Baukulturbericht: Bestandserhalt muss in den Fokus rücken Infografik

Abriss, frisches Bauland auf der grünen Wiese, Neubau first – dabei könnte mit dem Umbau von Gebäuden ein wesentlicher Beitrag gegen den Klimawandel geleistet werden. Die Bundesstiftung Baukultur zeigt im aktuellen Bericht Handlungsoptionen für einen Paradigemenwechsel auf.

Angesichts des Klimawandels muss die Energiewende beschleunigt werden. Der Bausektor ist dabei für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich. Der Abriss von Bestandsbauten und die Errichtung von energieeffizienten Neubauten stellt nur eine vermeintliche Lösung dar, heißt es im aktuellen Bericht der Bundesstiftung Baukultur, der alle zwei Jahre erscheint. Nach Jahrzehnten der Fokussierung auf den Neubau gelte es nun, alte Strukturen und Regelwerke aufzubrechen und im Sinne einer Umbaukultur neu auszurichten.

"Erfolgreich kann der Paradigmenwechsel im Bausektor nur gestaltet werden, wenn die baukulturellen Werte des Bestands erkannt, stärker geachtet und rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen angepasst werden", so Reiner Nagel, Vorstandschef der Stiftung. Anpassungsbedarf bestehe auch bei "eingeübten" Abläufen in Verwaltung und Baubranche.

Trend: Umbau statt Neubau

"Der Fokus von Politik, Verwaltung, Bauwirtschaft und Öffentlichkeit muss sich schon aus volkswirtschaftlichen und ökologischen Gründen vom Neubau zum Umbau verschieben", heißt es in dem Bericht. Gebäudebestand und Quartiere müssten in den Fokus genommen werden, wenn es darum geht, Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig die Klimaresilienz und die Energieeffizienz zu steigern. Hier gebe es Chancen für Klima- und Ressourcenschutz, für ein neues Verständnis von Gestaltung und für Bauwerke, die auch für kommende Generationen noch wertvoll sind.

"Die Baukultur in Deutschland ist hier bereits auf einem guten Weg, da immer mehr alte Gebäude erhalten und weiterentwickelt werden", sagte die Stiftungsratvorsitzende Cansel Kiziltepe. . Diesen Trend gelte es zu verstärken. Vielfältig nutzbare Orte, eine belastbare Infrastruktur und attraktive, klimagerechte Lebensräume müssten vorrangige Ziele kommender Planungen sein.

Neue (Um-)Baukultur: Handlungsempfehlungen im Überblick

Nutzungsvielfalt und Flexibilität in Innenstädten

Städte und Gemeinden brauchen im Zentrum eine ihrer Identität angemessene Funktionsmischung aus Einzelhandel, Gastronomie, Freizeitangeboten und Kultur – aber auch Wohnen, Bildung, Gewerbe, Produktion und soziale Angebote.

Klimawandel: Anpassung durch Umbau

Anpassungsmaßnahmen, die der Klimawandel erforderlich macht, müssen mit baukulturellen Anliegen verknüpft werden, um über die reine Zweckmäßigkeit hinaus einen Mehrwert für die Gesellschaft zu generieren.

Infrastruktur: An Mobilitätswende anpassen

Mobilitätswende und Klimaschutz erfordern Anpassungen der Infrastruktur, die durch mangelnde Pflege und Wartung an vielen Stellen in einem desolaten Zustand ist. Nachhaltige Lösungen sind gefragt.

Bestand: Schlüssel zum Klimaschutz

Entscheidend für den Klimaschutz sind die Betriebsenergie und die CO2-Emissionen, die bei der Herstellung, Betrieb und Rückbau entstehen. Dem Bestand sollte also Vorrang vor dem Neubau gegeben werden, auch weil wertvolle Ressourcen erhalten werden.

