Stadtplaner Bruno Taut: Architektur für ein besseres Leben

Eine Zeit, in der bezahlbares Wohnen und die Lebensqualität in Städten zunehmend unter Druck stehen und weltweite Lockdowns Menschen an ihr Zuhause fesseln, stellt Architektur und Städtebau vor Herausforderungen. Ideen für Lösungsansätze hatte in Europa einer schon vor rund 100 Jahren: Bruno Taut.

Die Wohnungen von Bruno Taut (1880-1938) sind nicht nur weltberühmt wegen ihrer farbenprächtigen Fassaden, sondern auch wegen ihrer Grünanlagen. Der in Königsberg geborene und in Istanbul verstorbene Taut war ein Architekt, der einen Beitrag zu einer neuen Welt leisten wollte, in der ein hoher Lebensstandard für alle Menschen selbstverständlich sein würde. Das zeigte sich zum Beispiel am damals hohen Ausstattungsstandard seiner Wohnungen mit einer modernen Küche und einem Badezimmer.

Gartenstadt-Gedanke: Grünanlagen werden zum Außenwohnraum

Er war einer der ersten Architekten, der die Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitekten suchte. Die Umgebung der Wohnungen war ihm mindestens so wichtig wie die Innenausstattung. So arbeitete er in der Gartenstadt Falkenberg (1913-1916), die er für die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG baute, zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Ludwig Lesser. Es entstanden Wohnungen mit Gärten von 135 bis 600 Quadratmetern, mit Obstbäumen und Gemüsegärten. Mit dem Einbezug von Landschaft und Umgebung schloss Taut sich den Theorien des englischen Stadtplaners Ebener Howard an: Das Ziel war eine sich selbst versorgende Gartenstadt.

Um den Privatbereich und den öffentlichen Raum in der Gartenstadt Falkenberg zusammenfließen zu lassen, stimmte Taut Bepflanzung und Fassaden farblich aufeinander ab. Er nannte diese Planung "Außenwohnraum". Ziel war es, Anreize für die Bewohner der Siedlung zu schaffen, sich in den Grünanlagen zu treffen. 

Bauen für die Gemeinschaft in Zeiten der Industrialisierung

Die Tatsache, dass Bruno Taut und verschiedene andere seiner Zeitgenossen das Bauen für die Gemeinschaft als so wichtig empfanden, hängt mit den sozialen Bedingungen zusammen, die in dieser Zeit in Europa vorherrschten. Ende des 19. Jahrhunderts schritt die Industrialisierung voran: Vor allem in den Städten entstanden viele neue Arbeitsplätze, die die Menschen dazu bewogen, vom Land in die Stadt zu ziehen.

Doch während die Städte in Europa immer voller wurden, entwickelten sich Wohnungsbau und -märkte meistens auf eine unkontrollierte Art und Weise, wie das Beispiel Berlin verdeutlicht: 1910 war Berlin die am dichtesten bevölkerte Stadt Europas. Bis 1914 wurde ihr Wohnungsmarkt aber nur hinsichtlich technischer Vorschriften reguliert. Der Staat beauftragte sehr wenige Bauprojekte, eine wirklich seriöse Strategie für den Wohnungsbau gab es nicht. Der Wohnungsmarkt wurde vielmehr kontrolliert von privaten Investoren, die vor allem an schnellen Profiten interessiert waren. Diese Spekulationsgeschäfte konzentrierten sich auf das Bauen von sogenannten Mietkasernen, welche aus großen, dicht aufeinander stehenden Wohnblöcken mit vier oder fünf Etagen zusammengestellt waren. Die "guten" Wohnungen befanden sich an der Straßenseite, die schlechteren in den Seitenflügeln und Hinterhäusern und waren meistens klein und schlecht belüftet. Hier wohnten große Familien unter sehr schlechten Bedingungen ohne Tageslicht, frische Luft, fließendes Wasser und meistens auch ohne Elektrizität.

Im Jahr 1918 wurde in einem Schreiben des Preußischen Ministeriums der öffentlichen Arbeiten das Wohnungsdefizit auf 700.000 Wohnungen geschätzt. In den folgenden Jahren wuchs das politische Bewusstsein über die Notwendigkeit, die Wohnungsbedingungen zu verändern. Im Grundgesetz der Weimarer Republik (1919-1933) wurde deshalb festgelegt, worauf jeder Deutsche Recht haben sollte: "Eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte."

