Freibeträge bei Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften

Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und nach dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu.

Hintergrund: Zwei Nacherbschaften

1966 verstarb der Großvater, 1992 die Großmutter der Geschwister X. Die Großeltern hatten jeweils die Tante der X als Vorerbin und auf deren Tod u.a. die X als Nacherben eingesetzt. Die Tante verstarb 2015 und wurde ihrerseits u.a. durch die X als Miterben beerbt. Der Vater der X war bereits vor der Vorerbin verstorben.

In der ErbSt-Erklärung stellten die X Anträge nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, der Versteuerung der Nacherbfälle ihr Verwandtschaftsverhältnis zu den Großeltern zugrunde zu legen.

Das FA berücksichtigte in den ErbSt-Bescheiden gegenüber den X Freibeträge von 400.000 EUR pro Erben nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (Enkel der verstorbenen Erblasser bei vorverstorbenem Vater). Die X wandten dagegen ein, jedem von ihnen stehe der Freibetrag in Höhe von 400.000 EUR zweimal zu, nämlich ein Freibetrag für jede Nacherbschaft, da es sich jeweils um zwei selbständige Nacherbschaften (einmal nach dem Großvater und einmal nach der Großmutter) handele.

Das FG wies die Klagen der X ab. Einem Nacherben sei auch für mehrere gleichzeitig von demselben Vorerben angefallene Nacherbschaften nur ein Freibetrag zu gewähren. Auch bei mehreren Nacherbschaften liege erbschaftsteuerrechtlich (anders als zivilrechtlich) lediglich ein einheitlicher Erwerb vom Vorerben vor.

Entscheidung: Nur ein Freibetrag bei mehreren Nacherbfolgen

Der BFH bestätigte die Auffassung des FA und des FG. Auch bei mehreren Nacherbschaften steht dem Nacherben insgesamt lediglich ein Freibetrag zu.

Nacherbschaft als Erwerb vom Vorerben

Während zivilrechtlich der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben (§§ 2100, 2139 BGB), gilt erbschaftsteuerrechtlich der Vorerbe als Erbe und der Nacherbe als dessen Erbe (§ 6 Abs. 1 ErbStG). Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird (BFH vom 31.08.2021 - II R 2/20, BFH/NV 2022, S. 287, Rz. 13). Die Besteuerungsmerkmale sind im Verhältnis zur Person des Vorerben (und nicht des Erblassers) anzuwenden.

Einheitlicher Erwerb vom Vorerben

Geht beim Tod des Vorerben neben dem zur Nacherbschaft gehörenden Vermögen zugleich eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, weil der Nacherbe gleichzeitig Erbe nach dem Vorerben ist, liegen zivilrechtlich zwei Erbfälle vor (einer nach dem Erblasser und ein weiterer nach dem Vorerben). Erbschaftsteuerrechtlich handelt es sich gleichwohl um einen einheitlichen Erwerb vom Vorerben (BFH vom 03.11.2010 - II R 65/09, BStBl II 2011, S. 123, Rz. 14).

Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften

Haben mehrere Erblasser (hier die Großeltern) denselben Vorerben (hier die Tante) und auf dessen Tod denselben Nacherben (hier die Geschwister X) eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu, der sich nach dem Verhältnis zu demjenigen Erblasser richtet, für den es der Nacherbe beantragt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Soweit dieser Freibetrag nicht verbraucht ist, verbleibt ein Freibetrag für das Vermögen des Vorerben (§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG). Zwar enthält § 6 ErbStG keine ausdrückliche Regelung zur Gewährung von Freibeträgen bei Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften, doch ergibt sich dieses Ergebnis aus dem Regelungskonzept der Vorschrift.

Einheitlichkeit des Erwerbs

Mit der Nacherbfolge tritt erbschaftsteuerrechtlich eine Verschmelzung des Vermögens des Vorerben mit dem der Nacherbfolge unterliegenden Vermögen ein. Beim Tod des Vorerben findet ein einziger Erwerbsvorgang statt, für den auch nur ein einziger Freibetrag gewährt werden kann. Die in § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG enthaltenen Berechnungsmodalitäten ändern nichts an der rechtlichen Einheitlichkeit des Erwerbs. § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG bringt mit der Formulierung "der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen" zum Ausdruck, dass es unabhängig von der Anzahl der Erblasser für das gesamte der Nacherbfolge unterliegende Vermögen immer nur einen einzigen Freibetrag geben kann.

Keine Kumulierung der Freibeträge

§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG bezweckt, dem Nacherben lediglich den Freibetrag zu gewähren, der dem für ihn günstigsten in Betracht kommenden Freibetrag entspricht. Rechtstechnisch geht § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG zwar davon aus, dass dem Nacherben auf Antrag ein Freibetrag nach dem ursprünglichen Erblasser sowie ein weiterer Freibetrag nach dem Vorerben zusteht. Durch die Anrechnung eines für die Nacherbschaft bereits verbrauchten Freibetrags kann es jedoch nie zu einem Freibetrag kommen, der höher ist als der in Betracht kommende für den Nacherben günstigste Freibetrag. Im Ergebnis kommt diese Regelung einem Wahlrecht des Nacherben gleich, ob er den Freibetrag im Verhältnis zum Vorerben oder im Verhältnis zum ursprünglichen Erblasser zugrunde legen möchte.

Näheverhältnis zwischen Erben und Erblassern

Die etwaigen Näheverhältnisse zwischen dem Erben und mehreren (ursprünglichen) Erblassern, auf die die Nacherbschaften zurückgehen, erfordern keine kumulative Berücksichtigung mehrerer Freibeträge. Bereits die in § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG vorgenommene Deckelung des für den Erwerb vom Vorerben geltenden Freibetrags zeigt, dass das Näheverhältnis des Erben, der gleichzeitig Nacherbe ist, zu jedem Erblasser zwar grundsätzlich berücksichtigt werden kann, diese Berücksichtigung aber nur bis zu dem für den Nacherben günstigsten Freibetrag reichen soll. Wenn beim Zusammentreffen einer Nacherbschaft mit einem Erwerb direkt vom Vorerben die Freibeträge in dieser Weise begrenzt werden, spricht dies dafür, auch beim Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften den anzuwendenden Freibetrag für den Erwerb insgesamt auf den für den Nacherben günstigsten zu begrenzen und einen solchen Erwerb damit im Vergleich zum Erwerb eigenen Vermögens des Vorerben nicht zu privilegieren.

Hinweis: Antrag auf Berücksichtigung des Verhältnisses zum Erblasser

Im Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG muss der Nacherbe angeben, welches Verhältnis zu welchem ursprünglichen Erblasser der Versteuerung zugrunde gelegt werden soll. Danach richten sich der Freibetrag und die Steuerklasse für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen. Der Antrag kann von jedem Nacherben individuell gestellt werden. Er ist spätestens bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gegenüber dem FA abzugeben.

BFH Urteil vom 01.12.2021 - II R 1/20 (veröffentlicht am 02.06.2022)

Alle am 02.06.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen.


Schlagworte zum Thema:  Erbschaftsteuer, Freibetrag, Erbrecht