Kleine Schritte als Katalysator für High-Impact-Projekte

Manchmal braucht es erst kleine, aber greifbare und emotional aufgeladene Projekte, um später die großen Räder zu drehen. Alexander Kraemer nennt sie „Pappbecherthemen“ und zeigt in seiner neuen Kolumne, wie Nachhaltigkeitsmanager sie strategisch nutzen können.

Kennt ihr eine Wesentlichkeitsmatrix auf der das Wort „Pappbecher“ steht? Wahrscheinlich nicht. Aber ich wette um 2,56 Euro, dass Ihr schon mit einem „Pappbecherthema“ konfrontiert wurdet. Sprich, ein Nachhaltigkeitsthema, das für Mitarbeitende sehr präsent ist, emotional aufgeladen und jeden Tag greifbar. Es sind die Themen, auf die Ihr meistens in der Kantine angesprochen werdet: Veganes Essen, der Fuhrpark, den Social Day oder halt die guten alten Pappbecher.

Für alle Nicht-Fachkolleg:innen: Wir als Nachhaltigkeitsverantwortliche schauen uns zunächst alle Themen des Unternehmens an. Wir bewerten diese nach Chancen, Risiken und positiver beziehungsweise negativer Wirkung. Ein Instrument, das wir im Nachhaltigkeitsmanagement nutzen, ist die sogenannte Wesentlichkeitsmatrix. Einerseits analysiert man, welche konkreten und potenziellen positiven oder negativen Effekte die eigenen unternehmerischen Handlungen haben, andererseits betrachtet man die Chancen und Risiken von Nachhaltigkeitsthemen in Bezug auf die finanzielle Situation des Unternehmens und die Zukunftsbeständigkeit des Geschäftsmodells.

Das ist komplex. Es ist ein emotionsloser, rationaler und formaler Prozess. Dazu gehören diverse Gesprächsrunden mit verschiedenen Anspruchsgruppen. Denn die Wesentlichkeitsmatrix identifiziert die Themen, die das Nachhaltigkeitsmanagement anschließend in der Strategie aufgreift. Und sie schließt Themen aus, die nicht aufgegriffen werden sollen. Vielleicht liegt hier ein Fehler im Instrument. Denn die Pappbecher-Themen spielen mit großer Wahrscheinlichkeit keine oder nur eine ganz kleine Rolle. Wie eingangs erwähnt, gibt es aber in jedem Unternehmen emotional aufgeladene Themen, die immer wieder präsent sind und angesprochen werden.

Ich bin überzeugt: Jeder Nachhaltigkeitsverantwortliche hat seinen Pappbecher-Moment. Man kann die Herausforderung aus zwei Blickwinkeln betrachten:

  1. Pappbecher als Ablenkung von den eigentlichen Themen oder
  2. wie ich von Incken Wentorp gelernt habe: Als Katalysator um die eigentlichen Themen angehen zu können.

Die Effekte der Ablenkung

Wenn wir in der Kantine, auf dem Flur oder online auf ein Pappbecher-Thema angesprochen werden, kommen wir in den Dialog. Das ist etwas Gutes. Greifen wir das artverwandte Thema „Fuhrpark“ auf. Wir wissen alle, dass das Auto des Deutschen liebstes Kind ist. Die Angst, sein Turbomobil-3000 gegen ein E-Auto tauschen zu müssen, ist immens. Die Emotionen kochen hoch. Plötzlich geht es um Reichweite und Spaltmaße. Ich habe einmal den Fehler gemacht, mich mit dem Thema in meinem ersten Jahr im neuen Job zu beschäftigen. Es kochte bis zur Geschäftsleitung hoch und ich habe mich verbrannt für die eigentlichen Themen. 

Es müssen nicht immer negativ behaftete Themen sein. Ein anderes Beispiel ist der gute alte Social Day. Betrachtet man die Wirkung eines solchen Tages auf den ökologischen Fußabdruck ist diese wahrscheinlich weniger wichtig als die Dekarbonisierung der eigenen oder vorgelagerten Wertschöpfung. Die Anfragen kommen aber immer. Wenn Du Dich auf die Organisation eines solchen Tages einlässt, geht es los: Freigabe durch die Geschäftsleitung, gegebenenfalls mit dem Betriebsrat, mit 20+ Personen in den Wald gehen. Dann die aufregende Aufgabe, erstmal einen Wald zu finden, wo man was machen kann. Dann feststellen, dass man ein Budget mitbringen muss, denn Bäumchen erzeugen Kosten, die müssen gedeckt werden. Wieder zur Geschäftsleitung...

Fundierte Studien belegen, dass so ein Tag wirklich etwas für Teambuilding, Recruiting, Kulturbildung etc. bringt. Glaubt aber bitte nicht, dass es das Unternehmen nachhaltiger macht, wenn man die braune Produktion weiterlaufen lässt und ein Mal im Jahr Zeit im Wald verbringt. Die Wahrnehmung kann genau diese werden, wenn Ihr den Fokus zu sehr auf den Tag legt. Budget, Zeit und Personal sind im Einsatz bei solch einem Thema. Genau diese könnten Euch bei eigentlichen Aufgaben fehlen. Außer, Ihr fangt an Schach zu spielen, während die anderen Mau-Mau spielen.

Pappbecherthemen als Katalysator nutzen

Wenn wir als Nachhaltigkeitsverantwortliche mit unserer Wesentlichkeitsmatrix daherkommen, dann sind das sehr abstrakte Themen. Wenn wir mit Mitarbeitenden zum Beispiel über Scope-3 Emissionen (indirekte Treibhausgasemissionen in der Wertschöpfungskette) sprechen, verlieren wir schnell relevante Anspruchsgruppen. Das Thema ist für viele zu abstrakt. Da sind die Pappbecher einfach greifbarer.

Wenn man sich auf ein Pappbecherthema einlässt und dieses strategisch mit klarem Blick auf die größeren Themen angeht, kann man die entstehenden Gespräche ausnutzen. Es ist ein heikles Spiel und das große Ziel vor Augen zu haben ist essenziell. Ihr könnt daraus vieles lernen:  Mit wem muss ich sprechen? Welche Akteure müssen genau sehen, dass das alles gar nicht so schlimm ist? Wer muss verstehen, dass da Geld gespart wird? Wer muss belegt bekommen, dass Geld verdient wird? All diese Fragen im Hinterkopf zu haben ist immens wichtig, denn dann wird aus einem kleinen Pappbecher eine Übungswiese für das Fass, das Du eigentlich aufmachen willst.

Ich bin gespannt auf Eure Pappbecher-Stories und wie Ihr diese strategisch für Euch nutzt.

Euer

Alexander