
Freiflächen am Ortsrand einer Gemeinde dürfen nicht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung überplant werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. Was bedeutet das Urteil für den schnellen Wohnungsbau?
§ 13b Baugesetzbuch (BauGB) erleichtert den Wohnungsbau auf bis zu 10.000 Quadratmeter großen Flächen, "die sich an im Zusammenhang bebaute Ortsteile anschließen" erheblich. Der Paragraf ist umstritten. Naturschützer sehen Instrumente des Umwelt- und Naturschutzes ausgehebelt.
Die Umweltorganisation BUND zog mit einer Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan in der Gemeinde Gaiberg in Baden-Württemberg vor das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig. Das Gericht beurteilte am 18. Juli den § 13b BauGB als mit Europarecht unvereinbar – und erklärte deswegen einen im beschleunigten Genehmigungsverfahren ohne Umweltprüfung für kleine Neubaugebiete aufgestellten Bebauungsplan für unwirksam.
(BVerwG, Urteil v. 18.7.2023, 4 CN 3.22)
§ 13b BauGB: Wohnungsbau versus Flächenfrass
Eingeführt wurde § 13b BauGB im Jahr 2017, um möglichst schnell Wohnraum für geflüchtete Menschen schaffen zu können. Nachdem die Regelung Ende 2019 ausgelaufen war, erklärte das damalige Bundesinnenministerium im Sommer 2020, das Ziel des Paragrafen sei "angesichts des in vielen Regionen Deutschlands bestehenden Wohnraummangels weiterhin geboten".
Die Befristung wurde im Zuge der BauGB-Novelle 2021 durch das Baulandmobilisierungsgesetz, das am 14.6.2021 in Kraft getreten ist, aufgehoben und bis zum 31.12.2022 verlängert. In der vom BVerwG beanstandeten Regelung heißt es, dass die Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans bis Ende 2022 eingeleitet werden mussten. Vom Bundesbauministerium gab es zunächst keine Stellungnahme, wie nun weiter verfahren werden soll. Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, die Regelung nicht weiter zu verlängern.
Das Umweltbundesamt (UBA) kam damals in einer Studie zu dem Ergebnis, dass § 13b BauGB vor allem von kleineren, ländlich geprägten Gemeinden genutzt wird und für kleinere Bauvorhaben mit geringer Dichte. Demnach stehe viel Flächenverbrauch wenig Linderung der Wohnungsnot gegenüber. Aus Sicht des Bundesgeschäftsführers des Naturschutzbunds (Nabu), Leif Miller, werden in Deutschland – etwa für Gewerbegebiete und Häuser – täglich rund 55 Hektar verbraucht.
BUND-Rechtsanwalt Dirk Teßmer erklärte nach der Beurteilung des § 13b BauGB durch die höchsten deutschen Verwaltungsrichter: "Das Urteil geht in seiner Bedeutung weit über den konkreten Fall hinaus." Es gelte deutschlandweit für alle Bebauungspläne, die im Verfahren nach § 13b BauGB aufgestellt wurden. Nach Einschätzung der Verwaltung in Gaiberg sind Hunderte, wenn nicht sogar Tausende weitere Gemeinden betroffen, die im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Regelung Bebauungsplanverfahren begonnen – oder wie im vorliegenden Fall beendet – haben.
Immobilienbranche: § 13b BauGB als Hebel für den Wohnungsbau
Die Immobilienbranche wäre gerne noch einen Schritt weiter gegangen und wollte den Paragrafen bis zum Jahr 2032 verlängert haben. "Wir brauchen Planungs- und Baubeschleunigung, um zügig mehr Wohnraum zu schaffen", erklärte Dr. Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA). "§ 13b BauGB ist dafür ein guter Hebel."
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach sich dafür aus, dass der Paragraf in die weitere Verlängerung gehen soll. Die Norm habe sich zur Schaffung von bezahlbaren Wohnungen bewährt. Die Sorge, dass dadurch eine "ausufernde oder gar ungesteuerte Entwicklung" im Außenbereich von Ortschaften folgen könnte, wie von Naturschützern befürchtet, teilte der Verbund nicht. Vorgaben gebe es ja weiterhin.
Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg bedauerte die Entscheidung des BVerwG, wonach den Kommunen künftig verwehrt werden soll, kleinere Grundstücke am Ortsrand mit weniger als 10.000 Quadratmetern ohne langwierige Umweltprüfung und Ausgleichsmaßnahmen für eine Wohnungsbebauung auszuweisen. "So verschärften wir die Wohnungsnot im Land und erweisen den Wohnungssuchenden einen Bärendienst“, kritisierte Baupräsident Markus Böll das Urteil aus Leipzig.
Den Kommunen wurde nun jegliche Flexibilität zu schnellen und sinnvollen Entscheidungen für eine erweiterte Wohnbebauung am Ortsrand genommen. "Dies konterkariert unser aller Bemühen, möglichst rasch den dringend benötigten Wohnraum in den Gemeinden zu schaffen", so Böll.
Was bedeutet das BVerwG-Urteil für Bauherren?
Gegen den aufgestellten Bebauungsplan in Gaiberg wurde laut einer Mitteilung der Gemeinde in mehreren Verfahren geklagt. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hatte den Antrag auf Normenkontrolle als unbegründet abgewiesen. Er hielt § 13b BauGB für unionsrechtskonform und ging davon aus, dass das Aufstellungsverfahren ordnungsgemäß war und der Bebauungsplan auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden war.
Der Antragsteller BUND hat die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt, sich aber darauf beschränkt, die Unionsrechtswidrigkeit des § 13b BauGB zu rügen. Der 4. Revisionssenat hat deshalb am 18.7.2023 nur geprüft, ob § 13b BauGB mit den Vorgaben aus Art. 3 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 und Abs. 7 SUP-Richtlinie im Einklang steht.
"Die vom BVerwG als europarechtswidrig und damit als unanwendbar bezeichnete Norm betrifft das Verfahren, nicht den Inhalt des Bebauungsplans. Der Bebauungsplan kann also mit demselben Inhalt, lediglich in einem anderen Verfahren erneut aufgestellt werden", schreibt die Gemeinde in einer Stellungnahme. Das Baugesetzbuch sehe für fehlerhafte Bebauungspläne ein "Heilungsverfahren" (§ 214 Abs. 4 BauGB) vor.
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