 613 a BGB, zu B II 3 b ee der Gründe). Werden während des Räumungsverkaufes, wie im Streitfall, die Übernahme Verhandlungen fortgeführt, spricht dies gegen die Absicht des Betriebsinhabers, den Betrieb endgültig stillzulegen. Der Warenbestand hatte für die Beklagte keine Bedeutung, weil sie zunächst umfangreich renovieren wollte und danach über ihr Geschäft in Krefeld J.-Ware holen und die neuesten Kollektionen direkt bei J. bestellen konnte. Der Räumungsverkauf der Streithelferin diente somit nicht einer Betriebsstillegung, sondern bereitete den Betriebsübergang vor. Unerheblich ist dabei, daß im Kaufvertrag vom 8. März 1993 angegeben ist, der Betrieb sei stillgelegt. Maßgeblich sind nicht die Erklärungen der Parteien, sondern die tatsächliche Rechtslage.

e) Die Beklagte hat den Betrieb auch durch Rechtsgeschäft übernommen.

Der Betriebsübergang muß weder durch ein unmittelbares Rechtsgeschäft zwischen früherem und neuem Betriebsinhaber noch durch ein einheitliches auf den Erwerb des gesamten Betriebs gerichtetes Rechtsgeschäft vermittelt werden. Der Erwerber kann den Betrieb auch aufgrund einer Vielzahl von Rechtsgeschäften mit verschiedenen Dritten erlangen, sofern die Rechtsgeschäfte insgesamt auf den Übergang eines funktionsfähigen Betriebs ausgerichtet sind. Anzahl und Form der Rechtsgeschäfte, die zu der Möglichkeit führen, die Betriebsführungsbefugnis über einen intakten Betrieb zu erlangen, sind dagegen nicht entscheidend. § 613 a BGB ist auch dann anwendbar, wenn wesentliche Betriebsmittel durch gesonderte Rechtsgeschäfte mit Dritten erworben werden (BAG Urteil vom 22. Mai 1985 – 5 AZR 173/84BAGE 48, 376 = AP Nr. 43 zu § 613 a BGB).

Dies muß auch dann gelten, wenn es sich um Rechtsgeschäfte mit Dritten handelt, von denen auch der bisherige Inhaber seine Betriebsmittel erhalten hat. Für den Fall, daß der neue Betriebsinhaber die Betriebsmittel durch Pachtvertrag mit dem Verpächter im Anschluß an das Pachtverhältnis des bisherigen Betriebsinhabers erwirbt, ist dies bereits anerkannt (BAG Urteil vom 25. Februar 1981 – 5 AZR 991/78BAGE 35, 104 = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB). Vom Schutzgedanken des § 613 a BGB ist es ebenso umfaßt, wenn der Erwerber die Betriebsmittel durch Begründung eines Liefervertrages mit dem Hersteller im Anschluß an den Liefervertrag des bisherigen Betriebsinhabers erlangt. Auf eine Vermittlung des Vertrags durch den bisherigen Betriebsinhaber kommt es genau so wenig an wie bei der Anschlußpacht.

Die Beklagte erwarb den Betrieb zunächst durch den Kaufvertrag mit der Streithelferin vom 8. März 1993. Dabei erlangte die Beklagte nicht nur die Geschäftseinrichtung, sondern auch das Nutzungsrecht an den Geschäftsräumen, wie die mit Zustimmung der Vermieter im Kaufvertrag getroffenen Regelung zum Eintritt in das Mietverhältnis zeigt. Das Alleinbezugsrecht für J.-Moden erlangte die Beklagte schließlich durch den Franchise-Vertrag mit der J. AG vom 22. März 1993. Diese Rechtsgeschäfte zielen alle darauf ab, den Betrieb der Streithelferin insgesamt als funktionsfähigen Betrieb zu erwerben. Die Beklagte erlangte durch sie die Nutzungsmöglichkeit der wesentlichen sächlichen und immateriellen Betriebsmittel.

d) Der Betrieb ist spätestens am 1. April 1993 auf die Beklagte übergegangen.

