Sanierungswelle im Wohnhäusern: Gesundheitsrisiko Asbest

Ob Bodenbelag oder Dachplatte – asbesthaltiges Material ist in Millionen von älteren Wohnhäusern verbaut. Wo saniert oder umgebaut wird, können die giftigen Fasern zum Risiko werden. Experten fordern Maßnahmen von Schadstoff-Pass bis KfW-Förderung. Sind auch Vermieter in der Pflicht?

Der krebserregende Baustoff Asbest wurde vor allem in den Jahren 1950 bis 1989 in großem Umfang verbaut. In dieser Zeit entstanden laut einer Studie des Pestel-Instituts im Auftrag der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) rund 9,4 Millionen Wohngebäude. Mit der wachsenden Zahl von Gebäudesanierungen für den Klimaschutz in den kommenden Jahren befürchten die Experten einen Anstieg der Asbest-"Opfer" unter Handwerkern und Arbeitern.

Asbest-Risiko steigt bei Umbau und Sanierung

Altbauten seien ein "Millionen Tonnen schweres Asbest-Lager", heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft. Für Bewohner ergebe sich daraus kein Gesundheitsrisiko. Der Baustoff werde erst zum Problem, wenn saniert oder umgebaut werde und die Fasern über den Baustaub in die Atemwege und Lungen der Arbeiter gelangen.

Das könnte in den kommenden Jahren zu einem großen Problem werden, sagte Carsten Burckhardt, Bundesvorstand der IG Bau: "Wir stehen am Anfang von zwei Sanierungsjahrzehnten. Wohnhäuser werden modernisiert, senioren- und familiengerecht umgebaut oder aufgestockt. Mit der Sanierungswelle droht deshalb jetzt eine Asbest-Welle auf dem Bau."

Die Berufsgenossenschaft Bau (BG Bau) geht davon aus, dass in den vergangenen zehn Jahren knapp 3.380 Versicherte infolge einer asbestbedingten Berufskrankheit gestorben sind, "darunter allein 320 Baubeschäftigte im vergangenen Jahr", hieß es. Das Umweltbundesamt (UBA) stuft Asbest als "eindeutig krebserregenden Stoff" ein.

Asbest-Belastung in Wohnhäusern

Asbest ist eine mineralische Naturfaser mit guten Dämmeigenschaften sowie hoher Beständigkeit gegen Hitze und Chemikalien. In den 1970er-Jahren wurde bekannt, dass die Lunge durch das Einatmen der Fasern schwer geschädigt werden kann. Die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung des krebserregenden Baustoffs und asbesthaltigen Produkten in Deutschland ist seit dem 31.10.1993 verboten – doch der Stoff befindet sich noch in vielen älteren Gebäuden. Bei Sanierungen ist Vorsicht geboten, um zu verhindern, dass Asbestfasern freigesetzt werden.

Fest gebundene Fasern, etwa im Asbest-Zement, sind unbedenklich, solange der Baustoff intakt ist. Nur wenn das Produkt beschädigt oder bearbeitet wird, gelangen die gefährlichen Asbestfasern in die Luft. Produkte mit schwach gebundenem Asbest wiederum geben die Fasern allein durch den Alterungsprozess und bei Erschütterung in die Raumluft ab, sogar wenn nicht daran gearbeitet wird. Das ist der IG Bau zufolge unter anderem beim Spritz-Asbest der Fall, der häufig in Verkleidungen von Aufzugs- und Versorgungsschächten verarbeitet worden ist.

IG Bau für KfW-Förderprogramm "Asbest-Sanierung"

Rund 7,6 Prozent der zwischen 1950 bis 1989 errichteten Wohngebäude haben der Pestel-Studie zufolge 13 und mehr Wohnungen. Hier sei die Wahrscheinlichkeit besonders groß, dass Aufzüge mit dem giftigen Material eingebaut worden sind. Verwendet wird Asbest darüber hinaus auch in Fliesenklebern und Spachtelmasse: Hier reichen schon Umbauten – etwa für eine neue Heizung –, um die Fasern freizusetzen.