Sternstunde der Wohnungsbaugesellschaften

Von dieser Zeit an vertrat die Politik die Auffassung, dass der Bau von sogenannten Volkswohnungen für alle notwendig war. Die Professionalisierung von Wohnungsbaugesellschaften wurde von der Politik aktiv vorangetrieben. Gleichzeitig entstand auch der Plan für Erweiterung von Berlin auf "Groß-Berlin". Auf diese Art und Weise schaffte man Platz für den neuen Volkswohnungsbau. Die neuen Gebiete konnten dank des U-Bahn-Netzes gut miteinander verbunden werden. Bruno Taut war von 1920 bis 1933 am Bau von 10.000 Wohnungen in 25 Siedlungen beteiligt.

Er hatte eine genaue Vorstellung der Gestaltung dieser Siedlungen: Im Gegensatz zum Bauingenieurwesen, das sich vor allem mit technischen Aspekten des Wohnungsbaus befasste, sollten sich Architekten nun mit sozialen Themen auseinandersetzen. Sachkenntnisse über soziologische Bedingungen waren notwendig, um zu Schönheit zu gelangen. Der Begriff "Kollektivität" spielte eine große Rolle: Der Wohnungsbau für die Masse sollte Gemeinschaftssinn ausstrahlen. Die Verbundenheit mit der Umgebung, so die Überlegung, würde es den Bewohnern ermöglichen, ein Leben nach höchstmöglichen Standards zu führen, ungeachtet ihrer eingeschränkten finanziellen Mittel. Die Gestaltung der Innen- und Außenräume sowie der grünen Wohnumgebung wurde deshalb auch als gleich wichtig angesehen.

Der Blick nach Europa

Um ein Höchstmaß an Lebensqualität zu erreichen, verfolgte Taut die neuesten Entwicklungen im Volkswohnungsbau aufmerksam. Dabei blickte er häufig über die eigenen Landesgrenzen hinweg. Insbesondere die niederländischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Architektur beobachtete er genau, etwa die "Van Nelle Fabrik" in Rotterdam (1927-1930), die von den Architekten Johannes Brinkman und Leendert van der Vlugt erbaut wurde. Diese Fabrik wird noch heute als eine Ikone der modernen Architektur betrachtet. Taut schaute sich auch die fantasievollere, expressionistische Architektur der "Amsterdamer Schule" an. Insbesondere für den Architekten Michel de Klerk fand er viel Lob.

Als eine Art Hommage an die Architektur der Amsterdamer Schule entwarf Taut zwischen 1924 und 1926 die Schillerparksiedlung in Berlin. Die Wohnungsblöcke, bestehend aus drei Etagen mit Dachgeschoss, sind um einen öffentlich zugänglichen Innenhof konstruiert. Die Hauszeilen öffnen sich an mehreren Stellen und sind dadurch von der Straße aus erreichbar. Die zentralen Eingangstüren wurden beidseitig flankiert mit verspielt eingesetzten, hervorstehenden Backsteinen. Die horizontale Aufteilung der Fenstersprossen ist ein Element der Architektur der "Amsterdamer Schule" – die Schillerparksiedlung wird deswegen auch das niederländische Viertel von Bruno Taut genannt.

Einfluss über deutsche Landesgrenzen hinweg

Taut wurde nicht nur inspiriert von den niederländischen Architekten, sondern umgekehrt inspirierte er auch selbst die Architektur dort. Er war somit eine wichtige Figur im kulturellen Austausch zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Seine Ideen über die Verbesserung der Bedingungen im Volkswohnungsbau und das Einbeziehen der Umgebung in die Wohnentwürfe (in Bezug auf den grünen Außenwohnraum) fanden bei den Kollegen in den Niederlanden großen Anklang. Der niederländische Architekt Hendrik Wijdeveld arbeitete sein Leben lang an seinem utopischen Projekt "De stedeloze stad", eine Idee inspiriert von Tauts Theorien über die "Auflösung der Städte". Die beiden Architekten waren miteinander befreundet und sie fantasierten gemeinsam über eine Welt, in der die Begriffe Stadt, Land, Natur und Kultur miteinander verschmelzen würden. Allerdings wurde keiner der Pläne der beiden auf diesem Gebiet je umgesetzt.

Heute, in einer Zeit, in der Themen wie bezahlbares Wohnen und die Lebensqualität in der Stadt immer bedeutender werden, können wir vielleicht etwas von Tauts Überlegungen lernen. Vor allem jetzt, da uns das Coronavirus und die Lockdowns zeigen, welche große Rolle die eigenen vier Wände spielen (können), werden Wohnqualität und Zugang zu einer grünen Umgebung immer wichtiger.


Dieser Text ist in einer längeren Version im Fachmagazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 12/2020 erschienen.