Green Deal: Wie wird Wohnen in Europa grün und bezahlbar?

Im Dezember 2019 hat die EU-Kommission den European Green Deal vorgestellt. Mit dem ambitionierten Maßnahmenpaket soll der „grüne“ Wandel zu einer nachhaltigen EU-Wirtschaft gelingen – auch im Wohnungswesen. Wie das klappt, testen Wohnungsunternehmen in ganz Europa.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete den „Green Deal“ als Europas neue Wachstumsstrategie. Ihr Ziel ist ein gerechter, sozial ausgeloteter Wandel zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft – und zwar so, dass im Rahmen dieser großen Transformation weder Einzelpersonen noch Regionen abgehängt werden. Gleichermaßen werden alle Branchen berücksichtigt, also auch der Wohnungsbau. Doch wie lässt sich das Ziel des bezahlbaren Wohnens europaweit mit dem Green Deal vereinbaren?

Green Deal: Kreislaufbau- und Renovierungsprojekte in Europa

Ein wichtiger Hebel für die Entwicklung zu einer nachhaltigen Bau- und Immobilienbranche ist das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. In ganz Europa werden immer mehr (soziale) Wohnungsbauvorhaben als Kreislaufbau- und -renovierungsprojekte realisiert. Dies geschieht zum einen, weil (zukünftige) Gesetze und rechtliche Vorschriften die Wohnungsunternehmen und beteiligten Akteure zum Handeln zwingen. Andererseits aber auch, weil sie gefordert werden und motiviert sind, eine bessere Welt zu schaffen – eine klimafreundlichere, „grünere“ Welt. Der Kreislaufansatz bedeutet, dass die Gebäude in ihrer Bauweise und im Rahmen ihrer Renovierung nicht nur CO2-neutral sind, sondern auch, dass Material und natürliche Rohstoffe in Zukunft wiederverwertet werden können.

Der European Green Deal und das Übereinkommen von Paris

Mit dem europäischen Green Deal verfolgt die Europäische Union das Ziel, bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen in Europa auf null zu reduzieren und so als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Der Green Deal wurde im Dezember 2019 vorgestellt und folgt damit auf das „Übereinkommen von Paris“, das im Dezember 2015 auf der Pariser Klimakonferenz geschlossen wurde. In ihm ist unter anderem das Ziel festgeschrieben, den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Es gilt als die erste umfassende und rechtsverbindliche weltweite Klimaschutzvereinbarung.

Eine kreislaufbasierte Arbeitsweise setzt eine neue Denkweise, Vision und eine andere finanzielle Einschätzung von Immobilien voraus, denn wenn Material wiederverwertet werden kann, bewahren Gebäude während ihres Lebenszyklus einen höheren Ressourcenwert. Es könnte allerdings auch bedeuten, dass höherwertiges Material zum Bau eines Kreislaufgebäudes verwendet werden muss. Dazu bedarf es einer höheren Investition, was sich wiederum negativ auf die Bezahlbarkeit vorhandener Wohnungen auswirken könnte – insbesondere für sozial orientierte Wohnungsunternehmen, deren Mieter über geringe bis mittlere Einkommen verfügen –, sofern das Geschäftsmodell gleich bleibt und nicht in ein Kreislaufmodell umgewandelt wird. Wie lässt sich ermitteln, was in diesem Fall empfehlenswert ist? Eine der Antworten lautet: Experimentieren!

