Sozialer Wohnungsbau in der Schweiz

Die Schweiz, das sind Banken, Berge, hohe Lebensqualität – und hohe Mieten, zumindest in den Städten. Mit welchen Modellen gelingt es dort, trotzdem bezahlbaren Wohnraum zu realisieren? Diese Frage stellen wir uns im dritten Teil unserer Europaserie und werfen den Blick insbesondere auf Zürich.

Der Mehrheit der Schweizer Bevölkerung steht heute qualitativ guter und auch bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung. Allerdings sind nicht nur in großen Zentren und Ballungsräumen die Wohnungs- und Mietpreise stark angestiegen. Neben bevölkerungsreichen Städten wie Zürich, Genf, Lausanne und Basel haben mittlerweile auch kleinere Gemeinden mit den Effekten steigender Wohnungspreise, etwa durch Gentrifizierungs- und Segregationsprozesse, zu kämpfen.

In wachsenden Stadtregionen finden vor allem Haushalte mit niedrigerem Einkommen kaum noch ein angemessenes Wohnangebot in zentraleren Lagen und müssen in periphere Lagen ausweichen. Zunehmend sind auch Haushalte mit mittleren Einkommen betroffen. Einige der größeren Schweizer Städte – darunter Zürich – verfügen jedoch auch über eine lange Tradition von kommunalem und genossenschaftlichem Wohnungsbau. Vor allem die Genossenschaften spielen dabei eine ausgleichende Rolle.

Die Schweiz: ein Volk von Mietern

Schweizer Haushalte mieten weitaus häufiger als sie Wohneigentum besitzen. Der Anteil an Wohneigentum in der Schweiz ist im europäischen Vergleich deutlich am geringsten. Bis in die 1990er Jahre lag die Verteilung bei 30 Prozent Eigentum und 70 Prozent Miete. Danach nahm die Wohneigentumsquote gesamtschweizerisch zwar zu, im Jahr 2015 lag die Wohneigentumsquote bei 38,4 Prozent, aber mit großen regionalen Unterschieden. Ende 2015 lebten 2,1 Millionen Haushalte in Mietwohnungen und 1,4 Millionen Haushalte in einer eigenen Wohnung.

Mehr als die Hälfte der Wohnungen werden also noch immer von Mietern bewohnt. Trotz anhaltend niedriger Hypothekenzinsen ist ein gewisses Einkommen und vor allem Vermögen notwendig, um einen Wohnkredit zu erhalten. Die Immobilienpreise und Mietzinsen steigen seit dem Immobiliencrash Anfang der 1990er Jahre stetig an. Dass die Wohneigentumsquote seit den 1970er Jahren gestiegen ist, liegt vor allem an der starken Zunahme der Wohnungen im sogenannten Stockwerkeigentum: Ihre Zahl stieg zwischen 1970 und 2016 um 86 Prozent, gerade in den großen Städten.

Überdurchschnittlich oft leben in der Schweiz Paare – ob mit oder ohne Kinder – in Wohneigentum. Ihre Wohneigentumsquote ist mit 50 Prozent beziehungsweise 49 Prozent doppelt so hoch wie die der Ein-Personen-Haushalte (23 Prozent) oder der Alleinerziehenden-Haushalte (30 Prozent). Dies mag mit den finanziellen Möglichkeiten zu tun haben, die sich speziell Doppelverdienern bieten. Zudem hängt die Wohneigentumsquote stark von Alter und Nationalität der Haushaltsmitglieder ab.

Das Wohnungsangebot in Zürich

In Zürich leben die meisten Bürger zur Miete oder in einer Wohnbaugenossenschaft. Etwa 25 Prozent aller Mietwohnungen sind in öffentlicher oder gemeinnütziger Hand. Hiervon entfallen 7,4 Prozent auf die Stadt Zürich, auf städtische Stiftungen und andere öffentliche Eigentümer und rund 18 Prozent auf die 123 großen und kleineren Wohnbaugenossenschaften. Rund 30 Prozent sind Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen, 36 Prozent sind Drei- und 20 Prozent Vier-Zimmer-Wohnungen, die restlichen zehn Prozent entfallen auf Wohnungen mit fünf und mehr Zimmern.

