In der Praxis verursachen häufig unklar formulierte oder auch unzureichend begründete ärztliche Bescheinigungen, nach denen der Arbeitnehmer eine bestimmte Tätigkeit nicht mehr ausüben darf, kann oder soll, Schwierigkeiten. Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass von ihm bestimmte Tätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen nicht ausgeübt werden können, stellt sich die oben dargestellte Problematik nach der Neuausübung des Weisungsrechts. Ist der Arbeitgeber aber aufgrund berechtigter Zweifel (z. B. unklare Formulierung, fehlende Auseinandersetzung mit dem konkreten Arbeitsplatz) nicht bereit, die nach ärztlichem Zeugnis bestehenden Einschränkungen zu akzeptieren und lässt sich eine Klärung nicht anders herbeiführen, hat er die Frage durch eine arbeitsmedizinische Untersuchung aufzuklären. Verweigert der Arbeitnehmer seine Teilnahme daran, hat der Arbeitgeber zunächst keinen Grund, auch wenn es der Arbeitnehmer verlangt, einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen. Er gerät dadurch weder in Annahmeverzug, denn der Arbeitnehmer behauptet ja selbst seine Leistungsunfähigkeit, noch macht er sich schadensersatzpflichtig, da der Arbeitnehmer die Mitwirkung an der Klärung der gesundheitlichen Einschränkungen verhindert hat.

Falls der Arbeitnehmer dann jedoch der Arbeit fernbleibt, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass der unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist; spätestens im Kündigungsschutzprozess wird der Arbeitnehmer die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden haben.

Der Arbeitnehmer ist nicht gezwungen, eine gesundheitliche Einschränkung aus einem ärztlichen Attest zu beachten. Solange daraus keine Krankheitszeiten resultieren, kann er auch dem Attest folgenlos zuwiderhandeln. Allerdings hat der Arbeitgeber in einem solchen Fall gleichwohl das Recht, eine andere dem Attest entsprechende Tätigkeit zuzuweisen.

 
Praxis-Beispiel

Arbeitnehmer D legt seinem Arbeitgeber ein Attest seines Hausarztes vor, dass er zukünftig "keine Lasten von mehr als 10 kg heben soll." D verlangt daraufhin, dass ihm eine leidensgerechte Arbeit als Pförtner zugewiesen wird. Der Arbeitgeber weigert sich. D bleibt daraufhin der Arbeit fern und weist darauf hin, dass die bisherige Tätigkeit nicht im Einklang mit dem ärztlichen Attest steht.

Der Arbeitgeber berät sein weiteres Vorgehen.

Von einer Kündigung ist abzuraten. Abgesehen davon, dass noch keine Abmahnung ausgesprochen ist, hätte der Arbeitgeber zu beweisen, dass der Arbeitnehmer unberechtigt und vorsätzlich seine Arbeitsleistung nicht erbracht hat. Das ist angesichts des unklar formulierten Attestes unwahrscheinlich.

Eine Neuzuweisung einer leidensgerechten Tätigkeit (ohne Heben von mehr als 10 kg) ist nicht sofort geboten, schließlich spricht das Attest nur von "soll". Vorher ist es sinnvoll, den Arbeitnehmer aufzufordern, entweder den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, um mit ihm direkt die gesundheitlichen Einschränkungen erörtern zu können, oder aber ein aussagefähiges Attest, das erkennen lässt, dass sich der Arzt mit den Besonderheiten des Arbeitsplatzes auseinandergesetzt hat, anzufordern. Solange das nicht vorliegt, sind Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers ausgeschlossen.

Entschließt sich der Arbeitgeber, die ärztliche Empfehlung zu befolgen und einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen, muss D die Weisung akzeptieren, auch wenn er nun feststellt, dass sich seine Vergütung dadurch verringert, vorausgesetzt, es gibt keinen leidensgerechten Arbeitsplatz, der der bisherigen Vergütung entspricht. Ggf. kann der Arbeitgeber hierauf auch eine Änderungskündigung stützen.

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