Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug bei Betriebsübergang

 

Orientierungssatz

Der Eintritt des Betriebserwerbers in die Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen setzt nicht die Einwilligung des Arbeitnehmers voraus. Dieser kann allerdings der bevorstehenden oder bereits eingetretenen Rechtsfolge widersprechen. Gibt er keinerlei Erklärungen ab, so tritt der Betriebserwerber in die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende Rechtsposition des Veräußerers ein.

 

Normenkette

BGB §§ 615, 613a

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 02.07.1986; Aktenzeichen 14 Sa 17/86)

ArbG Herne (Entscheidung vom 03.12.1985; Aktenzeichen 2 Ca 1923/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revision nur noch darüber, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 28. Mai bis 4. Juli 1985 Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis schuldet.

Der am 8. Oktober 1930 geborene schwerbehinderte Kläger war seit dem 28. April 1975 bei der S Bau GmbH als Maurerpolier mit einem Monatslohn von 3.627,-- DM brutto beschäftigt. Diese GmbH befand sich seit Dezember 1984 in Liquidation.

Am 18. Dezember 1984 wurde die Beklagte gegründet. Sie nahm im selben Monat ihren Geschäftsbetrieb auf, der sich mit Althaussanierungen, An- und Umbauten und der schlüsselfertigen Errichtung von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen befaßt. Der Geschäftsführer der Beklagten ist ebenfalls W S. Er überließ der Beklagten das Betriebsgrundstück der S Bau GmbH sowie einen Teil der Arbeitsgeräte.

Am 28. Mai 1985 wurde über das Vermögen der S Bau GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Restarbeiten auf zwei Baustellen der Gemeinschuldnerin führte die Beklagte zu Ende.

Der Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin beantragte am 30. Mai 1985 bei der zuständigen Hauptfürsorgestelle, einer Kündigung des Klägers zuzustimmen. Dies lehnte die Hauptfürsorgestelle mit Bescheid vom 2. Juli 1985 ab, weil die Beklagte den Betrieb der Gemeinschuldnerin nach § 613 a BGB übernommen habe. Der Bescheid der Hauptfürsorgestelle wurde am 7. März 1986 vom Widerspruchsausschuß bestätigt.

Der Kläger hatte bis zum 15. Mai 1985 für die spätere Gemeinschuldnerin gearbeitet und anschließend seinen Jahresurlaub angetreten, der noch andauerte, als die Gemeinschuldnerin am 28. Mai 1985 in Konkurs fiel und ihre Arbeiten einstellte. Danach meldete sich der Kläger arbeitslos und bezog seit dem 4. Juni 1985 Arbeitslosengeld in Höhe von 385,80 DM wöchentlich. Lohnrückstände wurden bis zum 27. Mai 1985 durch die Zahlung von Konkursausfallgeld abgegolten. Am 4. Juli 1985 bot der Kläger der Beklagten seine Arbeitsleistung schriftlich an und führte hierzu aus, sein Arbeitsverhältnis mit der Gemeinschuldnerin sei auf sie übergegangen. Dieser Auffassung trat die Beklagte mit Schreiben vom 18. Juli 1985 entgegen und lehnte eine Beschäftigung ab. Sie befindet sich derzeit in Liquidation.

Mit der am 1. August 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger Arbeitsvergütung.

Er hat vorgetragen, der Betrieb der Gemeinschuldnerin sei nach § 613 a BGB auf die Beklagte übergegangen. Damit sei die Beklagte in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Überganges zwischen ihm und der Gemeinschuldnerin bestehenden Arbeitsverhältnisses eingetreten. Deshalb schulde sie ihm unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges Arbeitsentgelt für die Zeit vom 28. Mai bis 31. Juli 1985.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis mit der

Firma S GmbH nunmehr mit der Beklagten

unverändert fortbestehe,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.884,78 DM

