BSG entwickelt Rechtsprechung zu Berufkrankheiten weiter

Mit zwei wichtigen Entscheidungen vom 22.6.2023 hat das Bundessozialgericht seine Rechtsprechung zu den Berufskrankheiten weiterentwickelt. Insbesondere die Entscheidung zu den Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) dürfte wegweisend sein.

PTBS als Berufskrankheit?

Eine Posttraumatische Belastungsstörung bei Rettungssanitätern kann nach einem Urteil des BSG vom 22.6.2023 als sog. „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden, auch wenn diese nicht zu den in der Berufskrankheiten-Verordnung aufgezählten Berufskrankheiten gehört (Az. B 2 U 11/20 R).

Zum Hintergrund: Der Kläger erlebte als Rettungssanitäter viele traumatisierende Ereignisse (u.a. einen Amoklauf, Suizide und andere das Leben sehr belastende Momente). Im Jahr 2016 wurde bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte es ab, diese Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen, weil die Posttraumatische Belastungsstörung nicht zu den in der Berufskrankheiten-Liste aufgezählten Berufskrankheiten gehört. Diese sei auch nicht als „Wie-Berufskrankheit“ anzuerkennen.

Risiko von Traumatisierung im Rettungsdienst

Anders als die Vorinstanzen hat das Bundessozialgericht nun entschieden, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung bei Rettungssanitätern als „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden kann. Rettungssanitäter sind während ihrer Arbeitszeit einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt. Diese Einwirkungen seien abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft Ursache einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser Ursachenzusammenhang ergebe sich aus den international anerkannten Diagnosesystemen, insbesondere dem Statistischen Manual Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM), sowie den Leitlinien der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften.

Ob beim Kläger allerdings tatsächlich eine Posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, die auf seine Tätigkeit als Rettungssanitäter zurückzuführen ist, bedarf nach Ansicht des BSG indes noch weiterer Feststellungen, so dass die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen wurde.

Hepatitis B als Berufskrankheit bei Feuerwehrleuten?

Die Hepatitis B-Erkrankung eines Feuerwehrmanns kann so das BSG am 22.6.2023 in einer weiteren Entscheidung - als Berufskrankheit anerkannt werden (Az. B 2 U 9/21 R).

Zum Hintergrund: Der Kläger war Mitglied, Wehrführer und Bergretter der Freiwilligen Feuerwehr. Er verrichtete klassische Löschtätigkeiten, versorgte Verkehrsunfallverletzte und rettete Wanderer, Kletterer und Gleitschirmflieger aus unwegsamem Gelände. 2017 erkrankte er an Hepatitis B. Während der beklagte Unfallversicherungsträger eine Berufskrankheit verneinte, hat das SG erstinstanzlich eine Berufskrankheit nach Nummer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festgestellt. Dagegen hat das Landessozialgericht die Klage abgewiesen.

Das Bundessozialgericht hat nun der Klage stattgegeben. Der Kläger war bei seiner Tätigkeit Infektionsgefahren besonders ausgesetzt, weil er dabei unvermeidbar Kontakt mit Blut und sonstigen Körperflüssigkeiten, insbesondere Schweiß, Erbrochenem und Tränenflüssigkeit hatte. Auf eine konkret nachgewiesene Infektionssituation oder eine bestimmte Anzahl von Einsätzen mit Kontakt zu verletzten Personen komme es für die Anerkennung der Berufskrankheit Nummer 3101 nicht an.

Wichtig für die Praxis

Während die Anerkennung von Hepatitis B als Berufskrankheit bei Feuerwehrleuten nach der Auslegung der Vorschriften der BKV naheliegend war und es damit – endlich – eine klare Stellungnahme des BSG gibt, war die Entscheidung des BSG zur PTBS von größter Bedeutung für die Praxis. Seit Jahren ist umstritten, ob und ggfs. wann eine PTBS eine Wie-Berufskrankheit sein kann (im Katalog der Berufskrankheiten taucht sie ja – noch? -  nicht auf). Das BSG stellt nun klar, dass das durchaus der Fall sein kann, wobei es natürlich auch weiterhin auf den konkreten Einzelfall ankommen wird. Insofern bleibt auch hier die weitere Entscheidung des Landessozialgerichts abzuwarten.

Insgesamt ist es allerdings erfreulich, dass das BSG mit zwei Pressemitteilungen das Augenmerk auf die Berufskrankheiten und deren oft wenig nachvollziehbare Anerkennungspraxis der Unfallversicherungsträger lenkt. Es mag sein, dass damit Bewegung in die Thematik kommt, insbesondere im Bereich der PTBS.