Shifting Minds: 15.000 Nachhaltigkeitsverantwortliche

Drückt man Shift, wird es groß. Erreicht man die richtigen Köpfe, wird es riesig. Mit „Shifting Minds“ blicken Alexander Kraemer und Haufe Sustainability künftig auf die „Shifting Moments“ von Nachhaltigkeitsverantwortlichen. Im wöchentlichen Wechsel von Kolumne und Podcast. Los geht es mit der Frage: Wo kommen bloß die ganzen Nachhaltigkeits-Profis her?

Der Fachkräftemangel im Bereich der Nachhaltigkeitsverantwortlichen ist ein wachsendes Problem für Unternehmen, das sich weltweit bemerkbar macht. Als Folge der steigenden Anforderungen der Kunden, des Kapitalmarkts, den Mitarbeitenden sowie der zunehmenden Regulierung müssen Unternehmen das Thema strategisch und operativ aufgreifen. 

Erst seit kurzem wissen viele Unternehmen die Rolle des Nachhaltigkeitsmanagements zu schätzen. Als ich vor zwölf Jahren meinen ersten Job in diesem Bereich gesucht habe, waren die Stellen rar, unbeliebt und wirklich schwer zu kriegen. Ich musste erst Nachhaltigkeitsberater werden, um dann zum Kunden zu wechseln.

Heute sehe ich fünf bis zehn neue Stellen pro Woche in meinem Netzwerk. Stepstone platzierte vor kurzem Nachhaltigkeitsverantwortliche auf Platz vier der nachgefragtesten Berufe (direkt nach IT). Eine Beratung analysierte im vergangenen Jahr, dass die Stellenausschreibungen in unserem Bereich um 545 Prozent angewachsen sind. Es steht die Zahl 15.000 im Raum – so viele Unternehmen in Deutschland sind von neuen regulatorischen Pflichten betroffen.

Ein prägender Moment für mich war im vergangenen Herbst während eines Zoomcalls bei der Peer School mit 40 Nachhaltigkeitsverantwortlichen: Wir haben die Frage gestellt: „Wie viele von Euch haben in den letzten zwölf Monaten den Arbeitgeber gewechselt?” Neben meiner eigenen Hand gingen 23 weitere Hände in den Kacheln hoch. Knapp 60 Prozent der Anwesenden! Viele weitere äußerten, dass sie planen zu wechseln.

80/20 im Nachhaltigkeitsmanagement ist ein Erfahrungsfaktor

Ich glaube, ein Hauptgrund für den Fachkräftemangel liegt in der Komplexität des Nachhaltigkeitsmanagements selbst. Es erfordert ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Kenntnissen aus verschiedenen Bereichen sowie eine hohe Frustrationstoleranz. Es ist eine interdisziplinäre Rolle, die sowohl technisches Know-how als auch ein tiefgreifendes Verständnis für soziale, ökologische und ökonomische Zusammenhänge erfordert. Und das sind nur 20 Prozent der Jobbeschreibung. 

Die anderen 80 Prozent sind empathische Beziehungen zu relevanten Stakeholdern auf- und auszubauen. Viele glauben, dass sie geeignete Nachhaltigkeitsverantwortliche sind, wenn sie zu Hause Bio essen und den Müll sauber trennen. Sie vergessen, dass Nachhaltigkeitsverantwortliche in die tiefsten Grauzonen der Unternehmen eintauchen und dort gegen Windmühlen ankämpfen müssen. Die etablierten Strukturen, Denkweisen und auch die Bonuszahlungen sorgen für viel Gegenwind.

Meine Überzeugung ist, dass es die 15.000 Nachhaltigkeitsverantwortlichen schon gibt. Sie selbst wissen es nur noch nicht und sie tragen nicht diesen Jobtitel. Sie schlummern in den Unternehmen, kennen jeden Akteur im Haus und haben schon zwei bis neun Aufgaben in sich vereint. Ich bekomme wöchentlich Nachrichten von Quereinsteiger:innen die nach geeigneten Schulungsangeboten suchen. Sie sind alle beeindruckende Charaktere, die wirklich etwas bewegen können und auch wollen.

Das Gute an Quereinsteiger:innen ist, dass sie die 80 Prozent des Jobs schon kennen. Sie wissen, wie man die Augsburger Puppenkiste mitspielt, um einen organisationalen Wandel zu erreichen. Denn den braucht es.

War of Senior Talents

Ein weiterer Faktor, der den Fachkräftemangel verstärkt, ist der zunehmende Wettbewerb um diese erfahrenen Talente. Unternehmen konkurrieren um die besten Nachhaltigkeitsmanager:innen – immer mehr auch mit Unternehmensberatungen. Gerade diese Woche hatte ich ein Telefonat mit einem langjährigen Fachkollegen, der zu einer großen Unternehmensberatung gewechselt ist und dort jetzt ein Fachthema sowie eine große Gruppe von Junior-Berater:innen verantwortet.

All dies führt zu einer Verknappung des vorhandenen Talentpools und macht es schwierig, qualifizierte Fachkräfte zu finden.

Nun heißt es, die Shift-Taste zu drücken und die Fachkolleg:innen von morgen zu finden, zu begeistern und zu qualifizieren. Denn aktuell gibt es geschätzt 4.500 von uns, es werden aber 15.000 benötigt.

Ich bin gespannt, was Ihr dazu sagt.

Euer

Alexander