Die Stadt unterhält drei städtische Stiftungen, die mit öffentlichen Geldern Liegenschaften kaufen oder Neubauten erstellen. So verfügt etwa die „Stiftung für Alterswohnungen“ in den zentralen städtischen Lagen über zirka 2.000 kleinere, barrierefreie Wohnungen für selbstständige Menschen ab 60 Jahren, die keine im Haus integrierten Pflegedienstleistungen beanspruchen. Die ebenfalls von der Stadt gegründete „Stiftung zum Erhalt preisgünstiger Wohn- und Gewerberäume“ (PWG) kauft Liegenschaften und investiert ein Minimum an notwendigen Renovierungen. Die rund 1.000 Wohnungen in ihrem Portfolio werden an Haushalte mit geringen Einkommen vermietet. Die „Stiftung für kinderreiche Familien“ bietet ausnahmslos größere Wohnungen für einkommensschwache Familien mit drei und mehr Kindern an.

Diese Angebote der Stadt können jedoch der massiven Nachfrage bei Weitem nicht gerecht werden. Das erklärte politische Ziel der Stadt Zürich besteht darin, den Anteil bis zum Jahr 2050 weiter auszubauen. Die Umsetzung ist im Gange und stellt die Verantwortlichen vor die Frage, wie bei knappen Baulandreserven eine Verdichtung innerhalb der Stadt erreicht werden kann und wie Wohn- und Lebensqualitäten sozialverträglich gesichert werden können.

Kleine Nische, große Wirkung – die Wohnbaugenossenschaften

In der gesamten Schweiz gibt es rund 2.000 gemeinnützige Bauträger. Sie besitzen aktuell etwa 24.000 Gebäude mit geschätzt zwischen 152.000 und 170.000 Wohnungen, was einem Marktanteil von etwa vier Prozent entspricht. Bei der Volkszählung im Jahr 2000 betrug ihr Anteil allerdings noch 5,1 Prozent. Diese Beobachtung führte schließlich zur Volksinitiative „Mehr bezahlbare Wohnungen“, die der Bundesrat am 21.3.2018 beriet und zur Ablehnung empfahl. Jedoch erkannte der Bundesrat die Notwendigkeit an, den gemeinnützigen Wohnungsbau in der Schweiz langfristig zu stabilisieren und stockte daher gleichzeitig den „Fonds de Roulement“ mit einem Rahmenkredit von 250 Millionen Schweizer Franken auf. So soll der gemeinnützige Wohnungsbau seinen Marktanteil in Höhe von vier bis fünf Prozent langfristig behalten (allerdings nicht ausbauen).

Städtische Wohnbauförderung in Zürich

Im Jahr 2011 wurde eine Gesetzesvorlage angenommen, welche die Zürcher Stadtregierung beauftragte, den Anteil gemeinnütziger Wohnungen bis zum Jahr 2050 von aktuell 27 Prozent auf ein Drittel des Mietwohnungsbestandes zu erhöhen. Dies heißt nicht, dass die Stadt die zusätzlichen Wohnungen alle selbst baut. Der größere Teil dieser Neu- oder Ersatzneubauten soll – mit Unterstützung der Stadt – von Wohnbaugenossenschaften errichtet werden.

Die Förderinstrumente der Wohnbaupolitik seit 1907 umfassen die Beteiligung am Genossenschaftskapital, Gewährung zinsgünstiger Darlehen, Restfinanzierungsdarlehen und, seit den 1960er Jahren, die Vergabe von städtischem Grund mit Baurecht. Dabei stellt die Stadt gemeinnützigen Wohnbauträgern Bauland zu einem jährlichen, marktüblichen Baurechtszins zur Verfügung. Das Baurecht ist auf 60 Jahre angesetzt und kann zweimal um jeweils 15 Jahre verlängert werden. Diese Form der Unterstützung ermöglicht es, auch qualitative Anforderungen an Bauprojekte der Genossenschaften zu formulieren. So verlangt die Stadt Zürich die Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs und ist stimmberechtigt im Beurteilungsgremium vertreten. Zudem besteht die Möglichkeit, dass die Stadt oder eine andere fördernde Einrichtung für einkommensschwache Haushalte auf Antrag das Eintrittskapital übernimmt und ihnen so die Mitgliedschaft in einer Wohnbaugenossenschaft ermöglicht.

