Beschäftigungsanspruch von Arbeitnehmern und Arbeitsfähigkeit
Arbeit dient Beschäftigten nicht nur zum Erwerb finanzieller Mittel zur Lebensgestaltung, sondern auch zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit. In einem Arbeitsverhältnis besteht daher ein grundsätzlich ein Beschäftigungsanspruch aus den §§ 611, 613 i.V. m. § 242 BGB. Eine arbeitsvertraglichen Förderungspflicht des Beschäftigungsinteresses durch den Arbeitgeber ergibt sich auch aus dem Schutz des Persönlichkeitsrechts durch Art. 1 und 2 GG.
Anspruch auf einen funktionstüchtigen Arbeitsplatz und vertragsgemäße Arbeitsaufträge
Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer danach einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und ihm dem Arbeitsvertrag entsprechende Arbeiten zuweisen (BAG, Urteil v. 21.1.1993, 2 AZR 309/92). Der Beschäftigungsanspruch besteht grundsätzlich auch noch nach Ausspruch einer Kündigung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und ist von der Entgeltzahlung unabhängig.
Arbeitsfähigkeit ist Voraussetzung für den Beschäftigungsanspruch
Der Beschäftigungsanspruch kann allerdings zurücktreten, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, denn der Anspruch ist auf die vertragsgemäße Beschäftigung gerichtet. Bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung besteht kein Beschäftigungsanspruch, dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig ist. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer zu beschäftigen, setzt daher dessen Arbeitsfähigkeit voraus. Deshalb muss ein zuvor berufsunfähiger Arbeitnehmer, der wieder arbeiten will, u. U. belegen können, dass er wieder gesund ist. Gelingt ihm dies nicht, muss ihn sein Arbeitgeber weder beschäftigen noch entlohnen.
Selbsteinschätzung des Arbeitnehmers ist für Arbeitsfähigkeit nicht ausschlaggebend
Beispiel: Ein Beschäftigter, der eineinhalb Jahre lang arbeitsunfähig gewesen war, teilte, nachdem die Krankengeldzahlung auslief, seinem Arbeitgeber mit, seine Gesundheit sei seines Erachtens so weit hergestellt, dass er wieder arbeiten könne. Der Arbeitgeber sah das anders, denn es gab Indizien dafür, dass der Arbeitnehmer weiterhin arbeitsunfähig war, die vom Werksarzt erhobenen Befunde, sprachen gegen eine für die Arbeit notwendige Fahrtauglichkeit. Der Arbeitgeber lehnte deshalb die Beschäftigung ab.
Arbeitnehmer muss seine Gesundheit im Zweifel belegen können
Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf seinen Lohn. Das Arbeitsgericht Iserlohn wies die Klage ab (Urteil v. 24. 3. 2011, 4 Ca 1444/10): Es genüge nicht, wenn der Arbeitnehmer behauptet, er sei wieder arbeitsfähig. Meldet der Arbeitgeber auf Grund von Indizien Zweifel an, muss der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vorlegen, dass seine Arbeitsfähigkeit bescheinigt. Nach Auffassung der Richter war es dem Arbeitnehmer ohne ein solches Attest nicht gelungen, die Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit auszuräumen, er habe keinen Beleg dafür geliefert, dass er wieder gesund genug sei, um arbeiten zu können.
Beschäftigungsanspruch bei eingeschränkter Arbeitsfähigkeit
Anders steht es um den Beschäftigungsanspruch, wenn es nur einzelne Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit gibt. Beispiel: Das BAG hat mit Urteil vom 9.4.2014 (10 AZR 637/13) entschieden, dass eine Krankenschwester, die aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten kann, deshalb nicht arbeitsunfähig krank ist, sondern Anspruch auf Beschäftigung hat, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden. Die Krankenschwester musste Medikamente einnehmen, die es ihr unmöglich machten, nachts nicht einzuschlafen. Das BAG sah in diesem Zustand keine Arbeitsunfähigkeit.
Begriff der „Arbeitsunfähigkeit"
Für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit ist eine vom Arzt nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Bewertung darüber maßgebend,
- ob sein Gesundheitszustand es dem Arbeitnehmer nicht erlaubt, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung noch auszuüben
- bzw. er sie nicht mehr ausüben sollte, weil sie die Heilung der Krankheit verhindern oder verzögern würde.
BAG zu Einschränkungen der Arbeitsmöglichkeiten
Im Fall der Krankenschwester gab es Einschränkungen nur hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit als Nachtschicht. Es gab jedoch keine vertragliche Festlegung der Arbeit auf die Nachtzeit. Dem Arbeitgeber war es gem. § 106 GewO überlassen, die Arbeitszeit im Rahmen des Schichtmodells festzulegen, wobei die Nachtschicht einen untergeordneten Anteil einnahm.
