Kündigungswelle im Nachhaltigkeitsmanagement

Laufen Nachhaltigkeitsverantwortliche reihenweise ihren Unternehmen davon? Alexander Kraemer hat derzeit zumindest den Eindruck. Woran das liegen könnte und ob die Fluktuation ein Indikator dafür ist, wie ernst es Unternehmen mit der Nachhaltigkeit nehmen, erklärt er in seiner Kolumne.

Die Zahl der ausgeschriebenen Stellen im Nachhaltigkeitsmanagement steigt von Woche zu Woche. Das sehen wir in den Jobbörsen und in den LinkedIn-Timelines. Aktuell sehe ich drei Hauptgründe für neue Stellen im Nachhaltigkeitsmanagement:

In vielen Unternehmen werden erstmals Stellen oder Teams aufgebaut, weil die Regulierung oder Kunden Informationen oder eine Weiterentwicklung fordern. Ich höre auch immer wieder, dass Stellen geschaffen werden, da es einen Generationswechsel gibt und die nächste Generation von Familienunternehmer: innen das Thema Nachhaltigkeit auf die Agenda setzt.

Darüber hinaus werden in bestehenden Teams weitere Stellen geschaffen, um den anstehenden Herausforderungen gerecht zu werden. So werden vermehrt Stellen für Spezialisten geschaffen, die sich beispielsweise mit Reporting, Menschenrechts- oder Umweltthemen beschäftigen.

Der dritte Grund war schon immer da, tritt nach meiner Wahrnehmung aber gerade in den Vordergrund: Frust, Langeweile und Unterforderung führen zur Kündigung unglaublich vieler Nachhaltigkeitsmanager:innen. Die Regulierung ist da. Das verändert auch die Arbeitsweise der Nachhaltigkeitsmanager:innen: Bisher bestand ihre Arbeit aus Strategieentwicklung, Maßnahmenableitung, Umsetzung, Stakeholder Engagement etc. Also eine zum Teil sehr kreative und entwicklungsorientierte Arbeit. Der Nachhaltigkeitsbericht gehörte für viele dazu, stand aber nicht so im Fokus und hat bei weitem nicht so viele Kapazitäten gebunden. Das hat sich im vergangenen Jahr geändert.

Die Regulierung verändert das Aufgabenbild der Nachhaltigkeitsmanager:innen

Diese Veränderungen schlagen sich derzeit in einer Kündigungswelle nieder. Erstaunlich viele vermissen das Gestalterische und Entwickelnde. „Ich quäle mich gerade durch das Reporting, dafür bin ich nicht angetreten”, sagte mir kürzlich eine Nachhaltigkeitsmanagerin.

Egal mit wem ich spreche: Die Leute wissen, dass das erste Reporting nach einem oder mehreren neuen Standards eine große Herausforderung ist. Das Ende ist für viele greifbar und der Frust verfliegt, wenn man das fertige Werk in den Händen hält. Aber die Arbeit bis zum Bericht ist ein langer, harter und steiniger Weg. Manche halten das nicht durch, kündigen und wechseln das Unternehmen oder sie sind offen für Angebote von Unternehmensberatungen. Ende letzten Monats habe ich von sieben Fachkolleg:innen gehört, die gekündigt haben. Das hat mich sehr überrascht, weil ich bei einigen vermutet hatte, dass die Rahmenbedingungen wirklich hervorragend sein müssen. Außerdem weiß ich von 24 weiteren, die aktiv auf Jobsuche sind und sich dringend verändern wollen. Und das sind alles Leute aus meinem näheren Umfeld.

Ist die Fluktuation von Nachhaltigkeitsmanager:innen ein Indikator?

Eine Frage beschäftigt mich schon lange: Ist die Fluktuation in der Nachhaltigkeitsabteilung ein guter Indikator für die Nachhaltigkeitsambitionen von Unternehmen?

Ich denke, dass eine gewisse Veränderungsbereitschaft von Menschen im Nachhaltigkeitsmanagement normal ist. Aber ich habe auch schon oft gehört: „Die haben in drei Jahren schon fünf Leute durchgeschleust, das Management steht einfach nicht dahinter.“ Ich erinnere mich auch an einen Fall, in dem ein Nachhaltigkeitsmanager in einem LinkedIn-Post seine Kündigungsgründe offenlegte: Die Ernsthaftigkeit der Geschäftsleitung zum Thema Nachhaltigkeitsmanagement sei einfach nicht gegeben, er könne dort einfach nicht mehr arbeiten.

Ich beobachte den Wechsel von Nachhaltigkeitsmanager:innen schon sehr lange und vermute, dass man bei sehr genauem Hinsehen relativ gut erkennen kann, welche Unternehmen das Thema wirklich ernst nehmen und wo eine hohe Fluktuation von Nachhaltigkeitsmanager:innen ein anderes Bild offenbart.

Wohin geht die Reise?

Ich glaube, dass wir uns trotz aller Veränderungen mitten in einem Prozess der Bereinigung und Spezialisierung befinden. Irgendwann wird ein gutes und fundiertes Reporting einfach dazugehören. Dafür braucht es reportingaffine Menschen in den Unternehmen. Für die Entwicklung hin zu einem wirklich nachhaltigen Unternehmen braucht es wahrscheinlich andere Personen.

Meine Vermutung ist aber auch, dass wir in fünf Jahren ein ganz solides Bild davon zeichnen können, wie ein gutes Nachhaltigkeitsteam im Unternehmen verankert und personell ausgestattet ist. Bis dahin müssen wir uns alle noch ein bisschen anstrengen.

Wie immer freue ich mich über eure Rückmeldungen und Einblicke!

Euer

Alex Kraemer