Gemeinnütziges Wohnmodell: Soziale Heterogenität in der Stadt stützen

Der durchschnittliche Mietpreis in der Großregion Zürich im Jahr 2016 betrug 228 Schweizer Franken pro Quadratmeter und Jahr (Bundesamt für Statistik, 2016). Mietwohnungen privater und institutioneller Anleger kosteten zirka 30 Prozent mehr als Genossenschaftswohnungen. Mit diesen preiswerten Angeboten wird der Immobilienmarkt der Stadt beeinflusst. Der durch die Stadt und die Wohnbaugenossenschaften geschaffene Wohnraum erfüllt auf einem durch einen starken Nachfrageüberhang geprägten Markt eine sehr wichtige Funktion: Wohnraum wird der Spekulation entzogen und durch die geringeren Mietkosten wirken die gemeinnützigen Wohnbauträger kostendämpfend und sozial ausgleichend, indem sie die soziale Heterogenität der Stadt stützen. Sie ermöglichen es Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen, in der Stadt wohnen bleiben zu können.

Die günstigeren Mietpreise erklären sich aus dem Prinzip der Kostenmiete im gemeinnützigen Wohnmodell. Bei dieser Kostenberechnung werden das eingesetzte Kapital (Baukosten und Landwert) verzinst, der laufende Unterhalts- und Verwaltungsaufwand eingerechnet und Rückstellungen für größere Renovierungen vorgenommen. Nur bei wertvermehrenden Investitionen werden Mietzinse aufgeschlagen. Genossenschaftliche Wohnsiedlungen, die vor Jahrzehnten gebaut wurden, können bei Ersatzneubauten mit sehr niedrig angesetzten Bodenpreisen handeln. Nur wenige der gemeinnützig errichteten Wohnungen in Zürich sind durch die öffentliche Hand direkt subventioniert: Von den rund 50.000 Wohnungen waren es im Jahr 2016 lediglich 14 Prozent (Finanzdepartement Stadt Zürich, 2016).

Wohnbaugenossenschaften schaffen langfristig lebenswerte Städte in der Schweiz

Subventionierung bedeutet, dass diese Wohnungen im Vergleich zur Mehrheit der sogenannten „freitragenden“ Wohnungen gemeinnütziger Wohnbauträger um zirka 25 Prozent günstigere Mieten aufweisen. Als Objektsubventionierung werden die in den Wohnsiedlungen gemischt verteilten Wohnungen durch Darlehen der öffentlichen Hand vergünstigt und sind für Haushalte mit einem Einkommenslimit reserviert. Diese Wohnungen sind mit klaren Belegungs- und Einkommensregeln belegt und erfordern regelmäßige Überprüfung. Da die meisten Wohnbaugenossenschaften Belegungsrichtlinien für ihre Wohnungen festlegen, tragen sie deutlich zu einem geringeren Wohnflächenkonsum bei. In der Regel gilt: ein Zimmer mehr als Personen im Haushalt leben.

In der Schweiz existiert seit mehr als 100 Jahren das Modell des gemeinnützigen Wohnungsbaus, das Boden und Immobilien langfristig der Spekulation entzieht und nach dem Prinzip der Kostenmiete organisiert ist. In Zürich gehören rund ein Viertel aller Wohnungen Genossenschaften oder der Stadt. Die Mieten sind niedriger, weil sie sich nicht nach dem freien Markt richten, sondern nach den Baukosten. Auch für Gewerbe gibt es Angebote nach diesem Modell. Die bestehenden und weiter geplanten gemeinnützigen Wohnbauprojekte besitzen vielfältigen Innovationsgehalt und setzen zukunftsorientiert nachhaltige Ziele um. Sie leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass eine Stadt langfristig lebenswert bleiben kann.


Dieser Text ist inklusive eines Interviews mit Joost Nieuwenhuijzen, dem Managing Director des europäischen Interessenverbandes European Federation for Living (EFL), im Fachmagazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 07/2019 erschienen.