brutto abzüglich für die Zeit vom 28. Mai bis

31. Juli 1985 vom Arbeitsamt an ihn gezahlten

Arbeitslosengeldes in Höhe von 3.600,80 DM zu

zahlen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Sie hat geltend gemacht, sie habe den Betrieb der Gemeinschuldnerin nicht übernommen. Ihr Unternehmen und das der Gemeinschuldnerin seien zwei rechtlich verschiedene Gesellschaften gewesen, die nebeneinander bestanden und unterschiedliche Aufgabengebiete gehabt hätten. Im übrigen wäre ein etwaiger Lohnanspruch des Klägers allenfalls ab 5. Juli 1985 begründet, nachdem ihr der Kläger erstmals mit Schreiben vom 4. Juli 1985 seine Arbeitsleistung angeboten habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Leistungsklage für die Zeit vom 28. Mai bis zum 4. Juli 1985 abgewiesen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den abgewiesenen Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war im Umfang der Klageabweisung mit der Kostenentscheidung aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe zwar den Betrieb der Gemeinschuldnerin nach § 613 a BGB übernommen, für die Zeit vom 28. Mai bis zum 4. Juli 1985 liege ein Annahmeverzug der Beklagten jedoch nicht vor. Der Kläger habe der Beklagten bis zum 4. Juli 1985 seine Arbeitsleistung weder tatsächlich noch wörtlich angeboten. Er habe auch sonst nicht zu erkennen gegeben, daß er die Beklagte als neue Arbeitgeberin ansehe und in Anspruch nehmen wolle. Andererseits sei die Gemeinschuldnerin durch die Betriebseinstellung und das damit verbundene Unvermögen, den Kläger weiter zu beschäftigen, in Annahmeverzug gekommen. Zwar trete der Betriebserwerber nach § 613 a BGB grundsätzlich in die Stellung des bisherigen Betriebsinhabers ein. Daraus folge aber nicht zwingend, daß der beim früheren Inhaber bestehende Annahmeverzug sich beim Betriebserwerber fortsetze. Das gelte zumindest dann nicht, wenn der Betriebsübergang zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebsübernehmer streitig sei. In diesem Falle habe der Arbeitnehmer klarzustellen, daß er den neuen Betriebsinhaber als seinen Arbeitgeber ansehe und ihm seine Arbeitskraft zumindest wörtlich anbiete. Das sei schon deshalb erforderlich, weil der Arbeitnehmer ein Wahlrecht habe und somit der Betriebsübergang nicht zwangsläufig den Übergang des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehe.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Wie das Berufungsgericht rechtskräftig festgestellt hat, ist die Beklagte in das zwischen dem Kläger und der Gemeinschuldnerin bestehende Arbeitsverhältnis nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB eingetreten. Als die Gemeinschuldnerin am 28. Mai 1985 in Konkurs fiel und ihren Geschäftsbetrieb einstellte, führte die Beklagte Restarbeiten auf zwei von der Gemeinschuldnerin noch nicht beendeten Baustellen aus. Nach alledem ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß der Betriebsübergang spätestens am 28. Mai 1985 vollzogen war, weil die Beklagte zumindest zu diesem Zeitpunkt über alle wesentlichen, wirtschaftlich nutzbaren Betriebsmittel der Gemeinschuldnerin verfügte, um den Baubetrieb fortführen zu können. Damit ist die Beklagte in die Rechte und Pflichten aus dem zur Zeit der Betriebsübernahme bestehenden Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten eingetreten.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lassen allein die von ihm getroffenen Feststellungen noch keinen Schluß darauf zu, ob dem Kläger der noch geltend gemachte Anspruch zusteht oder nicht.

Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Beklagte sei nach § 613 a BGB in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis zur Gemeinschuldnerin eingetreten. Es hat jedoch einen Annahmeverzug der Beklagten zu Unrecht schon deshalb verneint, weil der Kläger der Beklagten erst am 4. Juli 1985 seine Arbeitsleistung angeboten habe. Seine Annahme, aus dem dem Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang zustehenden Widerspruchsrecht gegen einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber folge, daß der Betriebsübergang nicht zwangsläufig den Übergang des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehe, so daß der Arbeitnehmer dem Betriebserwerber stets seine Arbeitskraft zunächst wörtlich anbieten müsse, ist rechtsfehlerhaft.

Wie der Senat bereits durch Urteil vom 30. Oktober 1986 (2 AZR 101/85 = ZIP 1987, 529, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt) entschieden hat, setzt der Eintritt des Betriebserwerbers in die Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen nicht die Einwilligung (Zustimmung oder Genehmigung) des Arbeitnehmers voraus. Der Arbeitnehmer kann allerdings der bevorstehenden oder bereits eingetretenen Rechtsfolge widersprechen, was vorliegend unstreitig nicht geschehen ist. Gibt der Arbeitnehmer keinerlei Erklärung ab, so tritt der Betriebserwerber in die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende Rechtsposition des Veräußerers ein. Die Beklagte hätte sich also bereits vor dem 4. Juli 1985 in Annahmeverzug befunden, wenn die Voraussetzungen für den Annahmeverzug bereits beim Betriebsveräußerer vorgelegen hätten. Tatsächliche Feststellungen hierzu hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen, so daß zunächst aufzuklären sein wird, wie der Kläger sich nach Beendigung seines Urlaubs verhalten hat.

