Verletzung beim Anheben eines Motorrades: Kein Arbeitsunfall

Das unaufgeforderte Anheben eines Motorrades nach einem selbst verursachten Anprall steht nach einem Urteil des LSG Thüringen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der Fall: Unfall beim Rangieren

Die 1977 geborene Klägerin war als Servicekraft in einem Dialysezentrum beschäftigt. Gegen 6:25 Uhr wollte sie auf dem Hof der Dialysepraxis mit ihrem PKW rückwärts in eine offene Garage fahren, um diesen dort abzustellen und anschließend ihre Tätigkeit als Servicekraft aufzunehmen. Sie übersah dabei ein bereits abgestelltes Motorrad eines anderen Mitarbeiters, welches umstürzte. Sie stieg aus ihrem PKW aus, um das Motorrad anzuheben. Anschließend verspürte sie starke Rückenschmerzen mit deutlichen Bewegungseinschränkungen und stellte sich beim Durchgangsarzt vor. Dieser diagnostizierte eine Fraktur des Lendenwirbelkörpers (LWK) 4. Die Klägerin musste sich deshalb in stationärer Behandlung begeben.

Gegenüber der Beklagten schilderte die Klägerin den Hergang des Ereignisses. Sie habe beim rückwärts Einfahren in die Garage das Motorrad übersehen, plötzlich einen Stoß verspürt und sofort gebremst. Sie sei ausgestiegen und habe das Motorrad auf dem Boden liegen sehen. Aus Angst, dass Flüssigkeiten wie Benzin oder Öl auslaufen könnten, habe sie das Motorrad unter Panik und Schock allein angehoben.

Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit fehlt

Die Beklagte lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Zum Unfallzeitpunkt sei keine versicherte Tätigkeit nach dem SGB VII ausgeübt worden. Das Aufheben des umgefallenen Motorrades sei weder auf Anweisung des Arbeitgebers erfolgt noch habe ein Zusammenhang mit der versicherten beruflichen Tätigkeit bestanden. Das Aufheben des Motorrades sei ausschließlich aus privaten Motiven erfolgt. Der Wirbelkörperbruch könne nicht durch den Anprall des Autos auf das Motorrad verursacht worden sein. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Am Unfalltag habe die Klägerin den Weg zur Arbeit unterbrochen, um ein umgefallenes Motorrad wieder aufzuheben. Sie sei damit von ihrem Arbeitsweg abgewichen und habe eine private Tätigkeit ausgeübt. Der vorherige Anprall sei nicht geeignet gewesen, die Lendenwirbelkörperfraktur herbeizuführen.

Das daraufhin angerufene Sozialgericht Nordhausen bestätigte die Entscheidung der Beklagten (Urteil vom 10.06.2022, Az. S 10 U 588/19).

Keine Wegeunfall bei Verlassen des Dienstweges

Die dagegen erhobene Berufung wurde vom LSG Thüringen abgewiesen (Urteil vom 19.10.2023, Az. L 1 U 631/22). Unter allen vom LSG geprüften Aspekten sei kein Arbeitsunfall anzuerkennen.

Es stehe zur Überzeugung des LSG-Senats fest, dass die bei der Klägerin vorliegende Fraktur des vierten Lendenwirbelkörpers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Anprall ihres PKW beim Rückwärtsfahren in die Garage und dem anschließenden Zusammenstoß mit dem Motorrad ihres Arbeitskollegen zurückgeführt werden kann. Damit komme ein Wegeunfall oder ein Unfall auf dem Betriebsweg nicht in Frage. Ein Wegeunfall scheide auch deshalb aus, weil die Klägerin beim Verlassen des PKW zum Aufrichten des Motorrades diesen Weg dauerhaft unterbrochen habe.

Obwohl die Klägerin mit ihrer Handlung eine Tätigkeit erbrachte, die einen wirtschaftlichen Wert hatte, und diese Tätigkeit hat auch einem fremden Unternehmen, nämlich der Fahrzeughaltung des Arbeitskollegen, gedient hat, lag kein Versicherungsschutz im Rahmen einer „Wie-Beschäftigung“ vor. Die Handlungstendenz der Klägerin war ausschließlich darauf gerichtet, ihrer aufgrund der vorhergegangenen Schädigungshandlung bestehenden zivilrechtlichen Schadensminderungspflicht nachzukommen. Damit liegt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit vor und sie handelte daher nicht mit der erforderlichen fremdwirtschaftlichen Zweckbestimmung.

Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII unter dem Gesichtspunkt der Nothilfe scheide ebenfalls aus. Danach sind kraft Gesetzes Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder gemeiner Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Die Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, denn objektiv bestanden keinerlei Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefahrenlage.

Wichtig für die Praxis

„Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.“ Auf diesen Spruch kann man hier die vorgestellte Entscheidung reduzieren. Alles in allem wäre es besser gewesen, den Unfall beim Arbeitgeber zu melden und dessen Hilfestellung bzw. weitere Maßnahmen abzuwarten und für den betroffenen Arbeitskollegen die eigene Haftpflichtversicherung zu aktivieren. Dass die Klägerin hier im ersten Schreck ganz anders und im Alltag vielleicht naheliegend gehandelt hat bringt ihr - obwohl das LSG alle rechtlichen Möglichkeiten in Erwägung zieht - den erhofften Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht ein. Das klingt ungerecht, ist aber bei den hier geschilderten Umständen rechtlich nicht anders zu beurteilen.

In der betrieblichen Praxis sollte im Rahmen von Unterweisungen, die den Wegeunfallversicherungsschutz zum Gegenstand haben, darauf hingewiesen werden, in solchen Fällen keine voreiligen Maßnahmen zu treffen, sondern überlegt zu handeln.