"Goldene Energie" statt "grauer Energie"

Der Gebäudebestand ist nicht nur wegen der in ihm gespeicherten Emissionen (sogenannte graue Energie) wertvoll, heißt es in dem Bericht, sondern auch aus kulturellen Gründen. Diesen Wert zu sehen und zu vermitteln, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. "Die am Planen und Bauen Beteiligten müssen die dem Bestand inne wohnende 'goldene Energie' erkennen und die Potenziale einer neuen Gestaltungssprache im Umgang mit dem Bestand herausarbeiten", so die Autoren des Berichts.

Lebenszyklus: Gebäude umbaufähig machen

Bauwerke sollten so geplant werden, dass spätere Nutzungsänderungen und Umbauten möglichst einfach und klimaverträglich umgesetzt werden können. Flexibilität und eine auf den Lebenszyklus ausgerichtete Bauweise, die in Gestaltung und Materialwahl auf Dauerhaftigkeit fokussiert, müssen Planungsprämissen werden, so die Forderung.

Neue Umbaukultur braucht neue rechtliche Strukturen

Nach Jahrzehnten der Fokussierung auf den Neubau gilt es, bestehende Strukturen und Regelwerke aufzubrechen und im Sinne einer Umbaukultur neu auszurichten. Umfangreicher Anpassungsbedarf besteht bei den rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie bei Abläufen in Verwaltung und Baubranche.

Anreizsysteme für den Umbau

Umbaumaßnahmen können dem Neubau gegenüber an Bedeutung gewinnen, wenn es Anreizsysteme und attraktive Regelungen gibt. "Die Prinzipien der Normierungs und Zulassungsverfahren gehören auf den Prüfstand", fordert deshalb die Stiftung Baukultur.

Öffentliche Hand: Verantwortung für Bestandserhalt

Ökologische, soziale und baukulturelle Verantwortung sollte in den Kommunen gleichgestellt zu finanzieller Verantwortung wahrgenommen werden. Die öffentliche Hand soll beispielhaft agieren und Umbauvorhaben konsequent fördern, beratend unterstützen und ermöglichen. Vergabekriterien sind im Sinne der Nachhaltigkeit und des Bestandserhalts anzupassen.

"Phase Null" bis "Phase Zehn": Planung bis Wartung

Die Bedarfsplanung und Voruntersuchungen der "Phase Null" und die Unterhaltungsmaßnahmen der "Phase Zehn" sind für eine Umbaukultur essenziell. Projekte müssen umfassend abgewogen und gut aufgestellt sein, um die Besonderheiten des Bestands zu berücksichtigen, spätere Pflege, Wartung und Umbaubarkeit mitzudenken und einen frühzeitigen Rückbau zu vermeiden.

Fokusthemen im Baukulturbericht 2022/23

Der Fokus im aktuellen Baukulturberichts liegt auf den Themenbereichen "Umbau von Stadt und Land", "Gebäude und Infrastrukturen" und "Umbauen – Umdenken". Das Spektrum reicht vom anhaltenden Umbau der Städte über Fragestellungen zum Umgang mit dem Bestand bis hin zur zukunftsgerechten Anpassung von Bauweisen und Prozessen. Rechtliche, wirtschaftliche, technologische und gesellschaftliche Voraussetzungen werden in Relation zu dringlichen Handlungsfeldern gestellt. "Die Branche steht hier am Beginn eines tiefgreifenden baukulturellen Wandels", heißt es im Bericht 2022/23.

Der Baukulturbericht stellt unter anderem repräsentative Ergebnisse einer Forsa-Umfrage zum Thema Baukultur und Umbau von Städten und Gebäuden vor sowie Ergebnisse von Umfragen bei Städten und Kommunen, im Handwerk und bei den planenden Berufen. Zudem beauftragte die Stiftung beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie eine konzeptionelle Recherche zum klimaverträglichen Umgang mit dem Bestand. Aus den Ergebnissen werden konkrete Handlungsempfehlungen an Kommunen, Politik und alle am Planen und Bauen beteiligten Akteure abgeleitet.

Baukulturbericht "Neue Umbaukultur" 2022/23


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Schlagworte zum Thema:  Stadtentwicklung, Wohnungsbau