Ein Betriebsübergang findet statt, wenn die Organisations- und Leitungsmacht auf den neuen Inhaber übergeht. Es kommt darauf an, ob und wann der Erwerber die tatsächliche Organisationsgewalt über den Betrieb erhält und in die betriebliche Organisation eintritt. Dabei kommt es darauf an, daß der Erwerber die Möglichkeit hat, den arbeitstechnischen Zweck zu nutzen. Leitungsmacht hat bereits derjenige, der sie im Einvernehmen mit dem Veräußerer ausüben könnte, wenn er nur wollte. Die Erfüllung dieses Merkmals kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob und wann der Erwerber die Leitungs- und Organisationsmacht tatsächlich ausüben will. Es ist lediglich darauf abzustellen, ob der Erwerber objektiv die Möglichkeit zur weiteren Verfolgung der bisherigen arbeitsorganisatorischen eigenständigen Leistungszwecke besitzt. Auf die tatsächliche Ausnützung dieser Möglichkeit kommt es nicht an (BAG Urteil vom 23. Juli 1991 – 3 AZR 366/90BAGE 68, 160, 168 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, zu III 2 c der Gründe).

Die Beklagte hatte spätestens am 1. April 1993 die Organisations- und Leitungsmacht des „J.-Geschäfts” in Köln inne. Ab diesem Zeitpunkt konnte sie das Betriebssubstrat des Geschäfts für eigene arbeitstechnische Zwecke nutzen. Sie verfügte über Räume, Einrichtung, good-will und konnte jederzeit die Belieferung mit J.-Produkten veranlassen und mit dem Verkauf der Ware beginnen. Daß die Beklagte ihre Organisations- und Leitungsmacht nicht unmittelbar zur Verfolgung des arbeitstechnischen Zwecks genutzt hat, sondern die Räume erst renovierte, ist unerheblich, da es allein auf die Möglichkeit der Ausübung ankommt.

II. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung für die Monate April bis Juni 1993, weil ihr Arbeitsverhältnis spätestens am 1. April 1993 auf die Beklagte übergegangen ist (§ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB).

1. Bei einem Betriebsübergang besteht das Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber in der Form fort, in der es mit dem früheren Betriebsinhaber bestanden hat. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin war im Zeitpunkt des Betriebsübergangs durch die Kündigung vom 9. Februar 1993 zum 30. Juni 1993 bereits gekündigt. Durch Absprache vom 24. Februar 1993 war die Klägerin unter Zusicherung der Weiterzahlung der Bezüge von der Arbeitsleistung freigestellt. In dieser Form ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf die Beklagte über. Die Freistellung wurde von der Beklagten als der neuen Arbeitgeberin nicht beendet.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten mußte die Klägerin nach dem Betriebsübergang nicht der Beklagten ihre Arbeitskraft anbieten. Der Betriebserwerber tritt in dieselbe Rechtsposition ein, in der der Betriebsveräußerer stand. Die Freistellung des Arbeitnehmers und ein Annahmeverzug des Arbeitsgebers nach § 615 BGB wirken nach dem Betriebsübergang gegenüber dem Betriebserwerber als neuen Arbeitgeber unverändert weiter (vgl. BAG Urteil vom 4. Dezember 1986 – 2 AZR 246/86BAGE 53, 380, 382 = AP Nr. 56 zu § 613 a BGB, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 9. Juli 1987 – 2 AZR 467/86 – n. v., zu II 2 der Gründe). Der Arbeitnehmer kann auf den Fortbestand seiner bisherigen Rechtsposition vertrauen. Er muß dem in das Arbeitsverhältnis durch Betriebsübergang eintretenden neuen Arbeitgeber seine Arbeitskraft nicht erneut anbieten. Auf die Kenntnis des Betriebserwerbers von Freistellung und Annahmeverzug kommt es dabei nicht an.

3. Die Klägerin hat daher Anspruch auf die der Höhe nach unstreitige Gehaltsnachzahlung. Der Zinsausspruch rechtfertigt sich nach §§ 288, 291 BGB.

III. Die Beklagte hat gemäß §§ 91, 101 ZPO die Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen der Streithelferin zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Krause, Ma. Schallmeyer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093073

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