IG-Bau-Vorstand Burckhardt will dem Risiko mit besseren Informationen über Asbest-Gefahren bei Gebäuden und vor allem einem konsequenten Arbeitsschutz entgegentreten: "Der bevorstehende Sanierungsboom darf nicht zu einer Krankheitswelle führen." Er plädiert für einen Asbest-Gipfel von Bund, Ländern und Kommunen, um die Finanzierung der Altlasten auf möglichst breiter Ebene anzugehen. Burckhardt fordert außerdem ein KfW-Förderprogramm "Asbest-Sanierung". Damit könnten nicht nur Kosten abgefedert werden, sondern es ließe sich eine ordnungsgemäße Entsorgung von alten Asbest-Baustoffen sicherstellen.

Forderungen der IG Bau für mehr Schutz vor Asbest

EU einigt sich auf schärfere Asbest-Grenzwerte

Der Rat und das Europäische Parlament haben am 26.6.2023 eine vorläufige Einigung über einen neuen Rechtsakt zur Stärkung des Schutzes gegen Gefährdung durch Asbest erzielt: Die Grenzwerte für die arbeitsbedingte Asbestexposition (Einatmen der Fasern) sollen um das Zehnfache gesenkt werden – von der aktuell maximalen Konzentration von 0,1 Asbestfasern pro Kubikzentimeter Luft auf 0,01 Asbestfasern pro Kubikzentimeter. Die EU-Länder werden verpflichtet, für die Messung von Asbest Elektronenmikroskopie zu nutzen, die laut einer Mitteilung des Rates eine leistungsfähigere Messtechnik als die derzeit verwendete Phasenkontrastmikroskopie bietet.

Laut einer von Eurostat erstellten Statistik zu Berufskrankheiten in der Europäischen Union stehen 78 Prozent der anerkannten berufsbedingten Krebserkrankungen im Zusammenhang mit Asbest. Bis zum Auftreten der ersten Krankheitssymptome können bis zu 30 Jahre vergehen.

Die Vereinbarung muss noch überprüft und formell angenommen werden, dann haben die EU-Mietgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die neuen Grenzwerte in nationales Recht umzusetzen – und sechs Jahre, um neue Messverfahren einzuführen. Der neue Expositionsgrenzwert soll das Krebsrisiko der Arbeitnehmer erheblich verringern und deren Lebensqualität verbessern.

Asbest am Arbeitsplatz: Einigung über neue EU-Vorschriften

Mietminderung und Schadensersatz wegen Asbest?

Grundsätzlich müssen Vermieter Mieter vor Asbestgefahren warnen. Besteht auch nur der Verdacht auf Asbest, haben Mieter ein Auskunftsrecht: Der Vermieter ist zu einer verbindlichen Auskunft verpflichtet. Darauf weist der Deutsche Mieterbund (DMB) hin. Sollte der Vermieter nicht reagieren oder die Auskunft verweigern, können Mieter demnach ein Prüfungsinstitut beauftragen. Bestätigt sich der Asbestverdacht, muss der Vermieter die Kosten für die Untersuchung erstatten.

Taucht Asbest plötzlich auf – etwa weil Mieter in Eigenregie Räume renovieren, sollten sie sofort den Vermieter informieren. Wenn Asbestfasern freigesetzt werden, müssen laut DMB qualifizierte Fachfirmen die betroffenen Räume schnellstmöglich sanieren. Es besteht dann ein Mangel in der Wohnung, der beseitigt werden muss.

Aus einem Urteil des Oberlandesgerichtes (OLG) Hamm geht hervor, das eine mit Asbest belastete Wohnung als mangelhaft gilt. Dafür reicht es laut DMB, dass Mieter die Wohnung nur in der Angst vor Gesundheitsgefahren nicht benutzen können. Grundsätzlich ist in solchen Fällen eine Mietminderung möglich. Auch Schadenersatzansprüche sind denkbar. Das gilt etwa, wenn der Vermieter seinen Pflichten nicht – soweit möglich – nachgekommen ist und dem Mieter dadurch ein Schaden entstanden ist. Gesundheitliche Folgen sind in der Praxis aber schwer nachweisbar.

(OLG Hamm, Urteil v. 13.2.2002, 30 U 20/01)


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dpa
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