Zwar gibt es den Begriff der Teilarbeitsfähigkeit im deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht nicht, doch das BAG befand, die Arbeitsfähigkeit sei nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten nur teilweise erfüllen kann, dergestalt, dass er zwar eine volle Arbeitsleistung erbringen kann, aber gehindert ist, die gesamte Bandbreite der arbeitsvertraglich möglichen Leistungen erbringen zu können. Hier müsse der Arbeitgeber nach Möglichkeit berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer aus Gründen seiner Gesundheit nicht mehr in der Lage ist, alle an sich geschuldeten Tätigkeiten vollumfänglich auszuführen: Er ist verpflichtet, sein Weisungsrecht so auszuüben, dass den Einschränkungen Rechnung getragen wird (leidensgerechtes Arbeiten) indem z. B. im Falle der Krankenschwester Nachtdienste entfallen.
Beschäftigungsanspruch bei ärztlich attestierter Unfähigkeit, eine Maske zu tragen
Eine neue Fragestellung zum Beschäftigungsanspruch hat die Corona-Pandemie aufgeworfen: Besteht ein Beschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers, der laut ärztlichem Attest nicht in der Lage ist, die beim Arbeitgeber geltende Maskenpflicht einzuhalten?
Geklagt hatte ein Mitarbeiter der Rathausverwaltung, dessen Tätigkeiten zu 60-80% im Büro stattfanden, im Übrigen im Außendienst. Da in der Verwaltung noch keine Umstellung auf digitale Akten stattgefunden hatte und Flure und Treppenhäuser im Rathaus so schmal waren, dass ein Abstand von 1,5 nicht einzuhalten war, wurde in den Räumlichkeiten des Rathauses sowohl für Besucher als auch für Beschäftigte das Tragen einer Maske angeordnet.
Der Arbeitnehmer weigerte sich, dieser Anordnung nachzukommen und lehnte auch ab, als milderes Mittel des Infektionsschutzes ein Gesichtsvisier zu tragen, legte aber zwei ärztliche Atteste vor, die aufgrund psychischer Erkrankung seine Befreiung von der Maskenpflicht sowie von der Pflicht zum Tragen von Gesichtsvisieren jeglicher Art bestätigten.
Abwägung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen
Die beklagte Stadt lehnte es daraufhin ab, ihn weiter im Rathaus zu beschäftigen. Das LAG Köln hat diese Haltung bestätigt: Die Coronaschutzverordnung Nordrhein-Westfalen und die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung stütze die Maskenpflicht im Rathaus. Unabhängig davon sei die Anordnung zum Tragen der Maske zum Schutze vor Infektionen vom Direktionsrecht umfasst und auch angemessen.
Dass der Kläger an einer psychischen Erkrankung leide, die es ihm unmöglich mache, der Maskenpflicht nachzukommen, stünde der Verhältnismäßigkeit der Anordnung nicht entgegen, da das Interesse der Beklagten, den Ausstoß von Aerosolen im Rathaus auf dem geringstmöglichen Niveau zu halten, dem Interesse des Klägers, ohne Maske arbeiten zu können, vorgehe.
Beschäftigung im Homeoffice nur bei Möglichkeit, die Aufgaben dort zu erledigen
Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger Anspruch auf Entgeltfortzahlung und Krankengeld habe, das in der Regel ausreichend sei, um eine Heilung zu ermöglichen. Einer Beschäftigung im Homeoffice stand nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts die fehlende Eignung der Tätigkeit des Klägers für eine vollständige Tätigkeit außerhalb des Rathauses entgegen. Da das mobile Arbeiten nur die Bürotätigkeiten erfassen würde, die ohne Austausch von Bauakten und Plänen und ohne Besuch des Rathauses möglich seien, bliebe es für die restlichen Arbeiten bei einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers (LAG Köln, Urteil v. 12.4.2021, 2 SaGa 1/21).
Anders hätte es ausgesehen, wenn eine leidensgerechte Erledigung der Arbeit im Homeoffice möglich gewesen wäre.
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Hintergrund: Anspruch auf Beschäftigung und Weiterbeschäftigung
Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Beschäftigung, d. h. er kann vom Arbeitgeber die Annahme seiner Arbeitsleistung verlangen. Der Beschäftigungsanspruch endet mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Oftmals besteht jedoch – insbesondere wenn es nach dem Ausspruch einer Kündigung zum Kündigungsschutzprozess kommt – zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Streit, ob das Arbeitsverhältnis wirksam beendet wurde oder nicht.
Als Weiterbeschäftigung wird die Zeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers während der rechtlichen Ungewissheit über die Wirksamkeit der vom Arbeitgeber behaupteten Kündigung verstanden. Der Weiterbeschäftigungsanspruch endet mit der rechtskräftigen Beendigung der gerichtlichen Streitigkeit, also beispielsweise mit der Rechtskraft eines Urteils oder der Bestandskraft eines Vergleichs.
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