CHARM-Projekt: International und innovativ

Experimentiert, das wird zum Beispiel im CHARM-Projekt, in dem Wohnungsunternehmen in verschiedenen europäischen Ländern das Kreislaufprinzip testen. Die Abkürzung CHARM steht dabei für „Circular Housing Asset Renovation & Management – No More Downcycling“. Gefördert wird das Projekt im Rahmen des Programms „Interreg North-West Europe“ (Interreg NWE), einer von 15 europäischen transnationalen Kooperations-Initiativen der Europäischen Kommission. Hauptziel des Projekts ist die Optimierung des (wieder) verwertbaren Materials und der natürlichen Rohstoffe in Bau- und Renovierungsprojekten. Während des Projektlaufs setzen vier Wohnungsunternehmen mehrere Kreislauf-Wohnungsprojekte um: Paris Habitat (in Paris, F), Zonnige Kempen (in Westerlo, B), Woonbedrijf (in Eindhoven, NL) und die Accord Housing Assocation (in Birmingham, GB). Letztere unternimmt sogar den Versuch, die Wohnhäuser komplett ohne Plastik oder synthetische Stoffe zu bauen.

Das niederländische Wohnungsunternehmen Woonbedrijf ist mit seinem Projekt zur Entwicklung von Kreislaufbauten bereits weit vorangekommen. Noch 2020 werden sie 22 Kreislaufbauten fertigstellen. Zonnige Kempen in Belgien hat wiederum 2019 seine Firmenzentrale renoviert, sodass alle Mitarbeiter jetzt in einem Kreislaufbüro arbeiten. Das Unternehmen widmet sich schon dem nächsten Kreislauf-Wohnungsbauprojekt, um seine Kreislaufziele zu erreichen. Paris Habitat konnte im Rahmen seines umfangreichen Renovierungsprojekts der „Caserne de Reuilly“, einer alten Militärkaserne im 12. Arrondissement von Paris, viele Erfahrungen und Erkenntnisse über den Umgang mit wiederverwerteten Materialien und den Materialtausch-Plattformen sammeln. Diese Erfahrungen werden in ihre nächsten Projekte fließen, die von Architekten, Zulieferern und der Wohnungsbauabteilung der Pariser Stadtverwaltung begleitet und unterstützt werden.

Save-Projekt: Kooperation zwischen Wohnungsunternehmen

Außerhalb von CHARM haben einige Mitglieder der European Federation for Living (EFL) auch eigene Kreislaufprojekte begonnen. Die in Amsterdam ansässigen Wohnungsunternehmen Eigen Haard und Woonzorg Nederland, von denen Letzteres auf seniorengerechte Wohnungen spezialisiert ist, wollen etwa mit ihrem Projekt „Save“ den Wohnkomfort tausende Mieter steigern und ihre Kosten senken, indem sie in den kommenden Jahren ein Maßnahmenpaket zur Nachhaltigkeit umsetzen. Diese „Renovierungs-Intervention“ wird einen Großteil ihrer Bestände CO2-neutral und somit zukunftsorientiert machen. Insgesamt verwalten beide Wohnungsunternehmen circa 100.000 Wohnungen.

Neuer Asset-Management-Ansatz für das Kreislaufprinzip

Leitender Partner des CHARM-Projekts ist die Fakultät der Architektur und der Bauflächen an der niederländischen Universität in Delft. Ihre Rolle ist die Erfassung und Katalogisierung aller neuen Erkenntnisse, um einen praxisorientierten Asset-Management-Ansatz für das Kreislaufprinzip zu entwickeln. Sie unterstützt damit den europäischen Bau- und Immobiliensektor bei seiner Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft-affinen Branche. Der Ansatz umfasst verschiedene Strategien, um das Downcycling von Material bei der Renovierung beziehungsweise dem Bau bezahlbarer Mietwohnungen zu vermeiden. Man rechnet hier mit großen Auswirkungen, da die Zuliefererindustrie an Bau- und Renovierungsprojekten beteiligt ist. Bei der Verfolgung des Kreislaufansatzes in der Baubranche sind Abbruchunternehmen, Baumateriallieferanten und Architekten wichtige Partner in der Lieferkette. Eines der Projektziele wird daher die Herausgabe eines spezifischen Richtliniensatzes zur kreislaufgerechten Beschaffung sein. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen noch während der CHARM-Projektdauer (2019 bis 2022) veröffentlicht werden.

Dieser Text ist in einer längeren Version im Fachmagazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 11/2020 erschienen.


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