3. Dem Senat erscheinen insoweit folgende Hinweise angebracht.

a) Aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, daß der Kläger sich zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung in Urlaub befand. Da nicht festgestellt ist, von wann bis wann der Urlaub dauerte und ob der Kläger das Urlaubsentgelt in voller Höhe erhalten hat, kann vom Senat nicht abschließend beurteilt werden, ob die Beklagte nach §§ 613 a, 611 BGB, 11 BurlG für die streitbefangene Zeit noch Urlaubsentgelt schuldet. Das Berufungsgericht hat insoweit nur festgestellt, der Kläger habe ab 4. Juni 1985 Arbeitslosengeld bezogen, Gehaltsrückstände bis einschließlich 27. Mai 1985 seien durch die Zahlung von Konkursausfallgeld abgegolten worden.

b) Der Kläger hätte nach Beendigung seines Urlaubs seinem Arbeitgeber von sich aus die Arbeit wieder anbieten müssen. Nach § 615 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er in Annahmeverzug gerät. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich auch für das Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 f. BGB. Danach muß der Schuldner in der Regel die geschuldete Leistung tatsächlich anbieten. Nach § 295 BGB genügt jedoch ein wörtliches Angebot, wenn der Gläubiger erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es ausnahmsweise überhaupt keines Angebotes, wenn der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt (§ 296 BGB). Weder in einer Eröffnung eines Konkursverfahrens noch in der Tatsache eines Betriebsübergangs ist eine, einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses vergleichbare Situation zu sehen, so daß die Grundsätze, die der Senat in den Entscheidungen vom 9. August 1984 (2 AZR 374/83 - AP Nr. 34 zu § 615 BGB) und vom 21. März 1985 (2 AZR 201/84 - AP Nr. 35 zu § 615 BGB) aufgestellt hat, insoweit auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden sind.

Hat der Kläger also dem Konkursverwalter seine Arbeitskraft angeboten und hat dieser eine Beschäftigung abgelehnt, so hätten die Voraussetzungen des Verzugs vorgelegen. Die Beklagte wäre durch den Betriebserwerb in die Rechtsstellung des früheren Inhabers eingetreten, ohne daß es eines erneuten Angebots des Klägers bedurft hätte. Aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt sich, daß zwar einerseits der Betrieb eingestellt worden sein soll, andererseits aber Restarbeiten von der Beklagten ausgeführt worden sein sollen. Es ist daher aus den bisherigen Feststellungen nicht ersichtlich, wieso der Kläger seine Arbeit nach dem Urlaub hätte nicht anbieten müssen.

c) Hatte die Beklagte den Betrieb bereits zum bislang ungeklärten Zeitpunkt des Urlaubsendes des Klägers übernommen, so hätte der Kläger der Beklagten seine Arbeitsleistung tatsächlich anbieten müssen. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn es dem Kläger infolge fortdauernder Unkenntnis von Betriebsübergang unmöglich gewesen wäre, seine Arbeitsleistung anzubieten. Verlegt beispielsweise ein Arbeitgeber während des Urlaubs eines Arbeitnehmers seinen Betrieb und macht er diesem hiervon keine Mitteilung, so ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber nicht deshalb haftet, weil er dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung durch sein Verhalten unmöglich gemacht hat. Im vorliegenden Fall wird zu beachten sein, daß die Beklagte den Betrieb offenbar am gleichen Ort und in den gleichen Räumen bei Fortführung noch vorhandener Arbeiten wie die Gemeinschuldnerin fortführte.

Ebenso wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob ein Angebot des Klägers dann entbehrlich war, wenn er davon ausgehen konnte, die Beklagte werde ihm auch im Falle eines Angebotes einen funktionsfähigen Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stellen (vgl. dazu BAG Urteil vom 9. August 1984, aa0). Das Landesarbeitsgericht wird hierbei das Verhalten der Beklagten nach dem Angebot des Klägers vom 4. Juli 1985 zu würdigen haben und prüfen müssen, ob dieses Verhalten Rückschlüsse auf ein mögliches früheres Arbeitsangebot des Klägers zuläßt.

Hillebrecht Triebfürst Ascheid

Schulze Strümper

 

Fundstellen

Haufe-Index 437955

RzK, I 13a Nr 23 (ST1)

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