[Ohne Titel]

Thomas Rennar[*]

Die gegenwärtige Inflationslage und der damit einhergehend massive Preisanstieg für Waren und Dienstleistungen verstärkt auch den politischen Druck zur Einführung einer umsatzsteuerlichen Nullsteuersatzentlastung auf Lebensmittel als alltägliche Bedarfsmittel. Der Deutsche Bundestag hat die Interessenlage daher kürzlich vor dem Hintergrund der modifizierten Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) aufgegriffen. Welche umsatzsteuerlichen Implikationen sich hieraus ergeben, ist daher nachfolgend zu betrachten.

[*] Dipl.-Finw. (FH), Hannover.

I. Gegenwärtige Inflation sorgt für politischen Handlungsbedarf

Die Preise für Nahrungsmittel sind in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich angestiegen. Für Nahrungsmittel insgesamt erhöhten sich die Preise im Jahr 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gegenüber dem Jahr 2021 um 13,4 %. Im Jahresdurchschnitt waren dabei alle Nahrungsmittelgruppen von Preissteigerungen betroffen. Allerdings gab es deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Produkten bzw. Produktgruppen. Besonders stark ausgeprägt war der Preisanstieg bei Speisefetten und Speiseölen (+36,2 %) sowie bei Molkereiprodukten und Eiern (+19,7 %). Auch Fleisch und Fleischwaren (+14,6 %) sowie Brot und Getreideerzeugnisse (+13,5 %) wurden 2022 überdurchschnittlich teurer. Demgegenüber lag der Preisanstieg bei Gemüse (+12,0 %) und bei Obst (+4,0 %) unterhalb des Durchschnittswertes. Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise setzte sich auch in den ersten Monaten des Jahres 2023 fort. Die Inflationsrate in Deutschland betrug im Mai 2023 ca. +6,1 %. Gemessen wird sie als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat. Im Mai 2023 stiegen die Preise für Nahrungsmittel im Vergleich zum Vorjahresmonat mit +14,9 % weiterhin überdurchschnittlich. Dagegen lag der Anstieg der Energiepreise im Mai 2023 mit +2,6 % gegenüber dem Vorjahresmonat unterhalb der Veränderungsrate des Gesamtindex. Gegenüber dem hohen Indexstand im Mai 2022 liegt ein Basiseffekt vor, nachdem im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine die Energiepreise stark gestiegen waren. Daneben trugen auch die Maßnahmen des dritten Entlastungspakets der Bundesregierung, die im Verbraucherpreisindex abgebildet werden, zu dieser Abschwächung der Energiepreisentwicklung bei. Die leicht rückläufige Preisentwicklung im Bereich der Dienstleistungen dürfte auch von der Einführung des Deutschlandtickets beeinflusst sein.[1]

Blick in die Statistik: Inflationsrate in Deutschland im Zeitverlauf

Quelle: Statista

[1] Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis), Pressemitteilung Nr. 210 v. 31.5.2023.

II. Unionsrechtliche Nullsteuersatzentlastung auf Nahrungsmittel

Fast unbemerkt änderte die Europäische Kommission kürzlich die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL). Seitdem ist ein Nullsteuersatz auf alle lebensnotwendigen Güter, wozu auch Lebensmittel gehören, unionsrechtlich möglich. Daraufhin wurden bereits in Politik, Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft Stimmen für und gegen einen Nullsteuersatz bei Grundnahrungsmitteln laut. Angesichts einer weiterhin hohen Inflationsrate für den gesamten Warenkorb sowie weiteren absehbaren Preissteigerungen könnte ein Nullsteuersatz als dauerhafte Entlastungsmaßnahme für Verbraucher/-innen herangezogen werden. Laut Umfragen befürworten 77 %[2] der Bevölkerung den Nullsteuersatz auf Grundnahrungsmittel und 71 %[3] auf Obst und Gemüse.[4] Nach dem Unionsrecht wurde daher bereits eine Option zur Nullbesteuerung von Nahrungsmitteln in der MwStSystRL geschaffen. Derartige Option zur Nullbesteuerung von "Nahrungsmitteln" ist in der geänderten MwStSystRL zur Änderung der Richtlinien 2006/112/EG und (EU) 2020/285 durch Nullsteuersatzentlastung von der Mehrwertsteuer nunmehr implementiert worden. So enthält Art. 98 Abs. 2 MwStSystRL n.F. mittlerweile die Regelung, dass die Mitgliedsstaaten zusätzlich zu den zwei ermäßigten Steuersätzen auf unter höchstens sieben Nummern des Anhang III fallende Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen eine Steuerbefreiung mit Recht auf Vorsteuerabzug gewähren können. Diese Besteuerungsoption der Mitgliedsstaaten wird aber nur eingeschränkt gewährt. Der ermäßigte Steuersatz, der unter dem Mindestsatz von 5 % liegt, und die Steuerbefreiung mit Recht auf Vorsteuerabzug dürfen nur auf die unter die Nr. 1 bis 6 und 10c des Anhang III der MwStSysRL fallenden Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen angewandt werden. Der Anhang III der MwStSysRL enthält hierbei in Nr. 1 den Begriff "Nahrungsmittel" als Anknüpfungspunkt für eine Steuervergünstigung. Die MwStSystRL ist eine Richtlinie der EU, die von jedem Mitgliedsstaat eigenverantwortlich in nationales Recht umgesetzt werden muss. Dabei steht es den nationalen Gesetzgebern frei, welche Ermäßigungstatbestände sie im nationalen Steuerrecht gewähren wollen. Der deutsche Gesetzgeber hat den Tatbestand der Nr. 1 des Anhanges III der MwStSystRL bisher nicht vollständig in das Umsatzsteuergesetz (UStG) übernommen. Vielmehr sind im UStG nur einzelne Unterkategorien von Lebensmitteln aufgeführt. In Nr. 1 der MwStSystRL werden unter den Begriff der ...

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